Das Rumsfeldsche "Neue Europa" wächst zusammen
In einem Offenen Brief haben sich 10 osteuropäische Regierungen gleich nach Powells Präsentation hinter den Kriegskurs von Bush gestellt
Nach dem von der Wall Street gepuschten Manifest von 8 Regierungschefs, die für einen unbedingten Rückhalt mit der Irakpolitik der US-Regierung eintreten (Die Achse des neuen Europa konstituiert sich), haben sich nun noch 10 weitere osteuropäischen Staaten mit einem ganz ähnlichen Offenen Brief geäußert. Der wurde zudem so der Öffentlichkeit präsentiert, als wäre er eine direkte Folge der Beweisführung von Powell vor dem Sicherheitsrat.
Im Sicherheitsrat haben die von US-Außenminister Powell gestern vorgelegten multimedialen Beweise (Nichts als die Wahrheit oder Onkel Powells Märchenstunde?) keine Kehrtwende bewirkt. Während Spanien, Großbritannien und Bulgarien die Beweise überzeugend fanden und daher hinter den Kriegsplänen der US-Regierung stehen, sehen die übrigen Länder, darunter China, Frankreich und Russland, die ein Veto-Recht besitzen, in den vorgelegten Indizien keinen zwingenden Grund für einen sofortige militärische Intervention und plädieren für eine Fortsetzung der Waffeninspektionen.
In einem bereits vorbereiteten und gleich nach Powells Präsentation veröffentlichten Offenen Brief machten die der "Vilnius-Gruppe" angehörigen Regierungen von Albanien, Bulgarien, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Mazedonien, Rumänien, Slowenien und der Slowakei deutlich, dass sie die Beweise als "zwingend" für den Nachweis "von Massenvernichtungswaffen Iraks, seiner aktiven Bemühungen, UN-Inspektoren zu täuschen und seinen Verbindungen zum internationalen Terrorismus" betrachten.
"Unsere Länder kennen die Gefahren, die von einer Diktatur ausgehen, und die besondere Verantwortung der Demokratien, unsere gemeinsamen Werte zu verteidigen. Die transatlantische Gemeinschaft muss zusammen stehen, um sich der Gefahr zu stellen, die durch die Verbindung von Terrorismus und Diktatoren mit Massenvernichtungswaffen entsteht."
Der von den UN-Botschaftern unterzeichnete Brief bekräftigt, dass der Irak die Resolution 1441 schwerwiegend verletzt habe, und fordert den Sicherheitsrat auf, entsprechende Schritte zu unternehmen. Überdies wird auf die Stellungnahme der Vilnius-Gruppe, allesamt Nato-Bewerber, die Angst haben dürften, bei störrischem Verhalten gegenüber der USA durch Nichtaufnahme oder mit wirtschaftlichen Mitteln bestraft zu werden, während des Nato-Gipfels in Prag hingewiesen. Dort hatten sie im Falle eine Bruchs der UN-Resolution Unterstützung zugesagt.
"Die von Husseins Regime ausgehende klare und aktuelle Gefahr erfordert eine einheitliche Antwort von der Gemeinschaft der Demokratien. Wir rufen den Sicherheitsrat dazu auf, die notwendigen und angemessenen Schritte in Reaktion auf die anhaltende Bedrohung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit durch den Irak zu unternehmen."
Allerdings ist es keineswegs so, dass die Bevölkerung hinter der vermeintlich realpolitischen Entscheidung ihrer Regierungen steht. In Großbritannien und Spanien wird die Opposition immer stärker, in Australien steht die Regierung unter großem Druck, weil sie bereits ohne Zustimmung des Parlaments Truppen in die Golfregion entsendet hat, aber auch in den osteuropäischen Ländern wächst die Kritik (Osteuropäische Identitätskrise). So sind nach einer Umfrage 80 Prozent der Ungarn gegen einen Irak-Krieg. In Tschechien hat die Regierung gesagt, dass sie der Meinung des scheidenden Präsidenten Havel sei, der das Medien-Manifest der acht europäischen Staaten unterzeichnet hatte.
Bei einer Umfrage in Lettland sprachen sich 74 Prozent der Befragten beispielsweise gegen eine Invasion in den Irak zum Sturz Husseins aus. 48,8 Prozent waren gegen einen militärischen Angriff der USA unter allen Bedingungen, 25,4 Prozent sagten, sie wären gegen eine Unterstützung. Auch hier also gibt es eine große Differenz zur Regierung, die fest hinter Washington steht, der US-Regierung Hilfe und Truppen versprochen hat und Hussein mit Stalin vergleicht. Aigars Freimans von Latvijas Fakti, von der die Umfrage durchgeführt wurde, meint zum Ergebnis, dass die meisten Menschen denken, dass dies nicht ihr Problem sei.
Der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer, spielte bereits auf die konzertierte Aktion an - offenbar arbeitet das "Office for Global Communications" bereits sehr wirksam in der Lancierung von Propaganda (Präsident Bush hat jetzt seine eigene Propaganda-Abteilung) - und sagte bereits auf einer Pressekonferenz vor der Powell-Rede, dass mit den "Ereignissen" der letzten Woche und der Zukunft die von Frankreich eingenommene Position nicht allgemein geteilt wird, sondern "eine minoritäre Position in Europa" darstellt. Tatsächlich steht nun fast ganz Osteuropa zusammen mit Großbritannien, Dänemark, Italien, Spanien und Portugal im pro-amerikanischen Lager der Kriegsbefürwortet. Vermutlich wird man auch Holland dazu rechnen können. Mit einer vollzogenen Osterweiterung wären diese Staaten des Rumsfeldschen Neues Europas mit 14 zu 11 in der Überzahl. Allerdings ist noch keineswegs gewiss, wie sich Frankreich verhalten wird, wenn Großbritannien und die USA eine neue Resolution mit Hoffnung auf eine Mehrheit vorlegen oder ohne UN-Legitimation einen Krieg beginnen.