Das Wort zum Sonntag

Robert Habeck bei seiner Rede. Bild: Screenshot von YouTube-Video der Grünen

Robert Habecks Predigt beim Grünen-Parteitag - Ein Kommentar

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Der Mann will Kanzler werden, aber kann er auch? In seiner Grundsatzrede zum Parteitag von Bündnis 90 / Die Grünen hat Robert Habeck eindrucksvoll unter Beweis gestellt: Er kann … ziemlich genau so viel dummes Zeug von sich geben wie seine etablierten Politiker-Kollegen. Unterschätzen sollte man das aber nicht. Der Kern seiner Prediger-haften Auslassungen ist der grüne Wille zur Macht. "Die Guten" schmeißen dann den Laden. Gemütlicher wird es dadurch allerdings für die Mehrheit der Bevölkerung nicht. Warum nicht, kann man der Rede Habecks schon entnehmen.

Der Redner Robert Habeck steht in einem Studio, blickt in eine Kamera und liest vom Teleprompter seinen Redetext ab. Er wendet sich auf diesem Weg online an die Teilnehmer des Parteitags von Bündnis 90 / Die Grünen. Im Hintergrund sieht man gelegentlich Annalena Baerbock, die auf einem Sofa sitzt in einer retro-spießigen Wohnzimmer-Einrichtung, mit Fotos von Grünen-Helden einst und heute. Der Co-Chef der Partei spricht zu Beginn von einer "Bewährungsprobe" in diesem Jahr:

Eine, bei der unsere liberale Demokratie ihre Kraft erst recht beweisen muss gegenüber einem fiesen Virus, das nichts kennt außer sich selbst ...

Starker Start mit einem echten Drama: Hier die zarte Dame "liberale Demokratie", dort das gemeine Virus, und dann auch noch egoistisch! Wer dachte, so ein Krankheitserreger hätte es eher auf Menschen abgesehen als auf eine Staatsform, und dächte eher wenig, weder an sich noch an andere, liegt also falsch. Gefährdet ist für Habeck nicht die Gesundheit der Leute, sondern die Demokratie. Und da versteht ein Grüner natürlich keinen Spaß. Die "liberale Demokratie" hat aber noch einen weiteren Gegner:

... und gegenüber autoritären Regimen, die nichts kennen außer ihrer Macht.

Wer Habeck das auch immer hingeschrieben haben mag, wenn er es nicht sogar selber war, hat wohl noch nicht einmal den Rhetorik-Grundkurs besucht. Aber irrer Zusammenhang hin, schlecht formuliert und gesprochen her - was will er eigentlich damit sagen? Dass es Staaten gibt, die wie ein Virus ticken? Pardon, "Regimes", da ist ja die Verurteilung schon gleich mit drin, "autoritär" braucht es dann eigentlich gar nicht mehr als Zusatz.

Und was zeichnet diese bösen Gebilde aus? Sie kennen nur ihre Macht. Verzeihung, was denn sonst, Herr Habeck? Die Staaten bestehen aus nichts anderem als ihrer Macht, eleganter "Souveränität", über ihr Gebiet und ihr Volk. Und damit stellen sie ihr Möglichstes an, um sich in der Welt gegen alle anderen zu behaupten. Deutschland spielt dabei in der ersten Liga mit. Die zarte "liberale Demokratie" hat sich bisher gegen "Regimes" gut wehren können. Womit bloß? Könnte da "Macht" eine Rolle spielen, Herr Habeck? Und die hätten die Grünen, und Sie besonders, doch gerade liebend gern!

Der Grünen-Chef hält sich bei seiner Rede mit solchen Fragen nicht weiter auf. Ihm geht es um "die Geschichte hinter der Geschichte unserer Zeit":

Wohlstand ist gewachsen, nicht für alle und nicht gleich, aber doch gewachsen. Rechte wurden erkämpft. Noch immer gibt es gläserne Decken und Diskriminierung. Aber mehr Menschen machen Bildungsabschlüsse und haben Zugang zur Gesundheitsversorgung.

Und in jedem Haushalt steht ein Kühlschrank … Aber einmal abgesehen von der beliebigen und unzusammenhängenden Auflistung: Was für eine "Geschichte" will er uns damit erzählen?

"Gewachsen" ist "Wohlstand" nicht wie eine Pflanze, sondern Geld-Reichtum hat sich durch profitable Anwendung von Arbeitskräften eingestellt. Und zwar auf Seiten der Anwender, nicht der Angewendeten. Dass Letztere sich in der Regel einen Kühlschrank leisten können und noch einiges Notwendiges mehr, um sich für die Anwendung fit zu halten - das meint Habeck unterschiedslos mit "gewachsen". So schaut heutzutage ein Grüner auf Armut und Reichtum - und streitet sich intern dann darum, ob es für die Verlierer in Deutschland besser eine Grundsicherung ohne oder mit Bedingungen geben soll. Dass es diese armen Schlucker weiter geben wird, nun ja, ist halt so.

