Das Pentagon lernt Go, um China zu verstehen
Seite 3: Die Einschätzung des Pentagon zum Ende der US-amerikanischen Herrschaft
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Damit habe der Westen sich bis dato die ganze Erde untertan gemacht, sei nun aber an seine Grenzen gestoßen. Demgegenüber verkündet ausgerechnet ein Denkpapier des US-Verteidigungsministeriums vom Juli dieses Jahres das Ende der US-amerikanischen Vorherrschaft (post-primacy).
Natürlich glauben die Verfasser nicht, dass die Hegemonie der USA bereits gebrochen ist - sie wollen ihre Schrift eher als einen "Weckruf" verstanden wissen. Das Umfeld ist für die Vorherrschaft der USA in den letzten Jahren immer ungünstiger geworden. Unzählige staatliche und nicht-staatliche Akteure setzen der Ordnungsmacht USA mit unzähligen Nadelstichen zu.
Diese Entwicklung vollzog sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Verbündeten schleichend. In der ersten Phase nach dem Kalten Krieg genossen die USA eine einmalige Monopolstellung als größte Militärmacht weltweit. In der Phase nach dem 11. September 2001 befanden sich die USA sodann in asymmetrischen Konflikten mit global agierenden Terrornetzwerken, konnten aber ihre Verbündeten für den gemeinsamen Kampf gegen den Terror motivieren.
Doch jetzt, in der post-primacy-Ära, zerbröseln die Strukturen, Freund und Feind sind gleichermaßen zerfallen wie Figuren aus Sand: "Auflösung des politischen Zusammenhalts und der Identität - ein fortwährender Konflikt 2.0, während man auf Treibsand boxt."
Fünf Symptome der "Post-Primacy"
Es ist nicht mehr klar, wer Informationen austeilt, nichts ist in der virtuellen Grauzone zu verorten. Die US-Militärs machen die post-primacy an fünf Symptomen fest:
- Hyperkonnektivität und Zweckentfremdung von Information als Waffe (weaponization of information), Desinformation und Unzufriedenheit;
- Ein rasch zerfallender Status Quo der Nach-Kalter-Kriegszeit;
- Verbreitung, Diversifizierung und Atomisierung des Widerstands gegen die USA;
- Wieder auflebender, jedoch umgewandelter Wettbewerb der Großmächte;
- Gewaltsame oder zersetzende Auflösung des politischen Zusammenhalts und der Identität
Viele Hunde sind des Hasen Tod: "Aufeinanderfolgende globale Ereignisse werden sich schneller ereignen, als das US-Verteidigungsministerium reagieren kann … Soweit das Pentagon zukünftige Strategien und Risiken erwägt, wird es notgedrungen zurechtkommen müssen mit einer allgemeinen Erosion oder Auflösung von traditionellen Autoritätsstrukturen." Und das nicht nur im zerrütteten Mittleren Osten, sondern weltweit.
Ein erstaunliches Armutszeugnis, das das Pentagon sich selber ausstellt. Doch schon der Volksmund weiß: "Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung." Eine realistische Fehleranalyse, wie sie jeder Wirtschaftsbetrieb unter Konkurrenzdruck auf Leben und Tod durchführen muss, ist nicht Sache der Pentagon-Strategen.
Dass die Zerstörung von sozialen Strukturen und Nationalstaaten, die Untergrabung des Gewaltmonopols souveräner fremder Staaten durch US-Geheimdienste und durch marktradikale Netzwerke einen nicht unbeträchtlichen Anteil an der zunehmenden Unübersichtlichkeit weltweit tragen könnte, ist dem SSI-Bericht nicht zu entnehmen.
Die Tendenz zur Externalisierung hausgemachter Übel herrscht in US-amerikanischen Fehleranalysen vor. Im Zweifelsfall sind dann die bösen Russen schuld mit ihrer weaponization of information.
Und das ist nach all den positiven Ansätzen, die Kevin Rudd und Graham Allison dem politischen Establishment in Washington angeboten haben, um in einen konstruktiven Dialog mit Chinas Machtelite einzutreten, als Symptom der Lernresistenz des Pentagons ganz schön beunruhigend.