Das flambierte Subjekt

Militärische Marketingmethoden: Die "Yo Soy El Army"-Kampagne und der Latino-Rekrut in der US-Armee

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"The Army has a great product", lassen die PR-Abteilungen der US-Armee immer wieder gerne verlautbaren. Jedes Jahr würden an die 100.000 junge Männer für den Kampfeinsatz neu in der US-Armee aufgenommen. Was so viele Menschen anspricht, könne nur ein wirklich gutes Produkt sein. Außerdem würden die Rekruten aufs Beste ausgebildet. Konsumieren bedeutet also zugleich auch Studieren. Das lässt das Produkt natürlich noch attraktiver erscheinen. Die Armee geht jedenfalls mit dem Slogan "we are a high-tech trainer and educator of America's youth" auf die Straße.

Rekrutierung von Jugendlichen. Bild: U.S.Army

Bei soviel Sendungsbewusstsein wundert es nicht, dass die Bewerbung dieses Produkts keine Grenzen kennt. Armee-Kampagnen haben in den letzten Jahren beispielsweise den Unterhaltungsbereich aufgemischt. Rekrutierungsprogramme werden mittlerweile selbst auf Spielwarenmessen abgewickelt, Panzeraufgebot und authentisches Kriegsspiel inklusive. Computerspiele kommen auf den Markt, die Kindern das Leben des Soldaten näher bringen sollen. Sie sind bisweilen so aufwendig gemacht, dass sie selbst den Profis als angemessener Trainingsersatz dienen können.

In letzter Zeit sorgen jene Kampagnen der US-Armee für Schlagzeilen, die in Wohnvierteln in Szene gesetzt werden. Die Promoter lauern den Kindern und Jugendlichen in Waschsalons, Bushaltestellen und Schulen auf. Dort scheinen sie sich besonders wohl zu fühlen. Dort wittern sie Beute. Die New York Times berichtet, dass sie den Lernenden selbst bis in die Sommerschule folgen und an ihren Tanzveranstaltungen und Konzerten teilnehmen. Sie verteilen dabei Prospekte, Aufkleber und allerlei Merchandise. Schöne bunte Bilder, Spiele und T-Shirts mit blumigen Slogans.

Zwischen Stalking und Show

Zusätzliche Rekrutierungsprothesen sind Kletterwände und Abenteuer-Vans, welche den Schülern die Möglichkeit bieten, Armee-Manöver im Als-ob-Modus durchzuspielen. Den Armee-Promotern stehen auch mit plasma television screens ausgestattete Humvees zur Verfügung, aus denen sie dröhnende Rockmusik erschallen lassen. Die Vehikel unterscheiden sich durch ihr Äußeres, sprich: die Gestaltung ihrer Karosserien. Ihre ausgefallene Optik ist an den Zielgruppen, die sie adressieren, ausgerichtet. Da gibt es beispielsweise den Typus African-American Humvee. Bekannter ist jedoch der Yo Soy El Army Humvee.

Letzterer ist dieser Tage in aller Munde. Die Armee-Angestellten kreuzen mit ihm überall unerwartet auf und verwandeln nicht nur Schulen und Straßen von friedlichen Wohnvierteln in ein Motorsportereignis, sondern nutzen zusehends auch Foren von Autofans für ihre Zwecke. Das omni-präsente Yo Soy El Army Humvee erregt überall Aufmerksamkeit. Es dürfte schwer fallen, es zu übersehen: Ein gelb-rot-leuchtendes Flammenemblem überzieht seinen Bug, als hätte es gerade bei einer (feindlichen) Berührung Feuer gefangen. Der Rest ist in Schwarz getaucht, Chrom blitzt an den gewohnten Stellen effekthascherisch auf. An den Seitentüren steht "Yo Soy El Army" geschrieben.

Yo Soy El Army Humvee. Bild: U.S.Army

Auf der US-Army Rekrutierungshomepage gibt es den Wagen auch als Wallpaper. In einem anderen Bereich findet sich ein Chatraum, in dem auch auf Spanisch über das mobile Geschoss geplaudert werden kann, natürlich auch über andere Dinge, die das Leben in der Armee interessant machen.

Wer sich für das Auto begeistert, soll möglichst schnell tiefer in den Kosmos des Militärs vorstoßen. Eintauchen, abtauchen und erst dann wieder auftauchen, wenn er seinen Kopf aus dem irakischen Wüstensand zieht. Ob sich die Hispano-Rekruten am Ende noch an den Yo Soy El Army Humvee erinnern, der ihr Symbol sein soll?

Zielgruppe US-Hispanos

Es ist kein Novum, dass derzeit annähernd 50 Prozent des US-Militärs aus ethnischen Minderheiten besteht. Es ist auch bekannt, dass es sich dabei mehrheitlich um Hispanos handelt - sie sind damit prominenter in der US-Armee vertreten als in der US-Gesellschaft. Wie ist es eigentlich zu diesem demografischen Zerrbild gekommen? Was sind die Gründe für diese Entwicklung? Wie haben die Rekrutierungsstrategien der zivilen Werber und militärischen Promoter diese Zielgruppe entworfen?

Die gezielte Anwerbung von Hispanos begann unter Clinton. Damals stand die Armee vor dem Problem, ihr Produkt nicht erfolgreich genug absetzen zu können. Angebot und Nachfrage standen in einem nicht zufriedenstellenden Verhältnis. Bald rückte die wachsende Masse von US-Hispanos ins Visier. Sie hatte sich einen Namen als die am schnellsten wachsende Minderheit gemacht und bestand zudem mehrheitlich aus Menschen, deren Alter dem Rekruten-Ideal entsprach.

