Virtueller Raum oder Weltraum?

Seite 5: 4. Der Weltraum

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Biosphäre II ist, wie gesagt, das große Vorbild für künftige Raumkolonien und einst selbst aus dieser Idee geboren worden, obgleich sie durchaus auch als ultimatives Modell für einen neuen, technisch ermöglichten und umrahmten Lebensraum auf der Erde gelten kann. Warum sollte man an die Besiedlung des Weltraums denken? Die NASA führt zunächst ganz einfach biologische Gründe der räumlichen Expansion und des ungehemmten Wachstums an: Warum ist Leben aus den Ozeanen gewandert und hat das Land kolonialisiert? Weil Lebewesen wachsen und sich verbreiten wollen. Wir haben die Möglichkeit, im Weltraum zu leben, deswegen werden wird das tun. Aber man hat doch von der Geschichte gelernt und sich neue Gründe für die Kolonialisierung angeeignet: Der Hauptvorteil von Weltraumsiedlungen ist die Möglichkeit, neues Land zu bauen und es nicht jemandem wegzunehmen. Das gestattet, aber garantiert nicht eine riesige Verbreitung der Menschheit ohne Krieg und Zerstörung der irdischen Biosphäre. Durch Auswanderung könnte man der Überbevölkerung der Erde, der Vernichtung ihrer Biosphäre und dem möglichen Einschlag von Asteroiden entgehen.

a) First Millenial Foundation

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Aber es gibt auch private Organisationen, die die Besiedlung des Weltraums fördern und zur nationalen Aufgabe machen wollen. Die First Millenial Foundation etwa sieht unser Schicksal schlicht darin, Leben zu den toten Sternen zu tragen, was uns wenigstens für die nächsten tausend Jahre vollständig beschäftigen werde. Das sei eine heilige Pflicht, zumal das Leben, wenn es an die Erde gebunden bleibt, zum Tode verurteilt sei. Es könne irgendwann eben durch einen Kometen oder Asteroiden zerstört werden und irgendwann werde schließlich auch die Sonne explodieren. Doch schon jetzt befinde sich die Erde wegen der menschlichen Bevölkerungsexplosion in einer Krise. Wie werden 10 oder 15 Milliarden Menschen noch Platz und genügend zu essen finden?

Wie immer, wenn es um einfache Lösungen für komplexe Probleme geht, versucht man nicht die Schwierigkeiten auf der Erde anzugehen oder die herrschenden Macht- und Produktionsverhältnisse zu untersuchen. Mehr Land, ein größerer Lebensraum ist der propagierte Ausweg. Als ersten Weg zur Kolonialisierung schlägt die Foundation allerdings die Bildung von schwimmenden Inseln in den warmen Bereichen der Meere vor. Sie sollen sich selber bilden, wenn ein leitfähiges Metall in das Wasser getaucht und Strom durchgeleitet wird. Dann würden die im Wasser gelösten Mineralien sich an das Metall heften und eine dichte Ablagerung eines künstlichen Kalkgesteins ergeben. Wenn man zusätzlich ein Metallverstärkungen mit einem elektrischen Maschendraht einbaut, könnte das eine hinreichende feste Grundlage für die künstlichen Inseln ergeben. Die darauf wohnenden Menschen würden aus dem Meer leben, indem sie Fischzucht betreiben und Algen kultivieren, und auch ihre Energie umweltverträglich daraus gewinnen. Noch gleichen die Meere verlassenen Kontinenten und biologischen Wüsten, aber das Leben auf den schwimmenden Inseln im tropischen Klima wird sehr angenehm sein.

Man verspricht uns Sicherheit, denn ähnlich wie man dort umweltschonend in geschlossenen Kreisläufen lebt, werden die Kolonien relativ frei von Verbrechen und anderen Übeln sein, die in den Städten vorherrschen. Es handelt sich nämlich um eine Gesellschaft eng miteinander verbundener Individuen, also um eine Gemeinschaft nicht-städtischer Art. Die Meereskolonien bereiten uns darauf vor, in geschlossenen Systemen und in einer isolierten und hoch integrierten Gemeinschaft zu existieren, was schließlich auch Voraussetzung für das Verlassen dieses Planeten sei, das eben diese Bedingungen notwendig mache.

