Das Wettrüsten am Arbeitsmarkt zwischen Bewerber und Personalchef

Digitale Bewerbungen lassen die Bewerbungsflut anschwellen

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Digitale Bewerbungen tragen im Vergleich zur klassischen Papierbewerbung nicht zu einer effizienten Bewerberauswahl bei. Das ist das Ergebnis einer Umfrage bei Personalchefs und Bewerbern. Im Zuge der steigenden Bewerbungsflut müssen die Personalentscheider die Unterlagen immer schneller vorsortieren, was wiederum die Bewerbungsschwemme weiter steigen lässt. Eine Rückkehr zur angestaubten Bewerbungsmappe erscheint jedoch abwegig.

Bis zum Ende der 90er Jahre verschickten Stellensuchende Unmengen von Papier an Unternehmen, beim Anblick eines DIN-A4-Umschlags im Briefkasten war klar, dass soeben wieder eine Absage ins Haus geflattert ist. Inzwischen hat die Bewerbung auf Papier ausgedient, digitale Bewerbungen per E-Mail oder Web-Formular sind inzwischen die Regel. "Jede Bewerbungsmappe kostet Geld für Klemmmappe, Fotokopien, Papier, Umschlag, Foto und Porto – das macht rund 8 Euro. Es fragt sich, ob sich diese Ausgabe lohnt", mäkelt Robin Miller, die kennwortgeschützte digitale Bewerbungsmappen ins Web stellt. Niemand kann diese ohne Zustimmung der Bewerber überhaupt finden oder gar ansehen; die Zugangsdaten erhält ein Personalchef erst mit einer Kurzbewerbung per E-Mail. Das ist vorteilhaft, falls beispielsweise umfangreiche Arbeitsproben gezeigt werden sollen und der Empfänger diese tatsächlich durchsehen will, was für ein E-Mail-Attachment indiskutabel wäre.

Die häufigsten Fehler der Stellensuchenden aus der Sicht der Unternehmen rühren von verbesserungsfähigen PC-Kenntnissen (gelbgrüner Sektor) her: unübersichtliche Unterlagen mit schlampiger Formatierung, Megabyte-große Dateien, vereinzelte Anhängsel statt in einer Datei zusammengefasste Zeugnisse. Weiterhin sind es unvollständige Unterlagen (hellblau), Rechtschreib- und Formfehler (blau) sowie Massenbewerbungen ohne individuelles Anschreiben (violett). (Bild: Tobias Dägele, Klaus Resch Verlag, 2004)

Weniger anspruchsvolle Bewerber können anonyme Lebensläufe bei Anbietern wie Stepstone oder Jobpilot ins Web stellen, hier erfährt der Arbeitgeber den Namen und die Adresse des Bewerbers erst nach dessen Einwilligung, alternativ könnten Stellensuchende eine anonyme Freemail-Adresse nennen. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob Unternehmen auf Stellengesuche überhaupt reagieren?

Stellensuchende werden weiterhin Bewerbungen verschicken müssen. Digitale Bewerbungen sparen Zeit und Geld, zudem lässt sich auf einen Blick prüfen, ob nichts fehlt. Ist der vollständige Name des Ansprechpartners der Firma bekannt, so lässt sich die E-Mail-Adresse, falls nicht ohnehin im Stelleninserat angegeben, meist schnell mit einer Internet-Suchmaschine ermitteln; die Administratoren vergeben die E-Mail-Adressen in der Regel nach einem Schema. Da viele Unternehmen digitale Bewerbungen annehmen, dürfte eine Rückkehr zur alten Papierbewerbung kaum in Betracht kommen, allenfalls Web-Formulare als Alternative zur E-Mail, deren Einträge lassen sich maschinell erfassen.

Digitale Bewerbungen tragen nicht zu einer effizienten Bewerberauswahl bei

Welche Erfahrungen machen Bewerber und Personalchefs mit digitalen Bewerbungen? Um das herauszufinden, organisierte der Klaus Resch Verlag in Wildeshausen Ende des letzten Jahres eine Umfrage, an der 1723 Bewerber – vor allem Hochschulabsolventen – und 352 Personalentscheider teilnahmen; der Betriebswirt Egon Franck von der Universität Zürich beriet den Verlag dabei. "Durch digitale Bewerbungen werden die Abläufe ineffizienter", resümiert er, "Der Zeitaufwand steigt für beide Beteiligten."

Dieses Ergebnis mag auf den ersten Blick überraschen. Die Stellensuchenden haben den Vorteil niedrigerer Kosten pro Bewerbung, statt rund 8 Euro für eine Mappe höchstens einige Cent; die Bewerber schicken wesentlich mehr digitale Bewerbungen ab als früher in Papierform und hoffen somit auf eine größere Chance auf einen Arbeitsplatz. Wegen der anschwellenden Bewerbungsflut müssen die Personalsachbearbeiter die Unterlagen jedoch schneller aussortieren, was wiederum die nötige Zahl der Bewerbungen in die Höhe treibt. Passgenaue Bewerbungen werden seltener, notgedrungen können die Bewerber das Stellenprofil und ihr eigenes Profil nicht mehr sorgfältig abgleichen, da sie mehr Bewerbungen verschicken müssen; so muss letztlich der Personalentscheider diese Arbeit nachholen.

