Das Pentagon lernt Go, um China zu verstehen
Seite 2: Allison: Die "Thukydides-Falle"
- Das Pentagon lernt Go, um China zu verstehen
- Allison: Die "Thukydides-Falle"
- Die Einschätzung des Pentagon zum Ende der US-amerikanischen Herrschaft
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Auch Graham Allison beklagt das Fehlen einer kohärenten China-Strategie der USA. Allison beriet die Präsidenten Ronald Reagan, Bill Clinton und Barack Obama in außenpolitischen Fragen. Schon lange steht Allison dem uns schon von Kevin Rudd bekannten Belfer Center for Science and International Affairs der Harvard Universität vor.3
Mit seiner Studiengruppe hat er die Wahrscheinlichkeit eines heißen Krieges zwischen den USA und China untersucht. Die Gruppe betrachtete sechzehn Fälle der Weltgeschichte, in denen eine Hegemonialmacht von einer aufstrebenden Macht herausgefordert wurde. Beunruhigender Befund: Zwölfmal wurde der Machtkampf durch einen heißen Krieg entschieden, lediglich viermal verlief die Wachablösung friedvoll.
Nur wenige Fälle passen allerdings bei Licht besehen auf die aktuelle Situation, mit der wir uns hier befassen. Als die USA im neunzehnten Jahrhundert Großbritannien überholte, ging dies friedlich aus, da, so Allison, die beiden Konkurrenten sich geografisch zu fern und kulturell zu nahe waren. Als Deutschland um die Jahrhundertwende Großbritannien herausforderte, waren sich die Kontrahenten geografisch zu nahe; man kam sich ins Gehege trotz kultureller und dynastischer Nähe.4
Allison hat den Fall, dass ein Konflikt zwischen einem Champion und seinem Herausforderer blutig ausgeht, mit dem Begriff "Thukydides-Falle" belegt. Denn der antike Stratege und Historiker Thukydides hat die für beide Seiten vernichtende kriegerische Auseinandersetzung zwischen dem dominierenden Sparta und dem aufstrebenden Athen eindringlich beschrieben.5
Seine Befunde zur Thukydides-Falle hat Allison nun in einem Buch der breiten Öffentlichkeit vorgestellt.6 Das Buch wird von den Eliten in den USA und in China gleichermaßen eifrig rezipiert. Es lag auf dem Beistelltisch, als sich Obama und Xi Jinping in Beijing trafen. Es lag wieder auf dem Tisch, als Xi Jinping eine Delegation US-amerikanischer Milliardäre und Turbointellektueller empfing.
Zunächst klingt Allisons Botschaft eher beruhigend: Die USA sind nicht - und können auch gar nicht - interessiert sein an einem heißen Krieg. Denn nach einem heißen Krieg dürften sie das Schicksal Athens und Spartas teilen und als Großmächte vom Globus verschwinden.
Zum einen verfügen beide Seiten über so starke nukleare Vernichtungskapazitäten, dass ein Erstschlag Selbstmord bedeuten würde. Dasselbe trifft auch für einen potentiellen Wirtschaftskrieg zu. USA und China sind miteinander wirtschaftlich verwoben wie siamesische Zwillinge. Wie schon zuvor Kevin Rudd in seiner Analyse kommt auch Allison zu dem Schluss, dass nur ein Scharmützel auf unterster Ebene zum Selbstläufer werden könnte und so den ganz großen Knall verursacht.
China: Grundsätzlich nicht an heißen Kriegen interessiert
Grundsätzlich ist insbesondere China aber traditionell nicht an heißen Kriegen interessiert. Territorial ist China nach der Einverleibung Tibets und der Sinisierung Sinkiangs vollkommen gesättigt. China ist als Kaufmannsnation primär an der Schaffung optimaler Vernetzungen für seine wirtschaftlichen Ambitionen interessiert: "China betreibt seine Außenpolitik durch Wirtschaft, weil es sich das, um es klar zu sagen, leisten kann."
Chinesen sind geprägt von einer "tiefen Abneigung gegen physischen Zwang aufgrund ihrer tiefen Verankerung in der konfuzianischen Lehre." Für China ist "das Militär nur das allerletzte Mittel … Aufgrund der zentripetalen Orientierung chinesischer Zivilisation bemüht sich ihre Außenpolitik, eine internationale Hierarchie aufrechtzuerhalten, und nicht seine Grenzen durch militärische Eroberung auszudehnen."
