Virtueller Raum oder Weltraum?

Seite 4: 3. Die Übergangslösung BIOSPHÄRE II

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Das ultimative Modell einer geschlossenen High-Tech-Lebenswelt, die sich überall befinden könnte, ist bislang noch gescheitert. Biosphäre II, errichtet in der Wüste von Arizona, ist das ultimative Projekt einer Raumkapsel, die sich von der Erde löst und mit anderen Kapseln nur noch über Telekommunikationsverbindungen zusammenhängt. Überdies ist Biosphäre II ein Experiment, wie sich eine kleine soziale Gemeinschaft unter der Bedingung des Ausschlusses der Außenwelt verhält, welche Strukturen gegeben sein müssen, damit das Zusammen- und Überleben der neuen High-Tech-Landwirte funktionieren kann. Das unterscheidet die in der terrestrischen Station Eingeschlossenen von Weltraumfahrern. Im Hintergrund steht, wie bei allen Projekten der Informationsgesellschaft, die Hoffnung, trotz der Globalisierung der Lebenswelt kleinen und homogenen Gemeinschaften einen Raum zur Besiedlung anzubieten, der Schutz vor den Konflikten der Restgesellschaft bietet. Der Cyberspace ist solch ein geschützter Raum, der sich vollständig überwachen, kontrollieren und absichern läßt, Biosphäre II wäre dessen Übertragung in die wirkliche Welt, aber mit allen Vorteilen der Televirtualität, der dem Cyberspace eigen ist. Biosphäre II ist keine Schnittstelle der wirklichen Welt mit dem Cyberspace mehr, sondern dessen Verankerung und Spiegelung in ihr. Das Verhältnis zwischen Simulation und Wirklichkeit beginnt sich umzukehren. Was nicht in die Virtualität aufgelöst werden kann, wird in Kapseln eingeschlossen und vernetzt. Biosphäre II ist das Modell für die Realisierung von Telepolis, für einen abgedichteten Innenraum, der autark von der Außenwelt ist und tatsächlich ein bioelektronisches System darstellt, wie es von den Autoren des Cyberspace-Manifestes gepriesen wird.

Das reale Projekt Biosphäre II hat sich zwar seit einiger Zeit vom Ziel abgekehrt, eine selbstgenügsame Überlebenskapsel mit geschlossenen Kreisläufen zu konstruieren, in der nur Datenströme ein- und austreten können und die auch für die Besiedlung des Weltraums geeignet wäre. Während der zweijährigen Probephase mußte beispielsweise ein Teil des Teams zur medizinischen Versorgung die künstliche Welt verlassen und brachten Ausrüstungsgegenstände wie Computerteile und Handbücher zurück. Sauerstoff mußte eingepumpt werden, weil zuviel Kohlendioxid entstand, die selbstangebauten Lebensmittel reichten zur Versorgung nicht aus. Die Arbeit an der Aufrechterhaltung des Systems, also das Pflanzen und Ernten der Lebensmittel, die Versorgung der Tiere und die Jagd auf Küchenschaben und Ameisen, ließ den Eingeschlossenen wenig Zeit zur Forschung. Jetzt soll Biosphäre zum weltweit größten Laboratorium zur Untersuchung von ökologischen Interaktionen werden, bei denen man die Randbedingungen exakt kontrollieren kann.

Gleichwohl ist Biosphäre II die Einlösung urbanistischer Visionen von der abgekapselten und selbstgenügsamen Umwelt eines gigantischen Mensch-Maschine-Systems und ein Modell für die Lebenswelt der Zukunft, die wie eine Maschine gefahren wird und deren Prinzip die lückenlose Überwachung und Steuerung aller Komponenten ist. Angelehnt an die Superstrukturen Buckminster Fullers ist Biosphäre II ein Dom aus Glas und rostfreiem Stahlgitter, in dem die Wasser-, Luft und Lebensmittelkreisläufe vollständig abgeschlossen sind und innerhalb des Systems recycelt werden. 1600 Sensoren überwachen das Klima, die Luft-, Boden- und Wasserbeschaffenheit und liefern diese Informationen an ein zentrales Kontrollsystem. Das Computernetzwerk ermöglicht eine kontinuierliche Darstellung der Umweltdaten. Innerhalb des Systems befinden sich neben einigen Menschen 4000 verschiedene Pflanzen- und Tierarten., die Mikroorganismen nicht eingerechnet. Aufgeteilt ist Biosphäre II in fünf wilde Ökosysteme: Regenwald, Savanne, Küstenzone, Sumpf und eine Meereszone mit einer Korallenbank. Daneben gibt es Zonen für Landwirtschaft und Wohnräume für die Eingeschlossenen. Neben dem Dom befinden sich zwei weitere, mit dem Hauptareal verbundene Dome, die als Lungen fungieren und die atmosphärischen Schwankungen ausgleichen. Die Temperatur wird von außen durch ein Wassersystem reguliert, auch die Elektrizität wird noch von außen eingespeist.

Die materielle und biologische Umwelt der Körper, das zeigt schon die gegenwärtige Wertschätzung des Körpers und der Natur, wird in der Gesellschaft der digitalen Netze keineswegs unwichtig werden, aber sie wird streng nach funktionalen Kriterien organisiert und inszeniert, wobei nach dem Vorbild von Biosphäre II sowie den parallelen Städten, Einkaufszentren, Malls, Themen- und Erlebnisparks und neben dem Ausbau von Telepolis als virtueller Lebenswelt immer mehr Funktionen der Außenwelt in die Innenwelten des umbauten Raumes aufgenommen werden. Die Informatisierung der ökologischen Systeme, die permanente Überwachung mittels Sensoren aller Art, dient zwar primär dazu, Warn- und Sicherheitssysteme aufzubauen, um die Grundlagen für das menschliche Leben schützen zu können, das daraus folgende Wissen aber zielt letztlich darauf, die komplexe ökologische Maschine steuern zu können, und, sofern dies nicht möglich ist, von der Umwelt abgeschlossene und autonome Mikrokosmen zu erbauen, die dann vollständig überwacht und wie andere technische Großsysteme gefahren werden können. Der Außenraum dient dem Transport von Gütern und Menschen, die Natur der Produktion von Lebensmitteln und gewissen Bedürfnissen der Erholung, zu denen auch die ästhetische Wahrnehmung von inszenierter Natur von Parks bis hin zu Naturschutzgebieten und Biotopen gehört. Die Umwelt ist weiterhin eine in bestimmten Hinsichten zu schützende Ressource, um das Leben in den umbauten Räumen aufrechtzuerhalten, die allerdings mit ihrer Intelligenz dahin tendieren, immer unabhängiger und autonomer zu werden, zu vernetzten Singles einer räumlich verstreuten Telepolis, deren schwarze Löcher für diejenigen, die sich in die Arche-Noah-Kapseln des Informationszeitalters retten können, durch Kabel- und Satellitenverbindungen überbrückt und dem Vergessen preisgegeben werden können.