b) NASA - Space Settlement Basics

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Die Menschen bei der NASA wollen den Gedanken der Weltraumbesiedlung natürlich aus institutionellen Gründen der Selbsterhaltung forcieren. Nach dem Ende des Kalten Krieges geht es zwar noch um das Aussenden von Satelliten, die schon zu Hunderten die Erde umkreisen, aber das bemannte Raumfahrtprogramm ist zu teuer geworden und wurde daher äußerst reduziert. Raumfahrt müsse etwas für die gewöhnlichen Menschen werden, nicht nur eine Aufgabe von hoch qualifizierten Spezialisten. Billig und sicher sollten daher Raumflüge sein, erst dann könnten Tausende oder Millionen von Menschen diese Gelegenheit nutzen und die Erde entlasten. Schließlich sei vor 100 Jahren noch niemand in einem Flugzeug geflogen, während heute über 500 Millionen Menschen jedes Jahr fliegen würden.

Interessant ist, daß einige Personengruppen genannt werden, die die Besiedlung des Weltraums besonders attraktiv finden könnten. So wäre der Aufenthalt im Weltraum ohne die Belastung durch die Gravitation für Behinderte vorteilhaft. Sie brauchen keine Maschinen oder Hilfsgeräte zum Gehen, sie würden sich vielleicht schwebend fortbewegen. Dann wäre da noch die Möglichkeit der Einrichtung von nicht ganz so freiwilligen Aussiedlern, denn Weltraumkolonien könnten, wie einst Inseln, als ziemlich ausbruchsichere Strafanstalten dienen. Das liegt ziemlich nahe, wenn auch vielleicht anders, als die Autoren sich das denken, denn Weltraumstationen sind auf jeden Fall eine Art Gefängnis, selbst wenn man sie als Schutzburgen anlegt. So seien sie auch für manche religiöse Gruppen geeignet, die nicht in der Nähe von Ungläubigen leben wollen, oder für solche, die mit neuen sozialen und politischen Formen experimentieren wollen.

Vorbild ist natürlich wieder Biosphäre II, eine technisch realisierte unabhängige Biosphäre mit einem geschlossenen Kreislauf. Vielleicht sollte man nur, so schlagen die Autoren vor, doch ein wenig Sauerstoff und ein paar Lebensmittel mitnehmen. Man wolle auch gar nicht Planeten oder den Mond besiedeln, sondern irgendwie geformte, aber gigantische Behälter zunächst um die Erde kreisen lassen, damit man wenigstens noch die Erde im Blick habe und sie noch besuchen könne. Erst später wird man sich dann im solaren Planetensystem verbreiten oder zu neuen Sternen ziehen, denn nach einigen Generationen werde es den Menschen egal sein, wo sie sich befinden. Die Vorschläge zur technischen Realisierung seien hier nicht weiter behandelt. Man setzt auf die Nanotechnologie, die alles von selber machen wird, die es beispielsweise ermöglichen könnte, einen orbitalen Turm zu bauen, der von der Erdoberfläche in den Weltraum sich erhebt. Dann ließen sich Material und Menschen mit einem Lift in den Orbit und zurück mit geringen Kosten bringen. Aber auch wenn alles lange dauern und viel kosten wird, so wurden doch auch New York, Kalifornien oder Frankreich nicht an einem Tag erschaffen oder haben Kanada, Frankreich oder San Francisco eine Menge Geld verschlungen.

Ein paar Gründe haben wir schon kennengelernt, warum der Weltraum ein schöner Platz zum Leben sei. Aber es gibt noch weitere, die ich niemand vorenthalten will. Davon führen die Autoren mehrere auf. Es gibt erstens ein ästhetisches Motiv der schönen Aussichten. Von da draußen kann man das herrliche und durch Luftverschmutzung ungetrübte Panorama des Sonnensystems und natürlich die wunderschöne Erde erblicken. Zweitens würde die geringe Schwerkraft erfreulich sein, um Sport zu betreiben oder zu tanzen. Beides außerordentlich anziehende Gründe, um die Erde zu verlassen. Aber natürlich gibt es noch mehr.

