Das Recht auf Anonymität in den Netzen
Man protestiert gegen die "Zensur" des Netzes und will keine Regulierungen. Aber damit billigt die scheinbar liberale Internet-Gemeinde nur die permanente Verletzung des Rechts auf Privatheit, wie sie im WWW an der Tagesordnung ist.
Große Aufregung herrscht im Internet schon geraume Zeit wegen des von der amerikanischen Regierung gebilligten Communication Decency Acts, das die Verwendung von "unsittlichen" oder "offensichtlich anstößigen" Worten oder anderen Darstellungsformen verbietet. Noch immer sind manche der Websites schwarz, eine Blue Ribbon Kampagne wurde gestartet und man macht auf Aufregung, weil dadurch die Demokratie in Frage stünde.
Auch unser Minister Rüttgers hat zur Eröffnung der CeBit in den Chor eingestimmt, daß man nun endlich den Schmuddelkram aus dem Internet befördern müsse. Gleichwohl hat man das Gefühl, daß bei aller berechtigten Kritik und dem Motiv, den Anfängen zu wehren, hier nur eine große Show abgezogen wird, die die Internet-Gemeinde von anderen Schauplätzen ablenkt. Die unbedingte Freiheit der zirkulierenden Daten betrifft aber nicht nur die ungehinderte Freiheit der individuellen Meinungsäußerung, sondern auch deren Registrierung und Verwendung für nicht immer wünschenswerte Zwecke. Man erzählt bereits, daß am MIT daran gedacht wird, persönliche Daten auf einem Chip zu speichern, der in einem Schuh untergebracht ist. Beim Händedruck werden diese dann auf den Chip der anderen Person übertragen - natürlich nur, um sich das Überreichen einer Visitenkarte zu ersparen.
Ein viel größeres Problem als das Verbot von Worten wie "Scheiße" oder pornographischen Bildern scheint mir das Recht auf Anonymität zu sein, das möglicherweise just auch von den Betreibern jener Webseiten verletzt wird, die mit stolzgeschwellter Brust und im Namen der Freiheit gegen das Telekommunikationsgesetz protestieren und in vermeintlich bestem Gewissen den Hintergrund ihrer Seiten demonstrativ einschwärzen. Vielleicht wissen die wenigsten Benutzer und manchmal sogar die Betreiber gar nicht, daß die normale Software jedes Providers automatisch jeden Zugriff auf eine Seite erfaßt. Dabei werden die Adresse vom Rechner und der Zeitpunkt des Zugriffs protokolliert. Das kann dann nach Belieben ausgewertet werden, etwa um die Attraktivität von bestimmten Angeboten zu erfahren oder um herauszubekommen, von wem die Zugriffe getätigt wurden.
Solange es sich dabei nur um Rechneradressen handelt, ist das noch nicht so schlimm, sobald aber personenbezogene Daten, also der auf eine Person beziehbare Teil einer Rechneradresse, erfaßt werden, geschieht dies ohne Rechtsgrundlage und handelt es sich um einen Eingriff in das Recht auf Anonymität. In aller Regel werden die unwissenden Benutzer nicht einmal gefragt, ob sie mit der Erfassung und Speicherung ihrer Adresse einverstanden sind. Sie werden auch nicht darüber informiert, was mit diesen Informationen geschieht, aus denen man Kommunikations- und Verhaltensprofile erstellen könnte, die gerade auch für die Werbenden interessant sind. Noch ist dieser Bereich ungeregelt und jeder macht, was er will. Das Fernmeldegeheimnis, wie es beim Telefon garantiert wird, kommt hier seltsamerweise (noch) nicht zur Anwendung.
Zwingend sollte es sein, daß zumindest jeder Provider, sofern er eine Nutzerstatistik erheben will oder dies muß, um seine Werbekunden zu befriedigen, dem Benutzer mitteilt, daß eine Erfassung stattfindet und ob diese personenbezogene Daten mit einschließt. Rechtlich müßte vorgeschrieben werden, daß dafür eine Einwilligung des Benutzers notwendig ist und angegeben wird, zu welchem Zweck die welche Daten verwendet und wie lange sie gespeichert werden.
Herbert Kubicek, der Leiter der Forschungsgruppe Telekommunikation an der Universität Bremen, wies während einer Veranstaltung auf der CeBIT '96 darauf hin, daß auch viele von Ministerien, Ländern oder Kommunen betriebene WWW-Server solche Nutzerstatistiken auswerten, die das Recht auf Anonymität eklatant verletzen. Warum diskutiert man nur über Pornographie und das Verbot von "anstößigen" Worten oder Bildern, nicht aber über den Datenschutz der einzelnen Benutzer? Für Kubicek gibt es derzeit eine unheilige Allianz zwischen Unternehmen, die an so vielen Daten wie möglich interessiert sind, und einer mißtrauischen Benutzergruppe, die überhaupt keine Regelungen wollen, dafür aber wissentlich oder aus einer zu kurz greifenden Reflexion heraus die Verletzung des Datenschutzes in Kauf nehmen. Natürlich müßten, wie immer beim Internet, zur Wahrung des Datenschutzes internationale Vereinbarungen getroffen werden, denn jede nationale Regelung wäre nur Makulatur.
Regelungen alleine reichen allerdings nicht aus. Daher hat Kubicek mit seiner Forschungsgruppe auch eine technische Lösung entwickelt: "Mit der Einfügung eines kleinen Programms in die Server-Software kann der Teil der Rechneradressen, der personenbeziehbar ist, gelöscht oder überschrieben werden." Das Programm, entwickelt mit der Unterstützung des BMBWFT, kann über die Homepage der Forschungsgruppe Telekommunikation abgerufen werden, technische Auskunft erteilt Andreas Blome.
Vielleicht könnten ja die Netzsurfer jene Betreiber, in deren Seiten sie sich einloggen, auch einmal fragen, wie sie es mit dem Recht auf Anonymität halten, und sie dazu auffordern, die Karten offenzulegen.