Lieber schwadroniert Robert Habeck ohnehin über das große Ganze, die "Gesellschaft":

Der gemeinsame Grund unserer Gesellschaft ist ausgetrocknet, er hat Risse bekommen. Und kleine Schollen sind entstanden. Auf diesen Schollen leben Menschen in Gruppen und Grüppchen. Wenn es aber stark regnet, dann kann ein solch ausgetrockneter Boden all das Wasser nicht mehr aufnehmen. Dann bildet sich ein Graben, der das Land in zwei Hälften teilt. Dann wird die Klimakrise zu einem Generationenkonflikt stilisiert (…) Dann prallen Vorwürfe von einer Grabenseite zur anderen. Und der gemeinsame Grund unserer liberalen Demokratie wird weggeschwemmt.

Man könnte es sich natürlich einfach machen, und das als Erzählung eines Pfarrers abtun, der seine Schäfchen wieder zu mehr Zusammenhalt aufruft. Mit bemühten Metaphern gespickt, unlogisch bis lächerlich, wie beim "Wort zum Sonntag" halt. Doch es ist schlimmer: Habeck fabuliert dieses Bild, um den Boden zu bereiten für den selbst erteilten Auftrag, die liberale Demokratie, sprich den deutschen Staat, zu retten. Dafür erfindet er zunächst einen "gemeinsamen Grund". Worauf alle Bürger da stehen sollen, erklärt er nicht. Irgendwie schwebt ihm wohl etwas vor, auf das sich - eigentlich - alle einigen müssten, vermutlich seine Wohlstands-Pflanze. Und diese Einigung galt, bis Trockenheit zu "Rissen" und "Schollen" geführt hat. Wer oder was für die böse "Trockenheit" verantwortlich ist, bleibt rätselhaft. Warum es ein Problem bedeutet, wenn Menschen "in Gruppen und Grüppchen" leben, ebenfalls. Dann kommt irgendwoher Regen, also doch gut gegen Trockenheit, oder? Aber nein, das bringt ein neues Problem, ein "Graben" entsteht. Der teilt dann fein säuberlich die "Gruppen und Grüppchen" in zwei Hälften. Welche "Scholle" landet dabei wo?

Egal, Auftritt "Klimakrise": Generationen stehen sich mit einem Mal auf den beiden Seiten des Grabens gegenüber. Wo kommen die denn jetzt auf einmal her? Man macht sich gegenseitig Vorwürfe, und das reicht, um der geliebten Demokratie die Basis zu entziehen. Wer bis jetzt noch keinen Knoten im Hirn hat, eignet sich bestens als Grüner oder mindestens Grünen-Wähler.

Wenn "Vorwürfe" genügen, einen Staat ins Wanken zu bringen, sollte man sich Sorgen machen. Deshalb plädiert Habeck für ein stärkeres, "neues Wir":

Wir können ein neues Wir sein. Ein Wir, das streitet. Aber auf der Basis einer gemeinsamen Wirklichkeit. Eine Gesellschaft der vielen, aber eben einer Gesellschaft.

Das ist schon ein starkes Stück. In dieser kapitalistischen Gesellschaft, in der alle gegen alle konkurrieren, Hauen und Stechen das Prinzip ist, sieht er das "Wir". Unternehmen kämpfen gegen Unternehmen um Marktanteile, Konkurse hier, Börsengewinner da; Banken und andere Finanzhaie befeuern und entscheiden diesen Konkurrenzkampf maßgeblich mit, profitieren davon; Menschen ohne Kapital verkaufen ihre Arbeitskraft für ein Geld, das sie gerade so über Wasser hält, und konkurrieren untereinander um Arbeitsplätze und Karrierechancen. Am Ende der Kette ein stattlicher Sockel amtlich beglaubigter Armut, der auf Almosen angewiesen ist. Jeder will an den Geldbeutel des anderen, legal über Kauf und Verkauf, illegal über Diebstahl, Betrug und Raub. Aber Robert Habeck will nur die "eine Gesellschaft" sehen. Seltsam, auf welchem Planeten lebt er?

Schon auf dieser Erde - und Robert Habeck kennt das auch alles. Aber er stört sich offenbar nicht an der brutalen kapitalistischen Wirtschaft. Irgendwie muss er das wohl in Ordnung finden, wie es zugeht, auch die Rolle des Staats als Profiteur und Regulierer. Sonst hätte er ein anderes Programm.

Stattdessen fantasiert er sich ein "neues Wir" herbei: Eines, das bei allen Gegensätzen in der Gesellschaft für eine Gemeinschaft steht. Das klingt auch so friedlich und harmonisch - sind nicht "wir alle" Deutsche und lieben unsere Nation, unseren Staat? Darauf wird man sich doch wohl einigen können! Und schwupps landet der Grünen-Chef bei seinem Thema: Wer, wenn nicht wir Grüne, kann die nötige Einigkeit hinbekommen, um die alles bedrohende Klimakrise in den Griff zu kriegen?

