Das Spiel ist aus

Präsident Bush wiederholt die "Beweise" für die Verletzung der UN-Resolution durch den Irak und fordert die Entscheidung im Sicherheitsrat

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Präsident Bush hat gestern, nach einer ausgefeilten Strategie medialer Inszenierungen, den Druck auf den Sicherheitsrat noch einmal erhöht, entweder mit einer neuen Resolution oder auch ohne den Weg zu einem Sturz des Hussein-Regimes freizugeben. "Das Spiel ist aus", sagte Bush gestern Abend unmissverständlich deutlich und meinte damit wohl nicht nur den Irak, sondern auch die Zauderer, die sich bislang noch nicht hinter der Supermacht eingereiht haben.

Zug um Zug wurde der Druck erhöht, Berichte und Beweise veröffentlicht, Solidaritätskundgebungen geleistet und Diffamierungen gemacht, alles gipfelnd in der multimedialen Präsentation der Beweise von Iraks Verletzungen der Resolutionen. Sehr überzeugend fanden die Mitglieder des Sicherheitsrats, abgesehen von den Vertretern Großbritannien, Italiens und Bulgariens, die vorgelegten "Beweise" bislang nicht. Auch in Umfragen unter US-Bürgern zeigte sich, dass die meisten zwar glauben, dass Hussein mit den Inspektoren sein Spiel treibt und wohl noch biologische und chemische Waffen besitzt, aber gerade die Hinweise auf Verbindungen zwischen dem Irak-Regime und al-Qaida als das schwächste Glied halten (Das Rumsfeldsche "Neue Europa" wächst zusammen). Just das aber wäre der Beleg für die unmittelbare Bedrohung der USA und der Welt durch die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen an kaltblütige Terroristen und würde eine Verbindung zwischen dem 11.9. und dem Krieg gegen den Irak auch ohne "rauchenden Colt" herstellen - da dieser stets in den Anschlägen gesehen wird, die bereits geschehen sind und die - auch durch Präventivkriege sowie mit dem Einsatz aller Mittel - verhindert werden sollen.

Was Powell aber eher noch als Schlussfolgerungen von Indizien dargelegt hat, verwandelt Bush in pure Tatsachen (Nichts als die Wahrheit oder Onkel Powells Märchenstunde?). Die irakischen Verletzungen der Resolution 1441 seien "evident" und würden bis zur Stunde weitergehen. Das Regime habe nie Rechenschaft über das "riesige Arsenal an biologischen und chemischen Waffen" abgelegt, sondern es nur versteckt. Für die Verletzung werden von Hussein die höchsten Regimeangehörigen, vornehmlich Hussein selbst, sein ältester Sohn, der Vizepräsident und derjenige genant, der für die Kooperation mit den Inspektoren zuständig ist. Man habe an Satellitenaufnahmen sehen können, wie Anlagen vor der Ankunft der Inspektoren gesäubert worden seien, und durch abgehörte Telefongespräche bewiesen, dass "Material" vor den Inspektoren versteckt werden soll.

Der Irak habe versucht, geheim Mittel zu erhalten, um Massenvernichtungswaffen herzustellen. "Firsthand witnesses" haben bezeugt, dass der Irak mindestens sieben mobile Labors für Lastwagen und Züge besitze, mit denen sich innerhalb von Monaten große Mengen an biologischen Waffen herstellen lassen. Hussein verfüge über die Möglichkeit, diese über Flugzeuge zu versprühen. Die Technik könnte auch in unbemannte Flugzeuge in Verletzung der Reichweitenbeschränkung der UN-Resolution eingesetzt werden und so die USA direkt bedrohen, wenn die Flugzeuge von einem Schiff gestartet würden.

"Und wir haben Quellen, die uns sagen, dass Saddam Hussein kürzlich Kommandeuren befohlen hat, chemische Waffen einzusetzen, also gerade die Waffen, von denen uns der Diktator erzählt, dass er sie nicht habe."

Hussein hat nach Bush auch "lange, direkte und andauernde Verbindungen mit terroristischen Netzwerken". Er habe al-Qaida Experten geschickt und Terroristen ausbilden lassen, damit sie mit chemischen und biologischen Waffen umgehen. Der Irak beherberge auch ein "terorristischer Netzwerk", das ein Trainingslager für Gifte und Explosivwaffen im Nordirak betreibe. Der Leiter des Netzwerks habe sich in Bagdad medizinisch behandeln lassen und habe zusammen mit anderen dort mehrere Monate gearbeitet.

So weit, so gut die Wiederholung der Vorwürfe, die durch permanente Wiederholung wie eine Werbung sich in die Gehirne der Menschen einbrennen sollen. Und wer die Macht hat, permanent weltweit und auf allen Kanälen bestimmte Dinge zu verbreiten, der auch die Möglichkeit, Meme zu schaffen, die wirksam sind, auch wenn sie nicht wahr sein müssen. Das nennt man auch erfolgreiche Propaganda. Und die ist nötig, um die wenigen noch verbliebenen Zauderer zu überzeugen oder zu Parias zu machen. Bush nutzt die Stimmung, die durch koordinierte Aktionen wie den Manifesten der europäischen Staaten und die Bereitschaft der Türkei gestiegen ist, nun doch wahrscheinlich die amerikanischen Stützpunkte für einen Angriff aufrüsten zu lassen. Noch ist auch die Zeit günstig, zudem kostet jeder Tag, an dem die Truppen im Golf stationiert sind, Geld und bringt die Gefahr mit sich, dass unvorhergesehen Probleme auftauchen könnten, wie dies im Fall von Nordkorea bereits geschehen ist.

