"Das dritte Memorandum ist eine Garantie für eine rasch zunehmende Verelendung"

Seite 4: Griechenland ist im Moment das entscheidende Schlachtfeld im weltweiten Krieg um Gerechtigkeit und Demokratie

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Und was genau würdest Du im Moment den Leuten in Griechenland empfehlen, die nicht mehr bereit sind, noch mehr Elend zu ertragen?

Prinz Chaos: Ich empfehle von hier aus den Griechen erst einmal gar nichts. Ich versuche, die Situation zu analysieren und alles, was ich bisher erzählt habe, also vor allem die Kritik an Tsipras, wird von vielen Griechen mit sehr viel größerer Härte formuliert, als ich das hier getan habe.

Ansonsten müssen wir uns fragen, was wir selber zu tun haben in dieser Lage. Griechenland ist im Moment das entscheidende Schlachtfeld im weltweiten Krieg um Gerechtigkeit und Demokratie.

Das kann speziell für uns hier in Deutschland nur bedeuten, dass wir den griechischen Kampf zu unserem eigenen machen müssen. Dass wir Solidarität organisieren müssen. Echte, praktische Solidarität und nicht nur irgendwelche Likes auf Facebook.

KenFM beispielsweise hat bereits 100.000 Euro für medizinische Nothilfe gesammelt. Und ich versuche, Solid und den SDS zu überzeugen, dass sie Geld sammeln, um 100 Megaphone für sozialistische Jugendorganisationen zu kaufen, um damit die Stimme der rebellischen griechischen Jugend ganz praktisch zu verstärken. Ich rede auch mit Künstlern, dass wir für nach Griechenland fahren, um dort für die Leute auf der Straße zu spielen. Aber wir sollten auch noch mehr griechische Künstler und Aktivisten nach Deutschland holen. Denn das Niveau der Debatte dort kannst Du mit dem ewigen Mobbing in Deutschland nicht vergleichen. Wir können unendlich viel von den griechischen Aktivisten lernen.

Solidarität bedeutet aber auch, der Griechenlandhetze der deutschen Medien etwas entgegenzusetzen und die Angriffe der Bundesregierung auf Griechenland wütend zu bekämpfen. Wir sind es den Griechen schuldig, dass wir hier nicht bei einer lendenlahmen Pseudosolidarität stehen bleiben. Ich finde, dass die LINKE das im Bundestag sehr ordentlich macht zur Zeit. Das ist gut und wichtig. Aber auch die LINKE sitzt in der strategischen Falle, wenn wir uns nicht endlich von den Illusionen verabschieden, die viele immer noch über den Charakter der Europäischen Union haben.

…das meint?

Prinz Chaos: Dass wir die Konsequenzen ziehen müssen aus dem, was wir jetzt über die EU erkannt haben. Schau, wo war denn eigentlich das Europaparlament in dieser ganzen griechischen Tragödie? Das wird alles innerhalb einer sogenannten "Eurogruppe" abgewickelt, die keiner gewählt hat und die es offiziell gar nicht gibt! Aber das Parlament hat währenddessen immerhin in einer Nacht- und Nebelaktion für TTIP gestimmt. Und das nennen Sie dann "soziales Europa" oder gar "Demokratie".

Ich jedenfalls werde bei der nächsten Wahl zum Europaparlament zum ersten Mal in meinem Leben ungültig wählen. Und wäre ich Engländer, würde ich beim kommenden Referendum auf jeden Fall gegen die EU-Mitgliedschaft stimmen, so wie das auch Tariq Ali, Owen Jones und andere jetzt fordern. Denn diese EU, das ist ein Völkerknast. Und der Euro ist die ökonomische Peitsche, mit der man uns in die Zellen treibt.

Noch ein letztes Wort?

Prinz Chaos: Ja. Als mich ein junger Aktivist in Griechenland mit hoffnungsfrohen Augen über unsere Kämpfe in Deutschland ausfragen wollte, musste ich heulen vor Scham. Denn die Wahrheit ist, dass die deutsche Linke mehrheitlich überhaupt nicht mehr kämpft. Schon gar nicht für Griechenland, wobei ich damit natürlich nicht jeden und alles meine. Aber ein relevanter Teil von uns verliert sich in absurden, praxisfernen Scheindebatten, etwa darüber, ob man für Tsipras das Wort "Verräter" sagen darf oder nicht, so als ob das irgendwie eine Bedeutung hätte. Das ist unfassbar kindisch und unernsthaft.

Aber ich bemerke, dass sich eine gewisse Bewegung abzeichnet. Viele merken allmählich, dass wir uns von einer labernden, zynischen Pseudolinken verabschieden müssen, wenn wir auf einen grünen Zweig kommen wollen. Deshalb sollten die, die an Veränderung von unten und an die Selbstorganisation der Menschen glauben, sich zusammentun und gemeinsam nach vorne gehen. Aktivisten beweisen sich in ihrer Praxis. Und Griechenland braucht dringend handfeste, praktische Solidarität. Und die deutsche Regierung braucht handfesten, aktiven Widerstand. Auch dringend.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Prinz Chaos II. arbeitet als Kabarettist, Liedermacher und Blogger. Er ist seit seiner frühen Jugend politisch aktiv, vor allem in den Bereichen Antifaschismus, Friedensbewegung und internationale Solidarität. 2013 verfasste er mit Konstantin Wecker den "Aufruf zur Revolte". Er lebt in Südthüringen, wo er auf Schloss Weitersroda ein Kultur- und Gemeinschaftsprojekt entwickelt.

Das Interview steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

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