Das Urteil gegen die Goldene Morgenröte
Seite 2: Erste Reaktionen
Vor dem Gebäude des Berufungsgerichts in Athen an der Alexandras Avenue waren Zehntausende versammelt. Sie reagierten mit Jubelschreien auf die Verkündung des Urteils, das die nationalsozialistische Goldene Morgenröte zur kriminellen Vereinigung macht.
Der Jubel währte nicht lang, weil kaum anderthalb Minuten später die Einsatzpolizei mit Wasserwerfern, Tränengas und Blendgranaten gegen die Demonstranten vorging. Trotz der polizeilichen Repressionen gab es bis in die späten Abendstunden im gesamten Land zahlreiche Demonstrationen gegen Nazis.
"Heute ist ein wichtiger Tag für die Demokratie. In der langen demokratischen Tradition unseres Landes waren Phänomene extremer politischer Gewalt immer fremd. Die heutige Entscheidung ist eine Bestätigung dafür, dass die Republik und ihre Institutionen immer die Möglichkeit haben, jeden Versuch, sie zu untergraben, zu stürzen", betonte die Präsidentin der Republik, Katerina Sakellaropoulou.
"Als Premierminister verzichte ich bewusst darauf, Gerichtsentscheidungen zu kommentieren. Als griechischer Staatsbürger beteilige ich mich jedoch an der allgemeinen Befriedigung für die Anerkennung des kriminellen Charakters", erklärte Premierminister Kyriakos Mitsotakis und fügte hinzu, dass "die Nazi-Formation nach den Wahlen nun auch vor Gericht verurteilt wurde. Es ist ein Beweis für die Macht des parlamentarischen Systems und die Gewaltenteilung."
Die größte Oppositionspartei, Syriza, betont, dass "der heutige Tag als Tag des Sieges für die Rechtsstaatlichkeit, als Tag des Sieges für die Gerechtigkeit und schließlich als Tag des Sieges für die Republik selbst in die Geschichte des Landes übergeht. Nun ist es die Aufgabe aller, zu verhindern, dass die Schlange des Nationalsozialismus nie wieder das politische System infizieren kann".
"Der Faschismus passt nicht in unser Leben"
"Die griechische Justiz, die der verfassungsmäßigen Regel treu bleibt, dass politische Parteien dem freien Funktionieren des demokratischen Staates dienen müssen, hat ihre Pflicht heute unbeeinflusst, überzeugend und gründlich erfüllt. Die Angeklagten sind jetzt verurteilt und die Goldene Morgenröte ist nichts anderes als eine kriminelle Vereinigung, die unter der Verantwortung des Strafvollzugssystems und nicht des politischen Systems steht", kommentierte der Parlamentspräsident Konstantinos Tassoulas.
Die Vorsitzende der sozialdemokratischen KinAl, Fofi Gennimata, bemerkte:
"Die Goldene Morgenröte ist gemäß der historischen Entscheidung der griechischen Justiz eine kriminelle Vereinigung. Das ist Gerechtigkeit für die Opfer und die Republik. Griechenland sendet erneut eine starke Botschaft nach Europa und in die Welt: Der Faschismus passt nicht in unser Leben. Unser Kampf geht weiter. Nur gemeinsam verweisen wir die Neonazis in die Schranken."
Die kommunistische KKE fordert die Verhängung der Höchststrafen gegen die Schuldigen und fügt hinzu, dass die Entscheidung des Gerichts "von der Wahrheit geleitet, mit einer Vielzahl von Beweisen, die Mörder der Goldenen Morgenröte verurteilt hat". Ferner heißt es:
"Selbstzufriedenheit ist nicht erlaubt. Die Hauptsache ist, dass die Menschen dem Bösen an seiner Wurzel begegnen, indem sie das System stürzen, das dieses Ei der Schlange, den Nationalsozialismus und den Faschismus inkubiert."
Der Vorsitzende der rechtspopulistischen Griechischen Lösung, Kyriakos Velopoulos, kommentierte "die Justiz steht auf der Höhe der Ereignisse und rechtfertigt die Toten. Viele Glückwünsche für die Richter, Schande über das politische System."
"Der Moment der Ankündigung der Verurteilung der Goldenen Morgenröte der Nazis war für alle Demokraten ein Moment unbeschreiblicher Freude", kommentierte die Partei von Yanis Varoufakis, MEPA25. Sie betonte aber auch, dass "es offensichtlich ist, dass die nationalsozialistischen Brutstätten, immer noch in der Polizei nisten."
