Das Virus, die Weltwirtschaft und das Klima

Seite 2: Kapital vs. Klima

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Es waren gerade diese gigantischen konjunkturellen Aufwendungen, die von den wichtigsten Industriestaaten in Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise initiiert worden sind, die den kolossalen Anstieg der Emission von Treibhausgasen nach 2009 hauptsächlich befeuerten. Der krisenbedingte Einbruch wurde 2010 mehr als kompensiert, als aufgrund dieser global aufgelegten Konjunkturpakete eine Steigerung der Emissionen von Kohlendioxid um 5,9 Prozent erreicht wurde! Dies war der höchste jährliche Anstieg im 21. Jahrhundert.

Bisher ist mit Ausnahme von 2009 in keinem einzigen Jahr des 21. Jahrhunderts der Ausstoß von CO2gesunken. Und es ist fraglich, ob auch in diesem Jahr die Emissionen von Treibhausgasen aufgrund der Pandemie wirklich global sinken werden - die anlaufenden Konjunkturpakete, die den Absturz in eine Weltrezession verhindern sollen, könnten dies durchaus verhindern.

Eine simple Schlussfolgerung liegt angesichts der dargelegten Entwicklung offen auf der Hand: Ökonomie und Ökologie sind im Rahmen der kriselnden kapitalistischen Wirtschaftsweise unvereinbar, der Wachstumszwang des Kapitals zerstört alle politischen Ansätze, alle technologischen Effizienzsteigerungen, die auf eine ökologisch nachhaltige Wirtschaft abzielen.

Gerade die Suche nach einem "technologischen" Ausweg aus der kapitalistischen Klimakrise führt in eine Sackgasse. Einerseits führt der volkswirtschaftlich als "Wachstumszwang" sich manifestierende Verwertungszwang des Kapitals dazu, dass alle technisch und organisatorisch realisierten Energieeinsparungen sofort wieder revidiert werden, was in der bürgerlichen Ökonomie ideologisch verzerrt als "Rebound-Effekt" bezeichnet wird. Effizienzsteigerungen führen zu Mehrverbrauch.

Den entscheidenden inneren wie äußeren Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise bilden aber die permanenten Effizienzsteigerungen in der Warenproduktion, die in der Tendenz nicht nur eine ökonomisch überflüssige Menschheit produzieren, sondern auch die Warenflut beständig ansteigen lassen, da der irrationale fetischistische Selbstzweck der ganzen Veranstaltung in der Akkumulation abstrakter Arbeitsquanta besteht, die bei steigender Produktivität pro Wareneinheit abschmelzen.

Effizienzsteigerungen in der Warenproduktion fungieren folglich als Verbrennungsbeschleuniger, da sie zu einer Erhöhung des Warenausstoßes nötigen. Je größer die Produktivität, desto größer muss der Warenausstoß sein, um dieselbe Masse an Kapital zu verwerten.

Die innere Schranke des Kapitals, seine marktvermittelte Tendenz, mit der Lohnarbeit sich seiner eigenen Substanz zu entledigen, tritt somit mit der "äußeren", ökologischen Schranke des Kapitals in Wechselwirkung, also der Endlichkeit der Welt, die im Wachstumszwang verfeuert wird..

Klimakollaps oder Verelendung?

Was soll es also sein? Klimakollaps oder Verelendung? Diesem binnenkapitalistisch unauflösbaren Widerspruch sind alle Insassen der spätkapitalistischen Tretmühle ausgeliefert. Die Lohnabhängigen können ja tatsächlich ihre soziale Existenz nur dadurch aufrechterhalten, indem sie Lohnarbeit leisten - und dies bedeutet gesamtwirtschaftlich nichts anders, als den objektiv gegebenen Wachstumszwang des Kapitals subjektiv zu exekutieren, ihre Lohnarbeit bildet die ja Substanz des Kapitals.

Dieses Verhängnis, dieser soziale Zwang, buchstäblich auf den Klimakollaps hinzuarbeiten, ist ein sehr realer Sachzwang, es ist keine Einbildung. Die sozialen und ökologischen Widersprüche, die aus der sehr realen Dynamik uferloser Selbstvermehrung des Kapitals resultieren, führen nicht nur jede binnenkapitalistische Klimapolitik ad absurdum, sie durchziehen auch die Lohnabhängigen, die ihre soziale Existenz im Spätkapitalismus nur um den Preis des sich immer deutlicher abzeichnenden Klimakollaps sichern können - inzwischen mit einem immer schärferen Bewusstsein dieses monströsen Widerspruchs.

Immer mehr Menschen spüren immer deutlicher, dass es so nicht weitergehen kann mit dem ökologischen Raubbau; und sie merken zugleich, dass sie unterm Kapital keine andere Option haben, als weiterzumachen.

Die oben erwähnten - ökologisch verheerenden und ökonomisch erfolgreichen - keynesiansichen Konjunkturprogramme haben ja tatsächlich Millionen von Lohnabhängigen davor bewahrt, in Arbeitslosigkeit und Elend abzudriften, indem sie das "Wachstum", also den Verwertungsprozess des Kapitals, ankurbelten, an dem die gesamte Gesellschaft wie an einem Tropf hängt.

Dieses dumpfe Krisenbewusstsein, die Ahnung des monströsen Widerspruchs zwischen Ökologie und Ökonomie, in dem alle Marktsubjekte verfangen sind, befeuert auch die nun aufkommende Panik. Drei Jahrzehnte neoliberaler Entsolidarisierung und die Angst vor der unverstandenen sozialen wie ökologischen Krisendynamik lassen die Bestrebungen zur Abkapslung, zur Selbstisolierung aufkommen, also ob man der krisengeplagten Gesellschaft, dem immer enger gewobenen Netz der globalen Vergesellschaftung durch das Horten von Nudeln und Bohnen entkäme.

Dabei sind es oftmals gerade die - als Prepper bezeichneten - Exponenten der Neuen Rechten, die diese Panik verbreiten, indem sie, auf Bergen gehorteten Klopapier sitzend, einer Greta Thunberg Panikmache in Klimafragen vorwerfen.

Vom Autor erscheint zu diesem Thema aktuell das Buch "Klimakiller Kapital. Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört".