Virtueller Raum oder Weltraum?
- Virtueller Raum oder Weltraum?
- 1. Das Metaversum
- 2. Die Ideologie des Cyberspace
- 3. Die Übergangslösung BIOSPHÄRE II
- 4. Der Weltraum
- Schluß
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Raumutopien des digitalen Zeitalters
Das digitale Zeitalter scheint mit den Computernetzwerken und dem Eintritt in den Cyberspace die Geopolitik hinter sich zu lassen. Doch das ist nur ein Mythos. Der Drang zur Kolonalisierung des Raums scheint stärker denn je zu sein. Ein Streifzug durch einige Raumideologien und Überlebenskapseln im Cyberspace.
Volk ohne Raum oder: Wo ist der Wilde Westen?
Vor der Jahrtausendwende wachsen die Endzeit-Ängste. Man glaubt, über eine Schwelle in ein neues Zeitalter zu gehen, während das alte mit seinen Krisensymptomen hinter einem zusammenbricht. Das symbolische Datum eines Kalenders, der sich durch die Kolonialisierung weltweit verbreitet hat, aber der nichtsdestoweniger willkürlich ist, was die Zählung der Jahre seit dem Punkt Null betrifft, zieht die Menschen in den Bann. Auch ohne Erwähnung des symbolischen Datums wähnen wir uns - was seit der Moderne, die sich selbst diesen Namen gegeben hat, zur permanenten Sorge oder Hoffnung wurde - in einer Situation des fundamentalen Umbruchs. War man bis vor kurzem aber im postmodernen Klima der nuklearen Bedrohung und der Grenzen des Wachstums in einem versperrten Horizont mit dem Blick nach rückwärts eingefangen, der höchstens Zeremonien des Abschieds zuließ, die Intellektuellen zur Predigt der Nachgeschichte und Verdammung des Rationalismus brachte, der Esoterik und anderen Heilslehren zur Konjunktur verhalf und ansonsten nichts Neues versprach, so scheint allmählich das Technoimaginäre das Bewußtein der Menschen zu ergreifen und für neue Utopien zu sorgen. Eingesperrt im Wrack des Raumschiffs Erde sehnt man sich nach einem unbelasteten und freien Raum, der die utopischen Energien bindet, weil er noch leer ist und mit allen Erwartungen gefüllt werden kann. Anders als von vielen prophezeit, wird der Raum im Zeitalter der Virtualität erneut zur Obsession.
Noch immer - und vielleicht angesichts der Globalisierung und Virtualisierung desto auffälliger und paradoxer - gehen Kriege und Bürgerkriege auch um die Macht über den geographischen Raum, und das nicht mehr primär wegen der lokalen Ressourcen oder der in Infrastruktur gebundenen wirtschaftlichen Macht. Man will, je einheitlicher die Weltkultur wird, die in alle Nischen eindringt, desto nuancierter unter sich sein, was immer auch dies bedeuten mag. Während regionale Kämpfe um Territorien für homogene ethnisch, religiös oder schichtenspezifisch basierte Gemeinschaften geführt werden, steht im Bewußtsein der Menschen aber auch das Ganze auf dem Spiel. Die wachsende Bevölkerung des Erdballs läßt altbekannte Ängste aufkommen, zu einem Volk ohne Raum zu werden, während das Ruinierungsprogramm der Biosphäre offenbar ohne große Kursänderungen weiterläuft und sich sogar nach dem Ende des Kalten Kriegs noch zu beschleunigen scheint, da nun viele Länder mit dem Instrument des Kapitalismus und der neuen Technologien den Entwicklungs- und Lebensstandard der westlichen Welt erreichen wollen und durch die Globalisierung der Ökonomie etwa lokal erzielte ökologische Standards niedergerissen werden, wenn sie nicht in Geld unmittelbar umgesetzt werden können. Die Zivilisation hinterläßt verbrannte Erde und zerstörte Städte. Die Phantasie, wie sie in den Science-Fiction-Filmen zur Geltung kommt, schwelgt in solchen unlebbaren Zonen besonders der urbanen Existenz.
Probleme des Standortes, der mit dem Cyberspace und der dadurch erfolgenden Globalisierung unterspült wird, führen seltsamerweise wieder in die Geopolitik und in die geopolitisch verankerte Identität der Verlierer zurück. Standortsicherung heißt, daß es um Selbstbehauptung in einem begrenzten Raum geht, um ein Hier, um eine Insel, die gegen des Außen verteidigt werden muß. Überdies ist mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten der Kapitalismus alternativen- und schrankenlos geworden, während gleichzeitig das jeweilige Reich des Bösen abhanden kam. Das Böse ist zerfleddert und siedelt sich im Inneren der Systeme an, zieht sich quer durch sie hindurch und wird durch Omnipräsenz unfaßbar. Ein Feind, der klar erkennbar im Reich des Bösen haust, schweißt die Menschen trotz aller Unterschiede zusammen, macht das jeweilige System in seinen Grundlagen unangreifbar. Verschwindet der äußere, identifizierbare Feind, dann taucht er von innen auf, breitet sich Angst, Unsicherheit und Lähmung aus, werden offenbar staatliche Regeln und Institutionen, die den sozialen Frieden durch Ausgleich wahren, als Unterdrückung der Individualität empfunden, verschwindet hinter der Individualisierung die Verpflichtung aufs Gemeinwohl.
Das Gefühl, an einer Schwelle zu stehen, wird mit der Wiederkehr des Raums buchstäblich, während man gleichwohl von Gemeinschaften träumt, in denen es sich in Frieden leben läßt. Ebenso wie sich im Internet, der großen, globalen Spielwiese des Cyberspace, die Intranets mit ihren Firewalls immer mehr einschleichen und die freie Bewegung verhindern, aber gleichzeitig dessen Infrastruktur benutzen, propagiert man die absolute Freiheit der einzelnen, während die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche und damit deren Privatisierung voranschreitet und neue Grenzen schafft.
Die existentiellen Koordinaten des Raums sind Ein- und Ausschluß, innen und außen, das Eigene und das Fremde. Wenn man nicht überrollt werden oder nur reaktiv seine Grenzen bewahren und sichern will, dann scheint man die Richtung umkehren zu müssen: Man muß aufbrechen in neue Räume, die man kolonialisiert, denen man die eigenen Gesetze aufzwingen kann, die Freiheit, Reichtum und Abenteuer versprechen, die einen hoffnungsvoll vorwärts und in die Zukunft schauen lassen, die Orientierung verschaffen, was, zumindest traditionell, immer mit einer Trajektorie im Raum, mit Fortschritt, mit dem Verlassen des Cocooning verbunden ist.
Zwar hatten die europäischen Staaten in ihrer Vergangenheit eben diesen Ausgriff im Zeitalter des Kolonialismus und Industrialismus vollzogen, aber sie mußten sich nicht nur Schritt für Schritt zurückziehen, sondern stehen jetzt auch in Gefahr, ihre Vorherrschaft zu verlieren und von den einstmals beherrschten und ausgebeuteten Ländern überrundet zu werden. Der Sog hat bereits eingesetzt, der Kapital, Arbeitsplätze und Wissen aus den alten Ländern abzieht. Nur die herrschende Klasse in den USA scheint sich noch ungetrübt in ihrem Selbstverständnis auf das Zeitalter der Kolonialisierung zurückbeziehen zu können. Daher gedeihen hier besonders die Träume von der schönen alten Welt der Frontier, von der Grenze, die es zu überwinden gilt. Anders als in Süd- oder Mittelamerika hat die Kolonialisierung hier ein neues, unbeschriebenes Land, God's own country, geschaffen, das sich durch die weitgehende Auslöschung der Einwohner und der selbst in der Verfassung eingeschriebenen Maxime, dem Glück der (einzelnen) Menschen offenzustehen, von der Rückbindung an die Herkunftsländer der Einwanderer befreit hat. Die geglückte Unterwerfung des amerikanischen Kontinents, die Unabhängigkeit von Europa, die Eroberung des Westens hat weiterhin für viele Vorbildcharakter. Das Überschreiten der Grenze, der Exodus der einzelnen und von Gruppen, der Ausbruch aus dem staatlichen Gefüge gehört zur Identität und ist trotz der Opfer weitgehend Bestandteil einer nationalen Erfolgsgeschichte geblieben - zementiert von der medialen Traumwelt, deren Geschichten stets die einzelnen oder kleine Gruppen wie bei den Western in den Vordergrund stellen müssen. Mit dieser Erfolgsgeschichte verbindet sich sogar für manche weiterhin ein geschichtlicher Auftrag der amerikanischen Nation.
Nur gibt es heute keinen Wilden Westen mehr, und der Globus ist klein geworden. Die hemmungslose Expansion stößt auf die Schranken der Natur, die nicht mehr Feind ist, sondern ein subtiles System, auf dessen Aufrechterhaltung das Überleben angewiesen ist. Nicht mehr ganze Nationen, sondern nur noch einzelne können Grenzen überwinden oder im Stil des Abenteuerurlaubs Entdeckungen im geographischen Raum der Erde simulieren. Daher verschmilzt die Suche nach einer neuen Grenze mehr denn je mit der Technik, in der Amerika einst führend war und die nicht nur neue Möglichkeiten auf der Erde geschaffen hat, sondern die der Menschheit auch erlaubt hat, erstmals den Weltraum und den virtuellen Raum zu betreten. Aber Amerika, das Land, in dem alles möglich sein soll, soll hier nur als Vorbild dienen, das die Konturen des Technoimaginären im sozialen Bereich auszeichnet.