Bush hat jedenfalls von "Time is running out" auf "The Game ist over" umgeschaltet. Und jeder weiß, was dies zu bedeuten hat. Natürlich waren die Würfel von vorneherein gefallen. Jeder, der so tat, als läge die Entscheidung einzig bei Hussein und als gäbe es mit der US-Regierung die Möglichkeit einer friedlichen Lösung, war entweder verblendet, naiv oder selbst ein Blender. Bush setzt nun den Rahmen, seinen Rahmen:

"Saddam Hussein hatte eine letzte Chance erhalten. Er verwirft diese Chance. Der Diktator des Irak trifft seine Entscheidung. Jetzt müssen die Nationen des Sicherheitsrats ihre eigene treffen. Am 8. November hat der UN-Sicherheitsrat mit der Forderung nach einer sofortigen Abrüstung des Irak mit Klarheit und Autorität gesprochen. Jetzt wird der Sicherheitsrat zeigen, ob seine Worte eine Bedeutung haben. Wenn er seine Forderungen gestellt hat, darf der Sicherheitsrat nicht einknicken, wenn diese Forderungen von einem Diktator unterlaufen und lächerlich gemacht werden.

Die USA würden eine neue Resolution begrüßen und unterstützen, die es deutlich macht, dass der Sicherheitsrat hinter seinen früheren Forderungen steht. Resolutionen bedeuten aber wenig ohne Entschlossenheit. Und die USA sind, zusammen mit einer größer werdenden Koalition von Nationen, entschlossen, alles zu tun, was notwendig ist, um uns selbst zu verteidigen und das irakische Regime zu entwaffnen."

Entweder also, so will es Bush, zieht der Sicherheitsrat mit - und das schnell, oder die USA handeln mitsamt der Koalition alleine, wodurch sich der Sicherheitsrat, die Mitglieder, aber auch die UN insgesamt als eine Art Schwatzbude entlarven soll. Wie immer berechtigt eine sofortige Invasion in den Irak auch beurteilt werden mag, so ist diese Erpressung der Völkergemeinschaft ein gefährliches Spiel. Vornehmlich nichtdemokratische oder totalitäre Gruppierungen, Parteien oder Regime haben demokratische Institutionen wie Parlamente stets als entscheidungsunfähige Schwatzbuden dargestellt (ein Verweis auf die Geschichte erübrigt sich). Beginnen die USA den Krieg ohne eine zweite Resolution nach ihrem Geschmack, so stehen die UN ebenso gedemütigt als Verlierer vor der Supermacht da, als wenn der Sicherheitsrat dem Drängen nachgibt.

Bush versucht, den Krieg allen schmackhaft zu machen, als Kampf der Guten gegen das Böse. Alle können von ihm profitieren und neuen moralischen Aufschwung erfahren, eine Adelung erhalten. Überdies soll der Krieg der einzige Weg zu sein, den Frieden zu sichern. Kein Wort natürlich davon, welche Risiken durch ihn in der sowieso instabilen Region und weltweit drohen. Al-Qaida und der radikale Islamismus werden gewiss verstärkt aus dem Krieg hervorgehen und noch besser einen Kreuzzug gegen den Kreuzzug starten können. Aber Bush versucht, die Weltöffentlichkeit ganz auf den eingeschlagenen, für ihn erfolgreichen Weg des Aktionismus zu bannen, als ob mit der Invasion und dem Sturz Husseins alle Probleme sich in Luft auflösen. Ist der Böse tot, ist alles gut. Anscheinend aber vermag diese Wirklichkeitsausblendung durch angebliche Entschlussfreudigkeit, die alles Grau in Schwarz und Weiß taucht, zu überzeugen. Es wäre ja auch wirklich schön, wenn mit dem Kaltstellen eines Mannes Friede und Sicherheit einziehen würden. Schließlich stehen auch hinter Bush ganze Kohorten von Beratern und Interessengruppen, auch wenn die Einzelne nicht völlig austauschbar sind.

Der Freiheit und der Demokratie wird der sich durch den Krieg verbreitende Terrorismus nicht gut tun, den Frieden wird die Missachtung der UN nicht fördern, die Massenvernichtungswaffen werden nicht ohne die von der US-Regierung verschmähten internationalen Abkommen weniger werden, Präventivkriege haben ihre Rechtfertigung erfahren, Wahrheit und Lüge verschwimmen in einer Welt, die beherrscht wird von Propaganda, strategischer Kommunikation und durchsichtiger Argumentation, selbst wenn sie noch so gut von Werbeexperten gestylt wird.

"All the world can rise to this moment. The community of free nations can show that it is strong and confident and determined to keep the peace. The United Nations can renew its purpose and be a source of stability and security in the world. The Security Council can affirm that it is able and prepared to meet future challenges and other dangers. And we can give the Iraqi people their chance to live in freedom and choose their own government.

Saddam Hussein has made Iraq into a prison, a poison factory, and a torture chamber for patriots and dissidents. Saddam Hussein has the motive and the means and the recklessness and the hatred to threaten the American people. Saddam Hussein will be stopped."