Mit dem Muff von hundert Jahren ist jetzt Schluss. Zudem gehört der Lebenslauf heutzutage nicht mehr ins Anschreiben. In der Kaiserzeit hätte der Bewerber bei Bewerbungen an Behörden zwischen drittletzter und vorletzter Zeile sogar einen Devotionsstrich einfügen müssen. (Bild: Carl Otto: Der Haussekretär, Verlag W. Herlet, Berlin, 1910)

Den Weg zurück zum Papier hält Franck für unrealistisch: "Sowohl Bewerber als auch Unternehmer würden so noch schlechter fahren. Zudem bieten sehr viele Firmen diese Möglichkeit, so dass ein Ausscheren kaum möglich erscheint." Daher wird der Anzahl der digitalen Bewerbungen weiter zunehmen, Ende des Jahres 2004 betrug ihr Anteil 53 Prozent und der Anteil der Papierbewerbungen folglich 47 Prozent. Die Bewerber suchen primär Stellen, es interessiert sie kaum, wie effizient die Personalauswahl der Firmen ist. Folglich müssen die Firmen ihre Abläufe verbessern und Bewerbungen medienbruchfrei verwalten – also ohne Papierschnittstellen. Die Firmen bräuchten ausgedruckte E-Mail-Bewerbungen nicht per Post zurückzuschicken, eine E-Mail genügte.

Zahl der Bewerbungen vervierfacht sich innerhalb von drei Jahren

Die Bewerber verschicken heute fast vier mal so viele Bewerbungen wie noch vor drei Jahren, als eine ähnliche Umfrage stattfand, nämlich 45 Bewerbungen pro Suchphase statt 12 drei Jahre zuvor. Erstaunlich ist der hohe Zeitaufwand der Stellensuchenden von rund 50 Minuten pro Bewerbung, ihr Gegenüber benötigt für die erste Vorauswahl pro Bewerbung nur 3 Minuten im Median, jeder dritte Personalmitarbeiter braucht sogar weniger als zwei Minuten – Tendenz fallend, wie ein Vergleich des Zeitaufwands für das erste Vorsortieren mit der Zahl der eingehenden Bewerbungen pro Tag zeigt. Nimmt die Zahl der pro Tag eintreffenden Bewerbungen von 5 auf 30 zu, so verkürzt sich die durchschnittliche Zeitspanne der Vorauswahl von 5 auf 3 Minuten, die Zeitspannen sind im Median sogar noch deutlich kürzer.

Die Umstellung von Papier auf digitale Bits verführt manche Bewerber zu Lässigkeiten. Die Personalchefs bemängeln die fehlende Medienkompetenz der Bewerber, das hat sich in den letzten drei Jahren kaum verbessert: Schlechte Formatierung, Monsterdateien einer Größe von mehreren Megabyte, schlecht strukturierte Unterlagen und zu viele einzelne Anhängsel in so allerhand Dateiformaten. Besser wäre eine einzige Acrobat-PDF-Datei mit allen Zeugnissen und eine weitere für den ausführlichen Lebenslauf, doch damit wird das Attachment wiederum zu groß – und dann wird doch eine passwortgeschützte Online-Bewerbungsmappe notwendig.

Personalchefs ziehen festere Saiten auf

Offen bleibt die Frage, warum die Stellensuchenden 50 Minuten Zeit pro Bewerbung aufwenden? Verfassen sie etwa jedes Mal einen neuen Lebenslauf? Grund genug hätten sie, denn im Zuge der andauernden Wirtschaftskrise reagieren viele Personalchefs mit einer härteren Gangart und bohren bei kurzen Verweilzeiten von bis zu einem halben Jahr immer häufiger nach; zudem wüssten sie gern, warum genau ein Bewerber die Firma wechseln muss.

Aus arbeitsrechtlicher Sicht haben sie jedoch kein Recht, mehr Fakten zu erfahren, als in den Zeugnissen steht, schon gar nicht die Gründe für einen Stellenwechsel. Welcher Bewerber würde sich jemals selbst belasten und von sich aus zugeben, dass die im Arbeitgeberzeugnis erwähnte betriebsbedingte Kündigung doch eher verhaltensbedingt war?

Heiko Mell, selbstständiger Personalberater in Rösrath, ermahnt alle Bewerber, unter keinen Umständen beweisbar zu lügen, jedoch bräuchten sie nicht freiwillig alle Aspekte nennen, die gegen sie sprächen, beispielsweise eine bereits ausgesprochene Arbeitgeberkündigung vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Endete das erste Arbeitsverhältnis nach dem Studium schon nach wenigen Monaten, so ließe es sich einfach aus dem Lebenslauf streichen – falls das nicht die Lohnsteuerkarte verrät – oder als Überbrückungstätigkeit umdeuten, der spätere Arbeitgeber wollte den Bewerber eben erst zum genannten Datum einstellen, was ja letztlich stimmt. "So lügen Sie nicht, sondern schwindeln bloß", sinniert Mell.

Bei einem unfreiwilligen Wechsel des Studienfachs ließe sich das Erststudium aus dem Lebenslauf streichen, das zweite, abgeschlossene Studium hätte dann eben länger gedauert – Diplomzeugnisse nennen die Semesterzahl meist nicht. Das wäre eine weitere Ära des Wettrüstens zwischen Stellensuchenden und Unternehmen.