Dies ist unsere Aufgabe. Unsere, weil gerade wir als Partei der Vielfalt und Individualität, als Partei der Veränderung aus den letzten Dekaden heraus stark und groß geworden sind. Deshalb müssen wir, vielleicht sogar vor allen anderen und den Aufgaben der neuen Zeit stellen, sie gestalten, sie Wirklichkeit werden lassen. Dieses Versprechen ist unser Versprechen.

Also weil die Grünen viele verschiedene Leute in ihren Reihen haben, die außerdem ganz einzigartig sind und "Veränderung" schon lange gut finden, muss man sie einfach lieben - und sie endlich mit der Macht ausstatten, die "neue Zeit" zu gestalten! Noch dazu, wenn diese Partei "stark und groß geworden" ist. Merke: Wer mit der Macht bereits in vielen Landesregierungen beauftragt wurde und das staatstragend erledigt hat, der kann, ja muss das auch in Berlin machen können. Da ist Robert Habeck ausnahmsweise nicht zu widersprechen.

Selbstverständlich müssen "wir" alle unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Habeck weiß dennoch von einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, die besondere Vorbehalte hat. Manchen Wirtschaftsführern, die vielleicht nicht ganz so begeistert sind von weiteren Klimaschutz-Auflagen, weil die nun mal das Geschäft erschweren, schreibt der Redner daher ins Stammbuch:

Noch heißt es aber: Klimaschutz gefährdet wirtschaftlichen Erfolg. Dabei wird es nur mit und durch Klimaschutz in Zukunft noch wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand überhaupt geben.

Im Habeck-Sprech formuliert: Nur wenn die Pflanze Wohlstand von uns gegossen wird, hat sie eine Zukunft! Wenn wir Grüne für unsere Wirtschaft das nationale und vor allem internationale Geschäftsfeld "Klimaschutz" viel mehr erschließen als bisher, wird sich der deutsche Reichtum weiter mehren - ohne uns, so viel Selbstbewusstsein darf es inzwischen sein, aber nicht! Darin liegt der neue Ton der Grünen: Wir wollen das Sagen haben, und wir machen das am besten.

Inhaltlich unterscheidet sich indes das Gerede von Wirtschaft und Klimaschutz nicht von einschlägigen Bekenntnissen der Unionsparteien, wie auch der SPD oder der FDP. Denn dass da eine Chance für die hiesigen Firmen besteht, von einem wachsenden Markt zu profitieren, haben die längst begriffen. Und mit vorbildlichem Klimaschutz winken internationale Konkurrenzvorteile - so denn Deutschland es schafft, ihn zum globalen Standard werden zu lassen. Auf diesen Job freuen sich die Grünen schon jetzt.

Wie auch auf das Eintreiben von Geld, das bisher dem Staat entgeht:

Durch Betrug gehen dem Staat jährlich hohe zweistellige Milliardenbeträge verloren. Wir werden Steuerflucht bekämpfen (…) Noch immer, und gegen alle Treueschwüre, werden Zins- und Veräußerungsgewinne niedriger besteuert als Arbeit! (…) Wir werden dafür sorgen, dass sie (gemeint sind Amazon, Facebook, Google - B.H.) sich an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen durch eine europäische Digitalsteuer.

Wer bisher dachte, die Grünen können nur Umwelt und Frieden, täuscht sich. Sie können auch harte Finanzpolitik, jawohl! Was nicht zu verwechseln ist mit einer Umverteilung, also die Steuer-Mehreinnahmen vielleicht zur Bekämpfung der Armut einzusetzen. Wo kämen wir da auch hin? Jedenfalls nicht zu den salbungsvollen Worten des Predigers Habeck an die Verdammten dieser Erde:

Ja, manche Veränderungen bedeuten Verlust oder die Angst vor Verlust. Die Autobauerin, die fürchtet, in ein paar Jahren auf der Straße zu stehen. Der Kohlearbeiter, dessen Tagebau schließt. Die Bauernfamilie, die den Hof aufgibt, weil sie im Wettbewerb des Wachsens nicht mehr mithalten kann. Alle diese Menschen verdienen Antworten und Perspektiven, die ihnen Respekt und Würde sichern.

Das mit den "Antworten und Perspektiven" dürfte zwar schwierig werden, wenn den Leuten die Existenzgrundlage entzogen wird. Aber "Respekt und Würde" gehen immer, kosten ja nichts. Wenn Robert Habecks Grüne an der Macht sind, wird es davon eine Menge geben, so viel ist sicher. Schließlich bedeutet es für die Betroffenen einen eklatanten Unterschied, dass die Krokodilstränen über die Verlierer des deutschen Erfolgswegs bald von grünen Regime- , pardon, Regierungsmitgliedern vergossen werden. Verwechslungen mit anderen Machthabern sind nicht auszuschließen, gehören sich aber nicht.

Mehr zu den grünen Regierungs-Chancen siehe auch: Habemus Schwarz-Grün.

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