Das Paradies wird wieder aufgebaut
Über der Internationalen Tourismus Börse schwebt ein Heilsversprechen
Auf der Internationalen Tourismus Börse in Berlin sollen die Tsunami-Länder ein neues Image bekommen. Vom Aufbruch der Krisenregion zeugt, dass sie mit einer Extra-Halle auf der Messe präsent ist. Der Wiederaufbau vor Ort ist allerdings nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite liegt im kollektiven Imaginären. Dort ist das Paradies weniger an einen konkreten Ort gebunden, auch das Gedächtnis obliegt einer anderen Logik als die Bühnen des Tourismus.
Nach dem Tsunami vom 26.12.2004 ging ein Raunen durch alle Medienkanäle: Das Paradies ist erschüttert worden. Mittlerweile läuft der Wiederaufbau der verwüsteten Region auf vollen Touren und damit die Rekonstruktion des touristischen Traums. Die Strandsiedlungen sind häufig Fertigbaukonstruktionen, schnell und mit wenig Aufwand wiederhergestellt. Wenn rundherum die Spuren der Verwüstung noch nicht beseitigt sind, dann muss das den touristischen Konsum nicht stören. Touristen haben ein Kurzzeitgedächtnis. Außerdem begünstigen die Strandsiedlungen mit ihrer illusorischen Architektur den kognitiven Ausschluss der Außenwelt - heute wie gestern. Touristen sind es gewohnt die (teils mit ihrer Anwesenheit verbundenen) Probleme der Gastgeberländer auszublenden.
Darauf setzen die Aussteller der ITB. Die meisten haben an ihrem Ausstellungsdesign vom Vorjahr nichts geändert. Ob Bambushütten, Rümpfe von Flugzeugen oder Airport-Lounges - die Anbieter nähren mit Architekturzitaten touristische Sehnsüchte wie gehabt. Dezenter sind die Versuche die Katastrophe auszublenden an den Ständen von Sir Lanka. Dieses am zweitstärksten von dem Tsunami betroffene Land zeigt sich auf der ITB auch dieses Jahr im altvertrauten Gewand, mit einem kleinen Unterschied. Beworben werden weniger Strände, als vielmehr die anderen Vorzüge der Inselnation: Nationalparks, Tempel, etc. Die einzigen expliziten Tsunami-Referenzen finden sich wiederum im Thai-Sektor, wo ein Video von der Flut auf diversen Monitoren läuft. Und am Stand der World Tourism Organization, wo Poster mit dem Slogan "Holiday with your heart" hängen.
Das Posterimage zeigt eine Feriensiedlung in Thailand. Es ist Tag, die Sonne scheint, grüne Palmenwipfel spenden der darauf abgebildeten Geschäftsstraße Schatten. Alles wie gehabt, doch die Straße ist menschenleer, große Werbebanner sind über ihr aufgespannt worden: "Even TSUNAMI cannot beat us. We still make best home made pizza." Ein weiteres Werbebanner kündet das Live Konzert der "Sand Man Band" an. Seit dem 1. Februar diesen Jahres spielt sie jeden Abend von 22 bis 1 Uhr in der Phuket Bar.
Der Infotext unter dem Posterbild skizziert mit knappen Worten das Problem und fordert - an das Gewissen des Lesers/Touristen appellierend - "the immediate return of tourism". Die Branche sei für die meisten der dort lebenden Menschen die primäre Einkommensquelle. Der Tsunami habe sie arbeitslos gemacht. Neben dem Helfer-Argument heißt es auch: Der Großteil aller touristischen Einrichtungen sei intakt geblieben.
Sehnsuchtsorte im kollektiven Bewusstsein
Anders verläuft die imagologische Rekonstruktion des Paradieses. Verstörende Bilder haben wochenlang die Hiobsbotschaft von dem Tsunami illustriert und die Vorstellung von der perfekten Gegenwelt, seit jeher synonym mit dem Paradies, in einen Legitimationszwang gebracht. Doch musste die Vorstellung des Paradieses nicht schon immer mit dunklen Gedanken leben? Und welche Region wurde eigentlich von dem Tsunami getroffen? Das Paradies war doch im Grunde noch nie an einen konkreten Ort gebunden. In der Entdeckerphase hat diese Eigenschaft eine kontinuierliche Suche und fortlaufende Eroberungen katalysiert. Heute sind Paradiese durch Touristik-Unternehmen in Dienstleistungsmenüs zwar integriert worden: Die mit blumigen Fantasienamen bedachten Orte können jederzeit erreicht und gebucht werden. Doch spielt das Paradies in der gegenwärtigen Globalisierungsphase, in der die Zirkulation von Bildern einen ungekannten Grad erreicht hat, vor allem für die kollektive Fantasie eine größere Rolle als je zuvor.