Werbung der Navy im Jahr 2002

Armee-Funktionär Louis Caldera, der damals die Initiative ergriff, sah in den Hispanos einen "natürlichen Hang", der Armee beizutreten. Statistiken unterstützten seine Annahme: Hispanos neigen dazu, länger als andere Minderheiten oder Gruppen in der Armee zu bleiben. Dann wurden Listen von Medal of Honor-Gewinnern ausgewertet. Auch hier standen die Hispanos an der Spitze. Die am schnellsten wachsende Minderheit in den USA war demnach nicht nur altersmäßig reif für die Armee, sondern entsprach auch in allen anderen Belangen dem Bild des perfekten Soldaten.

Rasch wurde mit Cartel Creativo eine Marketingfirma angeheuert, die sich auf diesem Gebiet bestens auskannte. Sie hatte in den frühen 1990er erkannt, dass Marketingkonzepte für Hispano-Kunden unzulänglich waren, immerhin beschränkten sie sich meistens darauf, amerikanische Anzeigen ins Spanische zu übersetzen oder sie verkauften Anglo-Interpretationen von Hispano-Kultur. Cartel Creativo stellte die maroden Traditionen der Marketingwelt auf den Kopf: Die zu großen Teilen aus Hispanos bestehende Firma begann die Anzeigen von vornherein auf Spanisch zu denken und die warenförmigen Sinnoptionen direkt aus dem Latino-Kosmos heraus zu entwickeln.

Dehnbare Grenzen

Zu den größten Innovationen gehörte der Bruch mit sprachlicher Homogenität. Bis dato hieß es: entweder englisch oder spanisch. Cartel Creativo führte die grenzverwischende Mischung in den Anzeigenmarkt ein. Dieser Schritt war "kontrovers", wie Varela Hudson von Creativos Führungsriege zitiert wird: "Niemand macht es auf Spanglish. Aber das ist nun mal die Sprache der Kinder." Vor diesem Hintergrund prägte die Agentur den gegenwärtigen Armee-Slogan: "Yo Soy El Army". Die ersten drei Worte Spanisch. Das letzte Wort Englisch. Die Vokabeln sind so einfach, dass sie selbst Kinder aus anderen ethnischen Lebenswelten verstehen. Nicht zuletzt, weil Latino ein großes Ding in der Popkultur ist und man die Stars in Rap, Pop und R&B immer häufiger auf Spanisch singen hört.

Vertragsunterzeichnung. Bild: U.S.Army

Die sprachliche Zusammensetzung dieses Slogans hat noch eine andere Funktion. Würde man das Englische weglassen und "Yo Soy El Ejercito" nehmen, wäre das kein richtiges Spanisch. Spanglish ist hipper Kauderwelsch von der Straße. Falsches Spanisch aber ist falsches Spanisch. Richtiger wäre "Ejercito De Uno"- zumindest im Hinblick auf den Original-Slogan "Army Of One". Das würde aber nicht so gut klingen, von weniger Leuten verstanden werden und hätte zudem negative Konnotationen. Es würde die Adressaten an ihre Heimatländer erinnern und damit Erinnerungen an die Militärregimes des 20. Jahrhunderts wachrufen: Unterdrückung, Bestrafung, Massenmord. Das Image der US-Armee soll mit diesen Konnotationen nicht belastet werden.

Wenn in den Rekrutierungskampagnen Spanglish verwendet wird, dann findet immer auch ein bisschen Verdrängungsarbeit statt. Mögen die Alpträume der Herkunftsländer damit vergessen gemacht werden - es bleibt abzuwarten, wie lange die linguistische Imagewäsche, die Alpträume der Zielländer ausblenden wird. Immer noch ungestraft lockt die Werbung mit der "best education in the world". Für unqualifizierte Arbeitslose ist das ein tolles Versprechen. Sie treten schließlich aus Karrieregründen in die Armee ein, auf der Suche nach civilian job transferability. Tatsächlich landen die meisten Hispanos aber in Positionen, in denen sie wenig lernen können, dafür aber besonders gefährdet sind. Behinderung oder Tod sind häufig die Folge.

Vielleicht hätten sie das Kleingedruckte lesen sollen, als sie das fabelhafte Produkt kaufbereit in den Händen hielten. Aber wollten sie das überhaupt? Viele Hispano-Kunden haben an den Details gar kein Interesse, weil ihnen das Produkt ohnehin als einzig mögliche Konsumoption erscheint. Warum? Bei den meisten Hispanos in den Reihen der US-Armee handelt es sich um illegale Einwanderer, denen die Bush-Regierung Juli 2002 nochmals nachhaltig die Türen für eine militärische Laufbahn öffnete, als sie einen fast track naturalization process einführte. Jetzt schickt sie ihre Rekrutierungsbeauftragten in den schicken Yo Soy El Army Humvees sogar an die Grenze von Mexiko. Dort, wo die schwersten Geschütze aufgefahren werden, um die illegale Einwanderung zu stoppen, werden Werbefeldzüge für die Armee durchgeführt. Freiwillige werden mit offenen Armen empfangen.

Im Mai haben die Promoter sogar die Grenze überschritten und ihre Roadshow auf mexikanischem Boden fortgesetzt. Es kam allerdings zu einem diplomatischen Skandal, als der Rektor einer Schule in Tijuana die Rekrutierer vor die Tür setzte und darauf hin seinen Protest bis nach Washington geltend machte. Dieser Widerstand ist den US-Schulen häufig nicht möglich, weil ihnen der Stopp öffentlicher Gelder droht. Längst haben jedoch Bürgerrechtsbewegungen und Aktivisten die Initiative ergriffen. Ihr Slogan lautet Yo No Soy El Army.