"Das eine Lager ist gegen Tsipras, das andere hasst ihn"
Derbe Flüche, große Hilfsbereitschaft und Ratlosigkeit. All das prägt den Alltag der Griechen
Eine kleine Karaffe Raki, einige Stücke Wassermelone oder gebackene Teigbällchen mit Honig und Zimt. Irgendetwas wird einem in Griechenland nach dem Bezahlen der Rechnung immer noch hingestellt, egal woher man kommt. Auch Deutsche werden in Griechenland beschenkt. "Ihr könnte ja nichts für Eure Politiker", hört man immer wieder. Über die westlichen Politiker werden - auch harte - Witze gemacht. Eine Griechin erzählte mir grinsend, was die Menschen in ihrem Dorf während der Verhandlungen mit Brüssel so scherzten. Lagarde könne "geheilt" werden, wenn Varoufakis "sie mal so richtig rannimmt."
Die Schimpfkanonade des Psychiaters
Nur sehr selten traf ich auf ungezügelte Wut und Ablehnung gegen Deutsche. Als ich in Athen einen Psychiater um ein Interview über die psychosoziale Situation im Land bat, musste ich mir am Telefon eine Schimpfkanonade anhören, über die deutsche Regierung, "die Griechenland aussaugt". Das Interview kam nicht zustande.
Die Griechen haben viele Sorgen. Aber den Touristen zeigen sie das nicht. Die Gäste aus dem Ausland werden förmlich auf Händen getragen. Ihre Wünsche liest man ihnen von den Augen ab. Wen man einen Weg sucht wird einem immer geholfen. Einmal wurde mir in einer Import-Firma für medizinische Technik in Athen - bei der die Geschäfte gerade schlecht liefen - sogar eine komplette Wegbeschreibung mit Bus-Fahrplan ausgedruckt.
Wenn man genauer nachfragt, bekommt man in Griechenland über Deutsche aber auch ziemlich Kritisches zu Hören. Petra (Name geändert), eine Juwelierin aus Deutschland, die seit über zwanzig Jahren zusammen mit ihrem griechischen Mann in einem südkretischen Bergdorf einen Schmuckladen betreibt, hat so ihre Beobachtungen gemacht. Während der Hochphase der politischen Krise von Mai bis Juli habe es sehr viele "nette" Touristen aus Deutschland gegeben, die "aus Solidarität" ihren Urlaub in Griechenland machten. Doch danach seien vor allem Pauschaltouristen gekommen. Die hätten sich gar nicht dafür interessiert, "wo sie eigentlich gelandet sind". Sie guckten "weder nach rechts noch nach links". Eile hätten sie nur, wenn sie abends "rechtzeitig zum Büfett kommen wollen."
"Na, so schlimm scheint es mit der Krise ja nicht zu sein"
Einige dieser Pauschal-Touristen seien auch frech geworden. Wenn Petra nach einem anstrengenden Arbeitstag mal von Kunden in einer Kneipe gesichtet wurde, kamen Bemerkungen wie: "Na, so schlimm scheint es ja mit Krise nicht zu sein". Und wenn Kunden im Schmuckladen den von ihr gefertigten Silberschmuck begutachteten, kamen Sprüche wie: "Was, 180 Euro für dieses Stück? Sie müssten doch eigentlich auch mit 80 Euro zufrieden sein."
Die Juwelierin aus Deutschland lobte dagegen die Situation in ihrem Dorf. Die Hilfe und das Mitgefühl untereinander seien sehr groß. Als ihr Mann sich einmal in den Finger geschnitten hatte, seien die Nachbarn gekommen, um anstatt seiner das Holz zu hacken. Und wenn Petra einkaufen geht, wird sie immer noch der Gesundheit ihrer 95jährigen Mutter gefragt, die sie aus Deutschland zu sich geholt hat. Die Wirtschaftskrise werde "auch noch nach Deutschland kommen", glaubt Petra, aber die Deutschen seien "nicht darauf vorbereitet".
Die vielen Deutschen, die sich auf Kreta angesiedelt haben, würden ein ziemlich abgeschottetes Leben führen und bis auf wenige Ausnahmen kein Griechisch sprechen, erzählt die Juwelierin. "Sie wollen die deutsche Ordnung in Griechenland einführen, aber das ist unrealistisch."
Zum Thema Touristen meinte Chrysa, eine junge Mutter von zwei Kindern, die in einem Restaurant in der nordkretischen Stadt Rethymnon bedient, "die Qualität hat abgenommen". Für viele Touristen, die in diesem Sommer kamen, sei es offenbar die erste Auslandsreise. Sie seien uninteressiert und oft auch unverschämt. Die junge Frau zeigte auf das gegenüberliegende Geschäft mit den Lederhandtaschen. "Dort wollten sie eine Handtasche für drei Tomaten kaufen. Als ob wir den Strom mit Tomaten bezahlen."
Als ich die junge Frau mit den langen schwarzen Haaren über die politische Lage befrage, greift sie mich am Arm, so dass mir fast schwindelig wird und flüstert: "Wir lassen uns vom Westen nicht Fi..en." Und mit stolzer Stimme fügt sie hinzu: "Ich bin keine Europäerin, ich bin Griechin. Lieber jetzt raus aus der EU, als ein Gezerre ohne Ende. Was wir zum Leben brauchen, haben wir, Fleisch, Oliven, Raki und Sonne." Welche Partei sie gewählt hat, will sie mir nicht sagen. Nur so viel verrät Chrysa: Die Goldene Morgenröte war es nicht.