Das beste Beispiel ist die Südsee. Die Südsee ist heute noch weniger als in der Entdeckerzeit ein konkreter Ort. Sie ist, wie die nackte Wilde am Strand, mit der sie synonym geworden ist, eine Fantasie und als solche stärker als der geografische Ort, der von den Landkarten des kollektiven Bewusstseins verschwunden ist. Die eurozentrische Perspektive von Weltkarten, die den Pazifischen Ozean in zwei Stücke teilt und an die Ränder des Weltsystems drängt, erklärt dieses Verschwinden nicht allein. Eher noch das Ausmaß der Erschließung und Erfindung des Planeten durch (laufende) Bilder. Durch ihre Intensität, aber auch durch ihre Logik Räume zu konstruieren, haben sie reale Orte zurückgedrängt. Dieser Umstand kann dazu beitragen, dass das Paradies in der Vorstellung eine Relevanz bekommt, die es für viele Menschen im wirklichen Leben nie haben wird. Wer von all jenen, die die fixe Idee von der Südsee in ihren Köpfen tragen, wird jemals tatsächlich dorthin aufbrechen?
Das Paradies existiert heute in erster Linie als ortslose Fantasie in der Massenkultur. Dort hat das Gedächtnis eine eigene Logik, man könnte mit Fredric Jameson von einer Schizophrenie der zeitgenössischen, post-modernen Kultur sprechen: Es gibt keine spürbare Grenze zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wie funktioniert also Vergessen? Wie kann der Tsunami überwunden werden? Die Erschütterung des Paradieses in einen Prozess des Wiederaufbaus überführt werden? Hier sind Restspuren der Erschütterung die Vorraussetzung für den Prozess der Wiederherstellung. Sie kanalisieren die Panik der Katastrophe und ordnen sie einer semiotisch organisierten Choreographie des Vergessens unter. Der Platz, der diesen Restspuren zugewiesen wird, sagt viel darüber aus, wie kompensiert wird. Vor allem jedoch auch: Dass Vergessen nicht ohne die Präsenz dessen funktioniert, was aus dem Gedächtnis gelöscht werden soll.
Schizophrene Lage
Dies zeigt sich nach dem 26.12.2004 besonders deutlich: Während die Bilderflut einen paradoxen Umgang mit der Katastrophe an den Tag legte, kann beim Wiederaufbau des Paradieses auf Referenzen zur unmittelbaren Vergangenheit nicht verzichtet werden. Die Struktur des massenmedialen Gedächtnisses kommt besonders gut bei einer Werbekampagne zum Ausdruck, die auf der ITB am Stand von Sri Lankan Airlines vorgestellt wird. Auf den Motiven sind zwei Zeiten übereinander geschichtet: Vergangenheit und Zukunft. Ersteres kommt im Gewand der Tradition daher: Ländlichkeit, Agrarwirtschaft, etc. Letzteres wird durch Situationen aus dem Alltag der Fluglinie repräsentiert. Hier naturverbundene Bauern bei der Feldarbeit, dort weltgewandte Flugbegleiter an Bord von Boeings oder am Flughafen der Hauptstadt.
Die Choreographie der Sujets erlaubt eine Schichtung wie bei einer Doppelbelichtung. Im Grunde sind die "Lichtjahre von einander entfernten Zustände" identische Situationen. Zwischen der ersten und der zweiten Aufnahme ist nur ein Moment vergangen. Dies wird beim Abtragen der oberen Schicht erkennbar: Ein handbreiter Streifen ist jeweils entfernt worden, der die untere Schicht zum Vorschein kommen lässt. Die Situation aus der vorgelagerten Zeitzone wird durch diesen Einbruch nicht ad absurdum geführt, sondern durch eine temporale Ebene erweitert. Diese Montage liefert überraschende Einblicke: Zwischen Zukunft und Vergangenheit gibt es einen nahtlosen Übergang und wer an der Oberfläche gräbt, trägt Schichten der Vergangenheit ab, um zu den Untiefen der Zukunft vorzustoßen: Die Schicht mit den Flughafen- und Flugbegleiter-Motiven liegt unter den traditionellen Images. Nicht umgekehrt!
In diesen Loops und Realitätsschleifen kommt nicht zuletzt das auch von der Berliner Zeitung konstatierte "Kommunikationsproblem" zum Ausdruck: Wie kann die südostasiatische Region in der Nach-Tsunamizeit mit einem neuen Image ausgestattet werden? Eine Frage, die jenseits der Wunschökonomie des Paradieses als fantastischer, post-geografischer Ort, nicht beantwortbar sein wird.