Das Patt von Bukarest
Der Showdown blieb aus beim NATO-Gipfel in Rumänien. Ein Ende der Differenzen zwischen dem Bündnis und Russland bedeutet das nicht
Als Militär wäre George W. Bush nach einem solchen Fehler vernichtend geschlagen worden. Weil der Kampf auf dem NATO-Gipfel in Bukarest aber auf diplomatischem Parkett ausgetragen wurde, kam er mit einem politischen Schaden davon. Denn während sich der US-Präsident vor dem Treffen bereits mit aggressiver Rhetorik ("Russland hat kein Vetorecht") ins Abseits manövrierte, konnte sein Gegenspieler aus Moskau mit versöhnlichen Tönen punkten. "Lasst uns Freunde sein, Leute", so Wladimir Putin.
Trotz dieses Theaters wird sich an der Frontstellung zwischen dem transatlantischen Bündnis und Russland nichts ändern. Und weil sich in Bukarest keine Seite durchsetzen konnte, oblag es den jeweiligen Redaktionen, das Ergebnis des Treffens ihrer politischen Ausrichtung nach zu bewerten. Zwar konnte Putin die Osterweiterung der NATO entgegen der US-Position zunächst verhindern. Doch alle führenden westlichen Vertreter hielten demonstrativ an der Aufnahme der Ukraine und Georgiens fest. Der Konflikt ist damit aufgeschoben, nicht aufgehoben (Gespielte Differenzen auf NATO-Gipfel).
Osterweiterung der NATO weiter offen
Ursprünglich war geplant, die beiden ehemaligen Sowjetstaaten in den Membership Action Plan, kurz MAP, der NATO aufzunehmen. Davon hat das Bündnis angesichts des russischen Widerstands Abstand genommen. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer aber sagte, er habe "nicht den Hauch eines Zweifels", dass beide Länder früher oder später in das Bündnis aufgenommen werden. Ähnlich äußerte sich die deutsche Bundeskanzlerin. Zugleich bot Angela Merkel Moskau einen engeren Dialog an. Der NATO-Russland-Rat solle künftig regelmäßig zusammenkommen, um die bestehenden Differenzen zu verhandeln, sagte die CDU-Politikerin.
Die Notwendigkeit für einen solchen Dialog besteht zweifelsohne. Denn nicht nur das Heranrücken der NATO an die russische Einflusssphäre sorgt in Moskau für Unmut. Auch die westliche Unterstützung der kosovarischen Sezession (Auf dem Weg in die Spaltung) und der geplante US-amerikanische Raketenschild sind ständige Streitthemen. Und schließlich war Russland aus Protest gegen die westliche Militärpolitik aus dem KSE-Vertrag über konventionelle Abrüstung ausgestiegen.
Hinter all diesen Streitthemen steht aus Moskauer Sicht die expansionistische Politik der NATO. "Das Entstehen eines mächtigen Militärblocks an unseren Grenzen würde in Russland als direkte Bedrohung der Sicherheit unseres Landes betrachtet werden", sagte Putin. Der Gebrauch des Konjunktivs interessierte niemanden, zumal der russische Präsident anfügte:
Erklärungen, dass dies keine Bedrohung für unser Land ist, sind nicht ausreichend. Die nationale Sicherheit wird nicht auf Versprechen aufgebaut.
Wladimir Putin
Damit bezog er sich unter anderem auf Angela Merkel. Sie hatte zuvor erklärt, die NATO sei "gegen niemanden gerichtet, schon gar nicht gegen Russland". Die politische Realität beweist das Gegenteil: Der Kampf zwischen Russland und dem (NATO-)Westen um den kaukasischen Raum steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Sicherung der dortigen Energieressourcen.
Bewegung in Afghanistan-Debatte
Einigkeit herrschte indes in der Afghanistan-Frage. Für Beobachter überraschend öffnete Russland seinen Luftraum für Militärtransporte nach Afghanistan. Bislang mussten die ISAF-Truppen über eine weitaus gefährlichere Route über Pakistan versorgt werden.
