Das Verblassen eines Medienstars
Wie wichtig ist Osama Bin Laden noch?
Vor nicht allzu langer Zeit waren Ausschnitte aus seinen Videos noch im "heute-Journal" oder in den "Tagesthemen" zu sehen. Man sprach darüber, nicht nur in Expertenkreisen, in den Medien, in der Politik, sondern auch privat. Die Suche nach dem eigenartig sanftmütig lächelnden Superstar der Bösen lieferte Titelgeschichten für Magazine (vgl. Wieviel Osama darf's sein?), Schlagzeilen, vorschnelle Sensationsmeldungen, immer interessantere Spekulationen über seinen derzeitigen Aufenthaltsort - Teheran? -, Stoff für Bücher und auch den Anlass für ein Grinsen bei Angestellten in einem ägyptischen Ressort, die den Triumph darüber nicht verbergen wollten, dass es die Supermacht USA und die legendäre CIA niemals schaffen würden, Osama Bin Laden zu fassen.
Ob dem so ist, wird sich erst noch weisen. Neuere Spekulationen über "OBL" gehen in eine andere Richtung: Vielleicht ist Osama Bin Laden weniger wichtig geworden. Für die Jäger, für den "Kampf gegen den Terror", für al-Qaida, für die Öffentlichkeit.
Das handfesteste Argument dafür liefert der Fall Sarkawi. Der sogenannte Sarkawi-Effekt blieb bislang aus. Auch nach der Tötung des Top-Terroristen, der als Führer der al-Qaida im Irak galt, gehen die Aktionen der Dschihadisten weiter, eine entscheidende Schwächung durch den Tod von Sarkawi ist nicht zu erkennen. Dass die Terrorgruppen auch ohne die Führer-Ikone Sarkawi weiter operieren, bzw. den Tod Sarkawis als Märtyrertod in ihre Ideologie "positiv" einbauen, spricht für die mittlerweile gängige Annahme, dass die Dschihadistengruppen auf Befehle und Weisungen der berühmten Führungspersonen gar nicht so sehr angewiesen sind und sich des Charismas der geistigen Führer auf vielfältige Weise bedienen. Die reale Anwesenheit der Person ist dafür nicht notwendig.
Ob es einen deutlichen "Osama"-Effekt nach einer Ergreifung Bin Ladens auf die Aktivitäten der Qaida und anderer Dschihadisten-Gruppen geben würde, erscheint in diesem Licht fraglich.
Die Anti-Terror-Einheiten der CIA haben mittlerweile die Ansicht in ihre Arbeitsmethoden aufgenommen, wonach eine Gruppierung al-Qaida-ähnliche Anschläge durchführen kann, unabhängig von den prominenten Führern:
Currently, the CIA's main concern is small, scattered terrorist groups which, although influenced by Al Qaida, operate entirely independently and don't receive their instructions directly from bin Laden.
Ein Umdenken im Anti-Terror-Kampf ist auch die naheliegendste Erklärung dafür, dass die CIA ihre Spezialeinheit "Alec Station", die sich auf die Jagd nach Osama Bin Laden spezialisiert hat, geschlossen hat, wie die New York Times und andere große Zeitungen gestern meldeten: Die Jagd nach Osama Bin Laden ist für den Kampf gegen den Terrorismus nicht so wichtig wie der Kampf gegen die Terrorgruppen in Afghanistan oder im Irak. Das Personal wird woanders dringender benötigt.
Die andere Erklärung ist, dass "Alec Station" einen seltsamen Ruf in der Agency hatte und immer weniger Unterstützung in der CIA und in der Politik. Wie ein Bericht der Kommission zu den Attentaten am 11.9.2001 feststellte, wurde der Grad an Alarmbereitschaft in der Einheit gegenüber allem, was Bin Laden betraf, von anderen Geheimdienst- und politischen Kreisen nicht geteilt und nur wenig verstanden. Darüber hinaus sollen nur sehr wenige Mitarbeiter die nötigen Fremdsprachenkenntnisse für ihre Arbeit gehabt haben, die Einheit soll schlecht ausgestattet gewesen sein, wie ein ehemaliger Leiter behauptet, und hatte schließlich keinen Erfolg vorzuweisen.
In seinem 2004 erschienenen Buch "A Pretext for War" macht der amerikanische Autor James Bamford auf das Versagen der Einheit schon in den Anfangsjahren - "Alec Station" wurde 1996 gegründet - ihres Bestehens aufmerksam:
After four years and hundreds of millions of dollars, Alec Station had yet to recruit a single source within bin Laden's growing Afghanistan operation. It was more than embarrassing - it was a scandal.
Dass man das Ende der "Alec Station" auf keinen Fall als Eingeständnis der fortwährenden Erfolglosigkeit nach zehn Jahren "intensiver Arbeit" verstanden wissen wollte, ist vielleicht auch der Grund, warum die Auflösung erst jetzt - ein Jahr später! - bekannt geben wollte. In diesem Punkt womöglich sogar ein wirklicher Sarkawi-Effekt: Da man den einen großen Schurken zur Strecke gebracht hat, ist es weniger schlimm, sich die Erfolglosigkeit im anderen Fall einzugestehen.
Und dass die CIA-Verantwortlichen im Kommentar zur Nachricht vom Ende der Spezialeinheit betonen, die Ergreifung Bin Laden sei noch immer eine "bedeutendes Ziel" und werde mit großem Aufwand weiter betrieben, ist selbstverständlich angesichts der nach wie vor präsenten Stimmen in den USA, die der Regierung Versagen im Fall Bin Laden vorwerfen.
Immer größere Schwierigkeiten damit, die öffentliche Agenda zu dominieren
Auch in anderen Sphären hat sich die Aufmerksamkeit für Bin Laden geändert, behauptet der amerikanische Öffentlichkeitsforscher Marc Lynch, der in seinem Blog die zwei vor kurzer Zeit veröffentlichten Bänder von Osama bin Laden analysiert:
Bin Ladens größtes Problem dieser Tage sind nicht die USA, sondern die Entwicklung von Ideen, wie man die Botschaften von al-Qaida aus der Kakophonie der arabischen Politik und der Medien herausstellen kann. Bin Laden und Sawahiri haben im letzten Jahr fast ein Dutzend Bänder veröffentlicht. Aber sogar wenn sie mehr verlauten lassen, haben sie immer größere Schwierigkeiten damit, die öffentliche Agenda zu dominieren.
Nicht etwa, weil sie von den arabischen oder internationalen Medien ignoriert würde - davon ist man weit entfernt, über ihre Bänder wird jedes Mal berichtet, sie sorgen immer für einige kurze Wellen. Eher weil so viel sonst los ist und ihre öffentlichen Interventionen nur mehr selten Zugkraft entfalten: Sie verschwinden im Nachrichtenkreislauf, sobald die nächste Story herankommt. Die Normalisierung der Botschaften von al-Qaida verkleinern ihre Wirkung.
Das würde sich freilich ändern, sobald der Normalzustand ausgesetzt wird, durch einen spektakulären Anschlag oder eine spektakuläre Festnahme.