Es gab in der jüngeren Vergangenheit drei Fälle, in denen China tatsächlich wagte, einen weit überlegenen Gegner anzugreifen: 1950 die USA in Korea; 1969 die Sowjetunion beim Ussuri-Konflikt und schließlich 1996 in der Taiwan-Frage. Das ist dann doch irgendwann beigelegt worden. Aber schon Clausewitz hatte auf den "Nebel des Krieges" als große Gefahr hingewiesen: Wo Informations- oder Befehlsketten unterbrochen sind, entscheiden untergeordnete Stellen autonom, und entfachen unfreiwillig die Glut.
Ein Krieg kann auch heiß werden, wenn gar keine Strategie existiert. Und das sei im Falle der USA gegeben. Der Saxophonist Bill Clinton sagte, er benötige keinen Meisterstrategen wie dereinst George Kennan. Außenpolitik sei wie "Jazz-Improvisation".
Der Altmeister Allison, der nichts mehr zu verlieren hat, geht mit dem außenpolitischen Establishment in Washington hart ins Gericht. Umso wichtiger ist ihm, die wirtschaftliche Nähe und die gemeinsamen Interessen der beiden Großmächte hervorzuheben, um - sagen wir es mal mit Egon Bahr - einen Wandel durch Annäherung zu bewerkstelligen.
Strategie und Strategeme - überwältigende Kraftentfaltung und Technik
China ist kulturell von den USA extrem unterschieden. Zudem betrachten sich die Chinesen als Bewahrer einer fünftausend Jahre alten Zivilisation, als Mitte zwischen Himmel und Erde und als fünfte Himmelsrichtung, als Zentrum und Bauchnabel der Welt.
Aus chinesischer Sicht sind eigentlich die USA der Herausforderer und Usurpator, der einen vorübergehenden Schwächeanfall der Chinesen ausgenutzt hat. Auch den US-amerikanischen Strategen wird klar, dass sie sich wahrscheinlich tiefer in die chinesische Welt hineinversenken müssen, als bislang angenommen.
Schon im Jahre 2002 stellte ein Kongressausschuss fest: "das strategische Denken und die militärische Planung der Chinesen unterscheiden sich wesentlich von dem unseren. Das unterstreicht die Notwendigkeit, diese Unterschiede sorgfältiger unter die Lupe zu nehmen … die Gefahren einer Fehleinschätzung, von misslungener Kommunikation und von Missverständnissen sind groß wegen der wesentlichen Unterschiede im Denken und Planen der beiden Länder … "
Und weil sich daran bis heute wohl nichts geändert hat, erinnert Allison nachdrücklich an ein Strategiepapier aus dem Jahre 2004 des dem Pentagon zuarbeitenden Strategic Studies Institute, das anhand der Struktur des chinesischen Brettspieles Go die Strategie der Chinesen erschließen möchte.
Dessen Verfasser David Lai verweist auf den chinesischen Militärstrategen Sunzi, dessen Philosophie darin besteht, militärische Mittel möglichst sparsam einzusetzen:
In seinem (Hauptwerk) "Die Kunst des Krieges" behandelt Sunzi die politische, diplomatische und logistische Vorbereitung zum Krieg, die Durchführung des Krieges und die Nachbereitung des Krieges als integrale Bestandteile des Krieges. In diesem weitgefassten Rahmen ist die Kunst des Krieges in ihrer Essenz der Prozess der Diplomatie; den Krieg auszufechten ist lediglich ein Teil der Diplomatie mit anderen Mitteln.
David Lai
Lai sieht einen tiefen inneren Zusammenhang zwischen den nicht-linearen Strategemen Sunzis und den hochkomplexen Spielzügen beim Brettspiel Go. US-Strategen, die sich darauf einlassen, können tiefer in das strategische Denken der Chinesen eindringen und die eigene Strategie darauf einstellen. Der Unterschied: "Die Chinesen legen die Betonung auf Strategie und Strategeme, während der Westen sich eher auf überwältigende Kraftentfaltung und fortgeschrittene Technologie verlässt."