Die jüngste Eskalation in Afghanistan rückte den NATO-Militäreinsatz in dem zentralasiatischen Staat ins Zentrum der Bukarester Debatten. Auf Drängen des deutschen Verteidigungsministers Franz Josef Jung (CDU) wurde ein Konzept der vernetzten Sicherheit beschlossen. Die Verbindung von offensiven militärischen Einsätzen und "zivilem Wiederaufbau" ermöglicht es der Bundesregierung, sich aus dem heißen Krieg in Afghanistan weiter herauszuhalten. Deutsche Soldaten bleiben bis auf weiteres im ruhigeren Norden stationiert.
Dass sich Berlin mit dieser Position durchsetzen konnte, ist ein Zeichen für die politische Voraussicht in der NATO. Tote Bundeswehrsoldaten im Berliner Wahljahr 2009 würden die Garanten der transatlantischen Militärpolitik innenpolitisch weiter schwächen und den Kriegsgegnern Auftrieb verleihen. Auch in deren Lager dürfte das deutsche Konzept der "vernetzten Sicherheit" aber für Diskussionen sorgen. So hatte der Europaabgeordnete der Partei Die Linke, André Brie, in einem Positionspapier für den außenpolitischen Ausschuss des EU-Parlaments den "zivilen Wideraufbau" in Afghanistan ausdrücklich befürwortet. Dass diese Initiativen Teil der Besatzungspolitik sind, wurde in Bukarest einmal mehr deutlich und wird im linken Lager, aus dem der sofortige Abzug aus Afghanistan gefordert wird, weiter umstritten sein.
In einem Geheimpapier, das auf dem Gipfel zirkulierte, sollen bereits Rückzugsszenarien diskutiert werden. Die Pläne sollen überwiegend aus Deutschland stammen.
Angespanntes Verhältnis zu Russland
Wie schwierig das Verhältnis zu Russland weiterhin bleibt, lassen Äußerungen Putins vermuten, über die in der deutschen Presse auffallend wenig geschrieben wurde. So sagte der scheidende Präsident nach einer Meldung der Moskauer Nachrichtenagentur RIA Novosti:
Wir haben die Militärbasen in Kamran (Vietnam) und auf Kuba aufgelöst und alle unsere Truppeneinheiten aus Osteuropa abgezogen. Aus dem europäischen Teil wurden fast alle Großrüstungen entfernt. Und was haben wir bekommen? Einen Militärstützpunkt in Rumänien, wo wir uns befinden, und in Bulgarien sowie Basen der strategischen amerikanischen Raketenabwehr in Polen und Tschechien.
Wladimir Putin
Auch widersprach Putin der politischen Selbstdarstellung des transatlantischen Bündnisses. Die These einer "demokratisierenden Rolle" der NATO werde "stark übertrieben", sagte er, um auf das Beispiel Lettland zu verweisen. In dem neuen NATO-Staat lebten nach wie vor Hunderttausende staatenlose Menschen. Dieser Zustand werde von internationalen Organisationen verurteilt: "Der Beitritt Lettlands zur NATO hat für all diese Menschen nichts geändert."
Erneut mahnte Putin in Bukarest eine Rückbesinnung auf die UNO als internationales Forum an. Die NATO habe zwar ein bedeutendes Gewicht, die Hauptrolle aber müssten "die UNO und der UN-Sicherheitsrat" spielen. Den NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 und die einseitige Anerkennung des Kosovo durch NATO-Staaten bezeichnete Putin als "Schlag gegen das Völkerrecht", um abschließend festzustellen: "Der Erfolg unserer Zusammenarbeit hängt davon ab, wie sehr die NATO-Länder die Interessen Russlands berücksichtigen werden."
Für den russischen Präsidenten war es ebenso wie für seinen US-amerikanischen Amtskollegen George W. Bush der letzte Auftritt bei der NATO. Bis zum kommenden Jahr werden beide Politiker abtreten.