Das Pestizid-Nord-Süd-Dilemma

Seite 3: Exporte von Pestiziden, deren Verwendung im Herstellerland verboten ist

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Zwar verdeutlicht der vorliegende Bericht, dass es keinen Mangel an internationalen und nationalen Rechtsvorschriften sowie unverbindlichen Richtlinien gibt, doch scheitern diese Instrumente oft, wenn sie Menschen und Umwelt konkret vor den Auswirkungen von Pestizideinsätzen schützen sollen. Die Wirksamkeit dieser Instrumente leidet unter ihrer halbherzigen Umsetzung, der es nicht gelingt, spürbaren Einfluss auf die Geschäftspraktiken zu nehmen.

Als besonders unwirksam beschreibt der UN-Bericht die vorhandenen Instrumente zur Bewältigung eines grenzüberschreitenden, globalen Pestizidmarktes.

Monocrotophos. Das Insektizid mit einer hohen akuten Giftigkeit für Warmblüter ist in Europa und in den USA nicht mehr zugelassen, wird aber nach wie vor für den Export produziert. Teile der Ausfuhr kehren später in die Herstellerländer zurück - als Rückstände in Lebensmitteln. Bild: Bernd Schröder

In vielen Fällen werden gefährliche Pestizide, die für den Einsatz in Industrieländern nicht oder nicht mehr zugelassen sind, in Entwicklungsländer exportiert. Bestehende Bestände obsoleter Pestizide werden aufgebraucht, oder sie werden gleich für den Export produziert - in vollem Bewusstsein, dass sie nicht zur Nutzung in dem Land zugelassen sind, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat. Der vorliegende UN-Bericht bewertet die Inkaufnahme schwerer gesundheitlicher Schäden oder von Todesfällen als eine klare Menschenrechtsverletzung.

Das Rotterdamer Übereinkommen über den Handel mit gefährlichen Chemikalien (PIC-Übereinkommen, von prior informed consent - vorherige Zustimmung nach Inkenntnissetzung) soll zur Chemikaliensicherheit im internationalen Handel mit Gefahrstoffen beitragen und vor allem Entwicklungsländer vor der unkontrollierten Einfuhr von gefährlichen Chemikalien schützen. Es trat 2004 in Kraft. Mittlerweile sind 156 Staaten beigetreten. Die USA haben das Abkommen unterzeichnet, jedoch nicht ratifiziert.

Wollen dem Abkommen beigetretene Staaten gefährliche Chemikalien exportieren, die zum Schutz von Gesundheit oder Umwelt im Herstellerland selber nicht zugelassen sind, müssen sie die Importeure über die bestehenden Verbote oder Reglementierungen der Anwendung im eigenen Land in Kenntnis setzen und sicherstellen, dass der Importeur der Einfuhr zugestimmt hat - wenn sich die Stoffe auf einer eigens dafür erstellten Liste befinden. Auf der aktuellen PIC-Liste sind derzeit 47 Chemikalien eingetragen, darunter 33 Pestizide. Sollen Chemikalien exportiert werden, die nicht im Rahmen des Übereinkommens aufgeführt sind und einem Verbot oder strengen Beschränkungen auf eigenem Hoheitsgebiet unterliegen, ist dem importierenden Land Mitteilung zu machen.

Einige wenige Länder wie Ecuador oder Vietnam verbieten automatisch die Nutzung der PIC-gelisteten Chemikalien. Ärmere Länder können sich solche Verbote nicht leisten. Ihre Kosten-Nutzen-Rechnung verlangt den Einsatz von Pestiziden, die in der Anschaffung am preiswertesten sind. Die ökologischen Folgen vor Ort sind von untergeordneter Bedeutung. Doch die bleiben nicht auf die Importländer beschränkt: atmosphärische Transportprozesse beispielsweise tragen zu ihrer global weiträumigen Verteilung bei.

Parathion, in Deutschland früher auch als E605 bekannt. Das in den 1940er Jahren von Gerhard Schrader für der IG Farben entwickelte Insektizid wird vom Pesticide Action Network als eines der gefährlichsten Pestizide angesehen. Seine Nutzung ist in 23 Ländern verboten oder nur begrenzt erlaubt, der Import ist in 50 Ländern illegal. Die Substanz findet sich auf der PIC-Liste im Anhang des Rotterdam-Abkommens wieder und kann bei Bedarf - unter Berücksichtigung der geltenden Auflagen - weiterhin exportiert werden. Bild: Bernd Schröder

Als Nachteil des Rotterdam-Übereinkommens gilt die geforderte einvernehmliche Entscheidungsfindung, so dass ein Land die Auflistung von gefährlichen Pestiziden wie zum Beispiel Paraquat behindern kann.

Pestizidabfälle und andere Probleme

Eine Regulierung von Pestiziden über ihren gesamten Lebenszyklus geschieht nur dann, wenn sie in die engen Kriterien des Stockholmer Übereinkommens oder des Montrealer Protokolls passen. Das ist für die überwiegende Mehrheit der gefährlichen Pestizide nicht der Fall.

Eine andere große Herausforderung stellen Pestizidabfälle dar. Tausende von Tonnen veralteter Pestizide lagern verstreut über die ganze Welt. Einige der Bestände sind fast 30 Jahre alt und stellen vor allem in den Entwicklungsländern eine Gesundheitsgefährdung dar. Daten deuten darauf hin, dass sich mehr als 20 Prozent davon aus POPs zusammensetzen, langlebigen organischen Schadstoffen, die gegen ihren Abbau in der Umwelt resistent sind.

Außerdem droht der moderne internationale Handel, die Standards zum Schutz vor toxischen Pestiziden zu senken und gleichzeitig das Risiko für die Umwelt und die Bürger zu erhöhen - auch in den Industrienationen. Die durch TTIP beabsichtigte regulatorische Konvergenz soll gemeinsame Standards auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herunterbrechen. Bisher geltende Schutzregelungen könnten dann plötzlich als Handelshemmnisse bewertet werden.

Vor diesem Hintergrund ist auch der aktuelle Kampf verschiedener Philosophien der Risikobewertung in der Chemikalienregulierung zu sehen. Das in Europa praktizierte Vorsorgeprinzip wird unterwandert, um einem wie in Nordamerika angewandten risiko-basierten Ansatz Platz zu machen. Auch der anhaltende Streit um die Neuzulassung von Glyphosat in der EU kann in diesem Licht gesehen werden.

Die Europäische Chemikalienagentur ECHA hatte am 15. März 2017 mitgeteilt, dass Glyphosat zwar die Augen ernsthaft schädigen kann und chronisch giftig für Wasserlebewesen ist, die wissenschaftliche Datenlage es aber nicht erlaube, die Substanz als karzinogen einzustufen. Die EU-Kommission hatte daraufhin angekündigt, dass bis spätestens Ende des Jahres über die erneute Zulassung entschieden werde.

Paraquat. In Europa ist die Verbindung nicht mehr zugelassen, wird aber nach wie vor hergestellt. Das Herbizid kommt noch in 100 Ländern der Welt auf die Felder. Allein in den USA wird es nach wie vor in einer Größenordnung von 3000 Tonnen pro Jahr eingesetzt. Paraquat wird mit der Parkinsonkrankheit in Verbindung gebracht. Versuche, die Substanz im Rahmen des Rotterdamer Übereinkommens auf die PIC-Liste zu setzen, scheiterten am Einspruch Indiens und Guatemalas. Bild: Bernd Schröder