Dass diese Polizisten der Partei "exorbitante Prozentsätze gaben" und sie während der Amtszeit des aktuellen Bürgerschutzministers Chrysochoidis "gestärkt, ermutigt und entmutigt wurden, es nicht einmal für einen Moment ertragen, ihre wahren Ideale, und sei es nur zum Schein zu verbergen." Bei der Versammlung vor dem Berufungsgericht wurde auch Varoufakis Opfer der Polizeigewalt. Sein Verweis auf seinen Status als Parlamentarier brachte den Einsatzpolizisten nur noch mehr in Rage.
Der Zentralrat der Juden in Griechenland "begrüßt die historische Entscheidung der griechischen Justiz, welche die Neonazi-Formationen kriminalisiert und die Republik in unserem Land schützt. Das heutige Gerichtsurteil besiegelt eine große Wahrheit: Wie gefährlich die Neonazi-Organisationen sind, die unter dem Deckmantel des Patriotismus vorgehen, um Hass zu verbreiten und Obskurantismus. Nach der Ermordung von Pavlos Fyssas, den gewaltsamen Anschlägen, den nationalsozialistischen Grüßen der Nazis im Parlament, der Holocaust-Leugnung, der rassistischen Gewalt und dem Vandalismus an jüdischen Orten sind die griechischen Juden zufrieden, dass die griechische Justiz nach einer intensiven Studie, das wahre Gesicht der Neonazi-Formation aufgezeigt hat".
"Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass diese Formation in der Vergangenheit das Vertrauen Tausender unserer Mitbürger gewonnen hatte, und dass ihre Führer Sitze im griechischen Parlament innehatten."
Der Zentralrat verwies darauf, dass er mit der historischen Kenntnis über die Shoah bereits frühzeitig öffentlich warnte.
Ihre Kriminalisierung durch die griechische Justiz und ihre Definition als kriminelle Organisation stellen keinen Grund zur Selbstzufriedenheit dar. Im Gegenteil, es fördert den Kampf gegen den Nationalsozialismus, damit das Schlangenei in Griechenland nicht wiedergeboren wird.
Zentralrat der Juden
Konsequenzen
Der Nationalsozialismus wird in Griechenland oft als "das Ei der Schlange" betitelt. Für die nun Verurteilten ergeben sich weitere Konsequenzen. Der Bürgermeister von Athen, Kostas Bakoyiannis ließ umgehend die Büros der "Griechischen Morgendämmerung", der kommunalen Vereinigung der Goldenen Morgenröte schließen. Im Athener Stadtrat sitzt Ilias Kasidiaris, der 2019 für die Partei Spitzenkandidat bei den Kommunalwahlen war. Seine Büros wurden mit Ketten und Vorhängeschlössern versiegelt.
Die kommunistische Fraktion im Regionalparlament von Attika hat, vertreten durch Giannis Protoulis, auch für die Regionalverwaltung eine analoge Schließung der Büros des Neonazis verlangt. Zudem haben mehrere Parteien eine Initiative gestartet, damit im EU-Parlament die Immunität des nun verurteilten Giannis Lagos aufgehoben wird. Es wird zudem verlangt, dass die Partei keine Nachrücker nach Brüssel und Straßburg schicken soll.
Nicht alle sind mit der Verurteilung und dem allgemeinen Klima des Antifaschismus einverstanden. Der Chefkommentator des Senders SKAI, Aris Portosalte, fragte sich in einer morgendlichen Sendung, "welchen Sinn hat die Versammlung vor dem Berufungsgericht? Das ist an der Grenze. In einer Demokratie sind die Mächte geteilt, Exekutive, Legislative und Justiz. Dem Volk kommt dabei keine Rolle zu… Das Gericht wird den Druck der Straße spüren, dies ist in einer Demokratie nicht förderlich. So etwas [die Versammlung] machen Faschisten und die Goldene Morgenröte. Also ist unser Thema, dass die Demonstranten das machen, was die GM machte".
Der Sender SKAI gehört ebenso wie zahlreiche weitere Medien und Prominente Sänger, Künstler und Sportler zu denjenigen, die zumindest am Anfang die GM als politische Kraft begrüßten und, was Medien betrifft, mit Life-Style-Reportagen populär machten.
Die Mutter des ermordeten Musikers Fyssas, Magda Fyssa, wandte sich nach der Urteilsverkündung an die Demonstranten vor dem Berufungsgericht, "Pavlos hat gewonnen, die Freiheit hat gewonnen, das ist was Pavlos wirklich war." Sie umarmte die anwesenden Freunde ihres Sohnes.
"Ein guter Weg wird für uns geöffnet, aber der Faschismus wird auf diese Weise nicht besiegt. Es ist ein Kampf nötig. Wir haben eine Schlacht gewonnen, aber es liegt an Euch. Pavlos hat uns den Weg geebnet. Aber noch ist nichts vorbei."