Das Pestizid-Nord-Süd-Dilemma

Seite 2: Pestizide zur Sicherstellung der Nahrung - ein Mythos?

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Die Weltbevölkerung wird voraussichtlich von heute sieben auf neun Milliarden Erdenbürger im Jahr 2050 anwachsen. Die Pestizid-Industrie argumentiert, dass ihre Produkte im Wert von jährlich rund 50 Milliarden US-Dollar wichtig seien für den Schutz der angebauten Kulturen und zur Sicherstellung einer ausreichenden Nahrungsversorgung.

Für Hilal Elver, Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, ist das ein Mythos. Die Behauptung sei nicht nur falsch, sondern gefährlich irreführend. Grundsätzlich gebe es genügend Nahrung, um die Welt zu versorgen. Nach Angaben der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) könnten heute neun Milliarden Menschen ernährt werden. Mit mehr Pestiziden sei dem Hunger nicht beizukommen. Die Nahrungsmittelproduktion nehme definitiv zu. Die Ursache des Hungerproblems sei vielmehr in Armut und unausgeglichenen Produktions- und Verteilungssystemen zu suchen.

Viele der Pestizide würden letztlich in der Erzeugung des Rohmaterials von Pflanzenöl-Kraftstoffen der ersten Generation verwendet, wie etwa Palm-oder Sojaöl, und nicht zur Produktion von Nahrungsmitteln. Die Konzerne beschäftigten sich nicht mit dem Welthunger, sie dehnten vielmehr die intensive Landwirtschaft auf immer grösseren Flächen aus.

Vertretern der Agrarchemie gehen diese Behauptungen zu weit. Ein Sprecher der Crop Protection Association, der Pestizidhersteller in Großbritannien vertritt, merkte, dass die Landwirte ohne Pflanzenschutzmittel bis zu 80% ihrer Ernten an schädliche Insekten, Unkraut und Pflanzenkrankheiten verlieren könnten.

Pestizide in der Landwirtschaft

Die Menge an Pestiziden, die zum Schutz der Kulturen benötigt wird, hängt von der Robustheit des landwirtschaftlichen Systems ab. Wenn die Kulturen an ungeeigneten Orten angebaut werden, neigen sie dazu, anfälliger für Schädlinge und Krankheiten zu sein.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde die Biodiversität in der Landwirtschaft stark reduziert. Neben dem Sortenangebot wurde auch die angekoppelte Wildflora- und Fauna ausgedünnt. Das Ergebnis ist ein Verlust von Ökosystemleistungen wie die natürliche Schädlingsbekämpfung durch Räuber und ein Verlust der Bodenfruchtbarkeit. Hochleistungsfähige Sorten reagieren zwar gut auf chemische Unterstützung, sind aber anfälliger für Schädlinge und Krankheiten.

Da die meisten Saatgutunternehmen jetzt im Besitz von agrochemischen Unternehmen sind, besteht an der Entwicklung von robusten Sorten nur ein begrenztes Interesse. Doch eine erfolgreiche Drosselung der Pestizidfracht erfordert die Wiedereinführung der Vielfalt in die Landwirtschaft und die Trennung von den Monokulturen einzelner Sorten.

Der UN-Bericht betont, dass Pestizide trotz ihrer weit verbreiteten Verwendung in den letzten 40 Jahren zu keiner Verringerung der Ernteverluste geführt hätten. Das wird auf ihre wahllose und nicht selektive Anwendung zurückgeführt, die nicht nur Schädlinge tötet, sondern auch ihre natürlichen Feinde - und als Kollateralschaden Nutzinsekten.