Da wäre drittens die Unabhängigkeit hinsichtlich der Umwelt, denn dummerweise leben wir auf der Erde alle in einer einzigen Biosphäre und müssen alle ökologischen Untaten der anderen erleiden. Weil jede Weltraumkolonie völlig von ihrer Umwelt abgeschlossen ist, treten hier die globalen ökologischen Effekte der Risikogesellschaft nicht ein: Wenn eine Kolonie die Luft verschmutzt, muß den Dreck niemand anders einatmen. Der vierte Grund ist paradigmatisch für unser Thema, weswegen ich ihn in voller Länge zitieren werde: Auf der Erde müssen die verschiedenen Gruppen lernen, in großer Nähe zueinander zu leben. Es ist mühsam, mit fünf oder sechs Milliarden Angehörigen der Gattung Homo sapiens zu leben, und manche können dies nicht gut verkraften. Weltraumkolonien bieten eine Alternative zur Veränderung des menschlichen Wesens oder zu endlosen Konflikten, nämlich die Möglichkeit, in nahezu homogenen Gruppen zu leben, wie es der Normalfall für die menschliche Existenz über Millionen von Jahren hinweg war. Wer damit nicht zurechtkommt, kann von den anderen durch Millionen von Kilometern besten Vakuums getrennt sein, was manchmal notwendig erscheint. Jeder Zugang zu einer Weltraumkolonie führt über eine Luftschleuse. Daher sollte die Kontrolle der Einwanderung keine Bedeutung spielen. Noch zumindest können wir nur bedingt wählen, wie die Orte aussehen sollen, an denen wir wohnen. Dieses Sich-Einfinden-Müssen ist für echte Weltraumfahrer, alles Individualisten, Glücksstrebende und Weltenbauer, nicht gut erträglich. Weil, ich zitiere den fünften Grund, außerstande, ihn besser zu formulieren, weil die gesamte Umwelt von Menschen hergestellt wurde, kann man wirklich das bekommen, was man will. Wollen Sie ein Grundstück an einem See? Dann bauen Sie einfach Seen. Lieben Sie Sonnenuntergänge? Dann programmieren Sie stündliche Sonnenuntergangssimulationen in das Wettersystem. Lieben Sie es, barfuß zu gehen? Dann machen Sie die ganze Umwelt fußfreundlich.

Vielleicht ist alles ja gar nicht ernst gemeint, sondern nur eine 1995 verfaßte Satire auf die frühen Träume der Auswanderung. Auf jeden Fall steckt viel Zeitgeist in diesen Grundlagen der Weltraumkolonialisierung seitens der NASA, die vielleicht gar nicht weiß, was da einer der ihren in ihren Web-Seiten hineingepackt hat. Aber schließlich gibt es noch andere, die es todernst meinen: den mit der Weltraumbesiedlung verwobenen amerikanischen Traum von einer neuen Grenze.

c) Welcome to the Revolution - The Space Frontier Foundation

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Die Space Frontier Foundation mit dem Sitz in New York ist eine Organisation amerikanischer Bürger, die stark im Internet arbeitet und auch eine Mailing List mit Beiträgen zur Serie The Frontier Files unterhält. Ihre Forderungen zielen darauf, den Weltraum zu besiedeln, weil die Menschheit sonst untergehen würde, und dies möglichst schnell. Dafür trage die USA, als Nation der Frontier, eine besondere Verantwortung. Doch Amerika, so sucht man das nationale Selbstwertgefühl anzustacheln, ist am Ende des 20. Jahrhunderts nervös. In der größten Nation, die jemals existiert hat, herrschen zu viele Zweifel. Die Menschen brauchen nach dem Ende des Kalten Kriegs wieder eine Orientierung, eine Vision von morgen, die besseres als der Blick auf die Gegenwart anbietet. Die Amerikaner seien eine Nation von Pionieren ohne neue Grenze. Es gibt keinen klaren äußeren Feind mehr, durch den sie sich organisieren könnten. Man sagt, die Geschichte wiederhole sich. Es sind, mit einem Wort, schlimme Zeiten.

