Das Zögern beim Kohleausstieg und die Gründe
Am Kohleausstieg scheidet sich die internationale Gemeinschaft: Manche Staaten wollen schon bald nicht mehr auf Kohlestrom zurückgreifen, andere haben es nicht besonders eilig
Mehr Tempo beim Kohleausstieg und keine Subventionen mehr für die Kohle: Diese Forderung hat es geschafft, in den sieben Seiten langen Entwurf für die Abschlusserklärung des Weltklimagipfels im schottischen Glasgow aufgenommen zu werden. Das Beachtliche daran: Erstmals seit 25 Jahren wird der Kohleausstieg in einer solchen überhaupt erwähnt und das Ende der Subventionen gefordert.
Doch es bleibt eine halbe Sache: Es fehlt nicht nur ein konkretes Datum, die Formulierung ist auch recht schwammig gehalten. Die Mitgliedsstaaten werden aufgefordert, "den Kohleausstieg zu beschleunigen und die Subventionen für fossile Brennstoffe schneller zu streichen", heißt es - grob übersetzt - in dem Dokument.
Über das bisherige Ergebnis des Weltklimagipfels zeigten sich viele Klimaschützer enttäuscht, hatte Telepolis schon am Mittwoch berichtet. In Bezug auf den Entwurf der Abschlusserklärung reagierte Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan mit scharfer Kritik. Dies sei kein Plan zur Lösung der Klimakrise. Es sei nur eine höfliche Bitte, dass die Staaten "vielleicht, wenn möglich" im nächsten Jahr mehr tun.
Freilich, beim Thema Kohleausstieg hat es auch bei diesem Klimagipfel nicht gut ausgesehen. Zwar hatte sich eine Gruppe von 40 Staaten zusammengetan und sich zum kompletten Ausstieg aus der Kohle bekannt. 23 Staaten davon sagten erstmals zu, den Betrieb ihre Kohlekraftwerke auslaufen zu lassen und nicht in neue zu investieren.
Ein konkretes Jahr hatten sie aber nicht im Blick, vielmehr einigten sie sich darauf, dass große Volkswirtschaften in den 2030er-Jahren aussteigen und in den 2040er-Jahren dann die kleineren folgen sollen.
Australiens Plan: erst Reibach mit Kohle, dann Klimaneutralität
Doch nicht alle Länder zeigten sich von diesem Plan begeistert. Australien zum Beispiel will trotz verheerender Wald- und Buschbrände auf dem eigenen Gebiet, die nach Ansicht von Klimaforschern durch den menschengemachten Klimawandel häufiger werden, noch über Jahrzehnte Kohle fördern.
"Wir haben ganz klar gesagt, dass wir keine Kohleminen und keine Kohlekraftwerke schließen werden", sagte am Montag der australische Ressourcenminister Keith Pitt gegenüber dem Fernsehsender ABC. Es werde noch lange einen Markt für Kohle geben und so lange werde Australien sie auch verkaufen.
Pitt geht davon aus, dass die weltweite Nachfrage sogar noch bis 2030 weiter ansteigen wird. "Und wenn wir nicht den Markt gewinnen, dann macht es jemand anders", sagte er weiter. Unter diesen Umständen sei es besser, wenn mit der Kohle in Australien Arbeitsplätze geschaffen und die Wirtschaft gefördert werde, als wenn der Brennstoff zum Beispiel aus Indonesien komme.
Trotz allem will das Land bis 2050 klimaneutral sein; das hatte zumindest die Regierung von Premierminister Scott Morrison im vergangenen Monat angekündigt. Einen konkreten Plan, wie das verkündete Ziel erreicht werden solle, legte die Regierung aber noch nicht vor.
Greenpeace kritisiert bei scheinbar Einsichtigen das Kleingedruckte
Das scheint auch das Problem der anderen Staaten zu sein, die den Kohleausstieg zugesagt haben. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisierte deren Vereinbarung als unzureichend. "Das Kleingedruckte scheint den Ländern erheblichen Spielraum zu geben, um ihr eigenes Ausstiegsdatum zu wählen, trotz der schillernden Überschrift", sagte Delegationsleiter Juan Pablo Osornion letzte Woche gegenüber der britischen BBC. Den Ländern drohten keine Sanktionen, wenn sie ihre Zusicherung nicht einhalten sollten.
Dass die Energiewende zügig vorangebracht werden muss, macht eine neue Analyse des Forschungsverbundes "Global Carbon Project" deutlich. Aus dieser geht hervor, dass der Ausstoß von Kohlendioxid in diesem Jahr wieder fast annähernd das Niveau von vor der Pandemie erreichen wird. Die Emissionen aus dem Verbrennen von Kohle, Öl und Gas dürften Hochrechnungen zufolge in diesem Jahr bei 36,4 Milliarden Tonnen liegen.
Damit die Welt im Jahre 2050 klimaneutral ist, müsste der Ausstoß von Kohlendioxid jedes Jahr um 1,4 Milliarden Tonnen sinken. Das liegt aber noch in weiter Ferne. Bislang ist es auch eher unwahrscheinlich, dass das propagierte Ziel erreicht werden kann, die Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Dafür dürften höchstens noch 420 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen werden; aber dieses Budget dürfte in elf Jahren aufgebraucht sein, sollten die Emissionen nicht zurückgefahren werden.
Was die einzelnen Länder unter "Klimaneutralität" verstehen, unterscheidet sich erheblich. Zum Beispiel will die Bundesrepublik sie durch erneuerbare Energien erreichen. Wind, Sonne und Biomasse sollen Quellen für elektrische Energie sein; Wasserstoff soll die Energie für wichtige industrielle Prozesse liefern.
Japan setzt dagegen auch weiterhin auf fossile Energieträger. Klimaneutral will der Inselstaat werden, in dem das entstehende Kohlendioxid abgeschieden und entweder gespeichert oder weiterverwertet werden soll. Saudi-Arabien will auch in Zukunft Öl fördern und verkaufen - und hofft ebenso auf Technologien, mit denen CO2 dauerhaft gespeichert oder verarbeitet werden kann.
Die Prognosen zeigen: Die Transformation des Energiesystems ist nötig. Doch in der Diskussion wird oft nicht berücksichtigt, dass sie für viele Länder kaum zu finanzieren ist. Die Weltbank hat ausgerechnet, dass allein in Asien der Ausstieg aus der Kohle bis zu 13 Billionen US-Dollar kostet. Nahezu zehn Billionen US-Dollar entfallen demnach auf China. Für die anderen asiatischen Länder wäre die übrige Summe aber auch kein Pappenstiel.
"Selbst die übrigen drei Billionen Dollar würden über 20 Jahre hinweg 150 Milliarden US-Dollar pro Jahr kosten", sagte Weltbank-Direktor Axel van Trotsenburg jüngst gegenüber dem Handelsblatt. Ohne Unterstützung der reichen Industrieländer dürfte den ärmeren Ländern der Kohleausstieg nur schwer gelingen.