"Griechenland ist reich an Öl und Gas"
Eine massenhafte Stimmung für den Austritt aus der Euro-Zone gibt es in Griechenland nicht. Es herrscht eher eine große Ratlosigkeit, wie es weiter gehen soll. Auf die Frage, was sie von Alexis Tsipras halten, antworten viele nur mit einem Wort: "Malaka" (Wic..er). Dass der Ministerpräsident aus dem "Nein" der Griechen beim Referendum im Juli nicht mehr gemacht hat, können die einfachen Leute nicht verstehen.
Der Student Sakaris, den ich in der nordkretischen Stadt Chania treffe, beschreibt die Lage so: "Griechenland ist in zwei Lager gespalten. Das eine ist gegen Tsipras, das andere hasst ihn." Doch die, die ihn hassen, würden ihn trotzdem wählen, weil es nichts Besseres gibt.
Noch härter ist die Kritik von Kostas (Name geändert), dem Besitzer eines Fischladens in Chania. "Tsipras hat sich nur links gegeben. Eigentlich ist er ein Spion Europas." Kostas sagt das ohne zu zögern und scheint froh, mal einem Ausländer die Meinung sagen zu können. "Er verkauft unsere Airports und Häfen. Gerade ist der Airport von Chania an Fraport gegangen." Griechenland sei reich an Öl und Gas, "deshalb wollen sie uns zerstören", meint Kostas, der auf geologische Erkundungen in der Ägäis anspielt. Ob Schäuble und Merkel Griechenland zerstören wollen? "Nein, die Finanzleute", womit Kostas offenbar die großen westlichen Banken meint.
Der Ladenbesitzer hat immer die konservative Nea Demokratia gewählt. Das letzte Mal ist er aber nicht mehr zur Wahl gegangen. Deutschland mag er sehr, erzählt Kostas, insbesondere Hamburg, wo er zehn Tage als Tourist war. "Das ist eine schöne und reiche Stadt."
Wie viele Griechen mit kleinem Gewerbe, klagt auch Kostas über die steigenden Steuern. Die Gewinnsteuer liege bei zurzeit 28 Prozent. Auch die Immobiliensteuern und die Abgaben für Elektrizität seien gestiegen. Die Besitzerin des Billig-Hotels, in dem ich wohne, erregt sich über 3.000 Euro Immobiliensteuer und 6.000 Euro Gewinnsteuer, die sie nun pro Jahr zahlen muss.
An einem Morgen bei einem "greek coffee" in einem Straßenrestaurant von Chania komme ich mit Fani (Name geändert) ins Gespräch. Sie hat griechisch-kanadische Eltern, die ein Restaurant in Montreal betreiben. In vielen griechischen Familien verdiene nur noch eine Person, erzählt Fani in perfektem Englisch. Von diesem einen Einkommen hängen alle anderen ab. Manchmal ist dieser Eine auch ein Rentner, der oder die von den Verwandten sorgsam gepflegt wird, damit er oder sie möglichst lange rüstig bleibt. Für viele Familien sei die Situation äußerst angespannt. Ein 17 Jahre alter Freund sei aus dem fünften Stock gesprungen, aus Scham, dass er die Beschlagnahmung des elterlichen Hauses durch eine Bank nicht verhindern konnte.
Was auf dem Plakat stehe, das vor der sternförmigen Markthalle von Chania hängt, frage ich einen Zwanzigjährigen, der sich im Gespräch als Wähler der Goldenen Morgenröte entpuppt. Stockend übersetzt er: "Raus mit der US-Basis! Hilfe für die Flüchtlinge! Stoppt den Krieg! Resistance."
Das mit den Flüchtlingen sei natürlich Unsinn, meint der junge Mann, der hofft, mal in Deutschland als Koch arbeiten zu können. Wenn er mal nach Syrien komme, werde ihm ja auch nicht geholfen. Nein, er sei kein Rechtsradikaler. Auch die Kommunisten und die USA hätten in einigen Fragen Recht. Aber die Goldene Morgenröte sei im Vergleich zu den Altparteien sauber und von Korruption nicht belastet.
Einige Tage später komme ich in Athen vor einem Souflaki-Laden mit drei Schülern ins Gespräch. Zwei der Schüler mampfen gerade einen gerollten Souflaki. Nur die dunkelgelockte Afroditi kann sprechen. "Zum Glück haben meine Eltern noch Arbeit", meint die Schülerin. Die Krise sei schlimmer als vor fünf Jahren. Über ihre Zukunft habe sie keine Vorstellungen. "Ich frage mich immer, welchen Beruf ich ergreifen soll und ob es dann noch Stellen gibt, wenn ich mit der Ausbildung fertig bin." Ja, die Grundstimmung in Athen sei traurig. Aber die Griechen wüssten immer, wie sie etwas feiern können, "selbst wenn wir nur wenig Geld in der Tasche haben". Dabei lacht Afroditi selbstbewusst und man glaubt es ihr sofort.
Plakias/Athen, 15.10.15. Ulrich Heyden war in Griechenland als Tourist und Journalist unterwegs.