Zu viele Menschen sehen die Zukunft verbaut. Es herrschen die Bilder einer untergehenden Kultur vor, die vor allem von zerfallenden Städte wie in Blade Runner besetzt werden. Arbeitslosigkeit, Armut, soziale Kämpfe, Rückzug ins Private, gesellschaftlicher Niedergang, Verminderung des Lebensstandards erzeugen Unsicherheit, Angst und Individualisierung. Die Nation bricht auseinander. Die Space Frontier Foundation hat eine Lösung: Die USA muß die philosophische Dissonanz anerkennen, die zwischen dem herrscht, was die Nation im Weltraum tun sollte, und dem, was wir augenblicklich machen. Dann können wir unser falsch ausgerichtetes Weltraumprogramm in ein neues umformulieren, das mehr einbezieht, aufregender und für die Nation profitabler ist. Durch diese Veränderung können wir, die wir die Chance der Weltraumgrenze verstehen, Amerika ein neues Bild seiner Zukunft geben - einer hoffnungsvollen Zukunft, einer spannenden Zukunft, die unsere ganze Gesellschaft antreibt. Eine Zukunft von endlos sich erweiternden Optionen ... Endlichkeit, gleich ob in Raum oder Zeit, ist offenbar nur schwer zu ertragen. Die Zukunft muß das Bild einer unendlich vorantreibenden Fortschrittslinie zeigen, sonst bricht alles zusammen, ähnlich wie dies beim kapitalistischen Markt ist, wenn er nicht weiter wächst. So wie in Kriegen gegen einen äußeren Feind die Nation zusammenwächst, soll die Leere des Weltraums wieder eine neue Gemeinschaft erzeugen, die alle einschließt.

Doch wie war das einst, als der Wilde Westen erschlossen wurde? Entstand dort eine neue Gemeinschaft? Gründete man einvernehmlich neue Städte, ohne andere zu unterdrücken? Aber die konkrete Geschichte, an die man anschließt, interessiert nicht. Im Vordergrund steht die Welle, die unter der hoffnungsvollen Parole Go West den Raum (und dessen Bewohner) kolonialisiert hat. 25 Jahre nach Lewis & Clark rollten Eisenbahnwagen in den Westen nach Oregon und brachten Schiffe Tausende von Pionieren zu den Küsten Kaliforniens ... 25 Jahre nach den Wright-Brüdern konnten sich Menschen eine Flugticket kaufen und in einem Flugzeug fahren ... Aber 25 Jahre nach der Mondlandung sitzen wir noch immer herum und sehen alte Astronauten, die sich im Fernsehen an die guten, alten Tage erinnern. Es muß also endlich vorwärts gehen - in der Stimmung und im Raum.

Die Ideologie des sustainable development, auf die Erhaltung der Biosphäre gerichtet, lähme die Menschen, während es darum gehe, ein neues Zeitalter der immer größer werdenden Hoffnung zu schaffen. Hat man die Weltraumeroberung als Perspektive, die ja nur positiv ist weil der Weltraum unbesiedelt ist und man die irdische Biosphäre schont, so wird es keine Frage mehr sein, wohin wir als Menschen gehen werden, welchen Platz wir in dem großen Bild einnehmen oder was wir als nächstes zu tun haben. Wir müssen nur unseren Blick auf die Tausenden von neuen Sternen richten, die sich am Nachthimmel verbreiten, um die Antwort zu finden. Und die Welt wird uns nachfolgen. Weil wir eine Nation von Pionieren sind, ist es unser neues Land. Und weil wir alle dazu fähig sind, ist es höchste Zeit, daß wir die Chance erhalten, das zu beweisen.

Aber wer steht im Weg? Der Staat, der den Zugang zum Weltraum behindert. Als pure Herrschaftsmaschinerie verstanden, nicht als Träger der demokratischen Verfahren und des sozialen Ausgleichs, kann er den Weg in die Zukunft nicht öffnen. Das können nur, gut kapitalistisch und individualistisch, die einzelnen mit ihrem Streben nach Glück und Profit - möglichst unreglementiert, der Weltraum eben als neuer Wilder Westen. Schließlich seien die Vereinigten Staaten ein Volk von freien Menschen, die vom Glauben zusammengeschweißt werden, daß die Menschen gegenüber dem Staat Vorrang haben und daß die Individuen die Macht haben sollten, ungehindert vom Staat neuen Reichtum zu schaffen. Vorbild ist die Eroberung des Westen, die eben unter diesen Gesetzen oder fehlenden Gesetzen erfolgte.

Wie die typische, antistaatlich ausgerichtete und extreme Individualisierung mit der Hoffnung auf neue Gemeinschaftsbildung zusammengehen kann, wird von der Foundation nicht erörtert. Läßt man die Individuen und Firmen nur im Sinne des großartigen Chaos des demokratisch freien Unternehmersystems werkeln, dann wird allgemeiner Wohlstand, Freiheit für alle und ein besseres Leben möglich. Wie einst im Wilden Westen ist der einzige Transmissionsriemen das Geld: Wenn es keinen Profit gibt, wird es kein neues Ziel geben.