Das Nichts in der Mathematik
Seite 2: Zermelo und die axiomatische Mengenleere
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Der Berliner Ernst Friedrich Ferdinand Zermelo (1871-1953) hat über Variationsrechnung promoviert und war danach Assistent von keinem geringeren als Max Planck. Von der Physik ist er, unter dem Einfluss von David Hilbert, auf die Logik umgesattelt. In Göttingen versuchte Zermelo zu beweisen, dass Mengen eine sogenannte "Wohlordnung" zugewiesen werden könne, brauchte dafür aber eine Mengenlehre frei von Widersprüchen und streng axiomatisiert. Eine erste Fassung seiner Axiome veröffentlichte er 1908, aber nur durch die Hilfe von anderen Mathematikern (vor allem Abraham Fraenkel) gelang es ihm letzten Endes ein konsistentes axiomatisches Gebäude zu errichten.
Der wesentliche Unterschied in dem Zugang von Zermelo war, Mengen aus anderen Mengen nur durch erlaubte Operationen herzustellen. Zermelo verwendete wie Boole die Null als Zeichen für die leere Menge, und mit dieser Konvention kann man z.B. in Zermelos System eine neue Menge {0} konstruieren, d.h. eine Menge, die nur die leere Menge enthält. So erhalten wir eine Menge mit einem Element.
Man kann dann aus zwei Mengen eine neue Menge mit zwei Elementen erstellen, wie z.B. {0,{0}}. Durch solche Operationen, wie das Einsetzen als Element in eine Menge, oder durch Kombinationen von Paaren, Vereinigung und Schnitt von Mengen sowie zusätzliche Regeln kann man immer wieder neue Mengen anfertigen. Das ist der konstruktive Zugang zur Mengenlehre. Man kann damit ein Modell für die natürlichen Zahlen (d.h. 1,2,3, usw.) aufstellen und z.B. Peanos' Formalismus für die Arithmetik beweisen. Das ist dann des Logikers Himmel: Die ganze Mathematik wird auf Mengenlehre und Logik reduziert, wie es Gottlob Frege anstrebte.
Es ist eigenartig: In der Zermelo-Fraenkel-Theorie braucht man keine Individuen einzuführen. Man redet z.B. nicht über die Menge aller Buchstaben. Stattdessen redet man ausschließlich über Mengen und Mengen von Mengen, die über die erlaubten Operationen aufgebaut werden. Man startet mit der leeren Menge, die keine Elemente enthält. Da die Buchstaben a, b, c, usw. auch keine Elemente enthalten, sind sie eigentlich äquivalent zu der leeren Menge (!). Mit anderen Worten, außer den Operationen, um Mengen aus Mengen zu bauen, brauchen wir als Anker nur die leere Menge 0.
Das Diskursuniversum fängt mit einem einzigen Objekt an, und zwar mit dieser leeren Menge (in anderen Varianten der Theorie wird eine beliebige Menge genommen und aus dieser wird die leere Menge erzeugt). Neue Individuen können dann mit neu hergestellten Mengen identifiziert werden. Ein "a" könnte ich mit {0} identifizieren, ein "b" mit {0,{0}}, usw. Es ist wie im Computer, ich kann beliebige Zeichen durch eine Kette von Nullen und Einsen darstellen und so brauche ich nur das Binärsystem tief drin im Rechner.
Wirklich interessant ist, dass, um die Operationen der Mengenbildung anzuwenden, wir mit einem einzigen allererstes Objekt starten können. Und in der Zermelo-Fraenkel Theorie kann dieses Objekt das Nichts sein, die leere Menge. Aus dem Nichts als einziger handfester Ziegel wird das ganze Theoriegebäude errichtet. Die anderen Regeln stellen nur den "Mörtel" dar, um alle Teile unter- und miteinander zu befestigen. Russells-Monsterkonstrukt kann jetzt nicht mehr im System auftreten, da die von ihm vorgeschlagene ouroborosische Menge nicht mehr durch die gestatteten Regeln konstruierbar ist und das Ganze bleibt, zumindest an der Stelle, konsistent.
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