Das Medien-Imperium schlägt zurück

Seite 3: Detailversessene Elite-Affirmation

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Rahmenthema des Buches von Ute Daniel ist ein Vergleich der Beziehung von Politik und Medien in (West-) Deutschland und Großbritannien vom Ersten Weltkrieg bis in die 1980er Jahre. Dafür greift sie einzelne signifikante Ereignisse, die man im weitesten Sinne als "Medienskandale" bezeichnen könnte, heraus (etwa die Beziehung des Londoner Pressezaren Lord Northcliff zum Premierminister David Lloyd George, die Übernahme der deutschnationalen DNVP durch den Weimarer Zeitungsmogul Alfred Hugenberg, Goebbels Sportpalastrede, die Spiegelaffäre, die Kündigung des NDR-Staatsvertrages 1978) und vergleicht Briten und Deutsche anhand einer zuweilen interessanten, meist aber nervtötenden Überfülle von aus Archiven geklaubten Details.

Dabei kommt sie zu durchaus überraschenden Ergebnissen, wenn sie etwa bezüglich der Spiegelaffäre der westdeutschen Gesellschaft eine gegenüber der britischen Profumo-Affäre demokratisch-liberalere Umgangsweise attestiert: Die (West-) Deutschen hätten für ihre inhaftierten Journalisten demonstriert, die Gerichte für sie entschieden, während britische Kollegen Beugehaft zur Nennung von Informanten weitgehend unbeachtet erdulden mussten. Derartiges hören unsere (west-) deutschen Eliten in Politik und Medien sicher gern. Ihre kritische Abrechnung mit Goebbels totalitärem Medienregime käme als Elitekritik auch in Westdeutschland inzwischen etwas zu spät, nachdem die Horden von Altnazis in hohen und höchsten Staatsämtern sowie den Medien langsam ihren juristisch weitgehend unbehelligten Karriereweg durch Altersschwäche beenden konnten.

Schweigen zu Julian Assange und Bilderberg

Anders als Uwe Krüger nimmt Ute Daniel die Existenz der für die Beziehung von Medien und Politik vermutlich prägenden Bilderberg-Konferenzen nicht zur Kenntnis. Dort treffen sich seit 1954 jährlich Machteliten aus Militär, Politik, Wirtschaft und Medien, seit Uwe Krügers Dissertation "Medienmacht" am 29.4.2014 von ZDF-Kabarettisten aufgegriffen wurde, sind die Bilderberger auch dem breiten TV-Publikum bekannt. In einem von erschreckender Medien-Inkompetenz geprägten Akt der Wut verklagten Alpha-Journalisten der "Zeit" die Satiriker, was die Affäre durch den Streisand-Effekt nur noch bekannter machte.

Das Thema Whistleblower, mit dem der Verlag das Buch im Klappentext bewirbt, kommt bei Ute Daniel sehr kurz; dreimal erwähnt sie lapidar Edward Snowden, einmal beiläufig WikiLeaks (wo man viel Material über die Bilderberg-Konferenzen findet), aber ohne den Namen Julian Assange zu nennen. WikiLeaks-Gründer Assange ist wohl der prominenteste Enthüllungsjournalist unserer Tage, aber der westliche Medien-Mainstream hat ihn zur Unperson erklärt: Seine von der UNO gerügte menschenrechtswidrige Verfolgung wird als rechtmäßig hingestellt, seine Leistungen und Preise (inklusive der offiziellen Nominierung für den Friedensnobelpreis) werden abgewiegelt oder verschwiegen; seine Person kaum erwähnt und wenn, dann stereotyp unter "Vergewaltigungsverdacht" gestellt - obwohl diese Stigmatisierung weitgehend auf einer Schmutzkampagne basiert. Ute Daniel schließt sich dem Mainstream an, indem sie Julian Assange nicht erwähnt.

Einseitigkeit bis zur Geschichtsklitterung

Die Sichtweise der meist konservativen Machteliten bricht bei Ute Daniel immer wieder durch, etwa wenn sie den Hintergrund der Kündigung des NDR-Staatsvertrages 1978 durch eine CDU-Landesregierung beschreibt. CDU-Medienpolitiker hatten sich während der Anti-Atom-Proteste gegen das AKW Brokdorf über NDR-Journalisten erregt. Die hatten es gewagt, sachlich objektiv (wie Ute Daniel immerhin feststellen muss) über die Regierungsgegner in Bürgerinitiativen und unter Demonstranten zu berichten. Ein Journalismus, der auch oppositionelle Demonstranten ins Mikrofon sprechen ließ, war zuvor offenbar unbekannt und trieb die CDU dazu, den ganzen NDR zur Disposition zu stellen (im NDR hatten damals zwei SPD- und nur ein CDU-geführtes Bundesland das Sagen) und ferner die Einführung privater Rundfunkanbieter zu betreiben, was eine Dekade später vor allem Bertelsmann mit seiner RTL-Senderfamilie in die Karten spielte.

Zunächst hetzte die CDU gegen den angeblich linkslastigen NDR: "Nachgerade zur Hassfigur wurde Peter Merseburger, der mehrere Jahre NDR-Redakteur und Leiter des ebenso erfolgreichen wie umstrittenen Fernsehmagazins Panorama war." (S.37) Wie bewertet Ute Daniel die Berichterstattung über die Anti-Atom-Bewegung? Daniel: "Die Reporter und Redakteure bewegten sich bei diesem Thema in einer Art Grauzone." Dies berichtet sie als ihr eigenes Werturteil und begründet es im nächsten Satz so:

"Denn aus der damaligen konservativen Sicht gab es keine Legitimation für Bürgerbewegungen, Widerstand gegen parlamentarisch legitimierte politische Maßnahmen wie den Bau eines AKWs zu leisten. Mitte der 1980er Jahre sollte zwar das Bundesverfassungsgericht dieser Sichtweise den Boden entziehen. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre war sie jedoch dort, wo Konservative regierten, herrschende Meinung." (Daniel S.38)

Herrschende Meinung? Oder Meinung der Herrschenden? Das geht bei Ute Daniel allzu oft durcheinander. Denn aus nicht-"konservativer" Sicht bewegten sich nicht die NDR-Redakteure in "einer Art Grauzone", sondern die Hetzer aus der CDU. Denn diese trachteten offenbar danach, eine durch verfassungsmäßige Demonstrationen ausgeübte freie Meinungsäußerung einer verfassungswidrigen und damit kriminellen Medienzensur zu unterwerfen. Das Bundesverfassungsgericht höchstselbst hat diese oppositionelle Sichtweise bestätigt, wie Ute Daniel ja selbst zugeben muss. Damit ist das Beharren der Professorin für Neuere Geschichte auf ihrer konservativen Sicht, welcher der beiden Kontrahenten (CDU oder NDR-Journalisten) sich "in einer Grauzone" bewegte (die von ihrem Bürgerrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machenden NDR-Journalisten), genau genommen kaum anders denn als eine konservative Geschichtsklitterung zu bewerten.

Ute Daniel: Beziehungsgeschichten: Politik und Medien im 20.Jahrhundert. Hamburg: Hamburger Edition (Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung, finanziert vom Reemtsma-Erben) 2018.

Uwe Krüger: Mainstream - Warum wir den Medien nicht mehr trauen. München: C.H.Beck 2016.

Boltanski, Luc: Rätsel und Komplotte: Kriminalliteratur, Paranoia, moderne Gesellschaft. Frankfurt: Suhrkamp, 2015.

Hannes Sies zur britischen Folterhaft gegen Julian Assange.