Das große Tauen
Die Energie- und Klimawochenschau: Arktis ziemlich eisfrei, Forscher fahnden nach Tsunami-Gefahren für den Nordatlantik und die fossile Wirtschaft macht reichlich Gewinne
Wir hatten bereits in der letzten Wochenschau berichtet, dass sich das Eis auf dem arktischen Ozean mal wieder besonders schnell und weit zurückzieht. Zwischenzeitlich hat es dort einen außergewöhnlich schweren Sturm gegeben, der aus einem Teil des ohnehin nur noch dünnen Eises Kleinholz gemacht hat.
Die zerbrochenen Eisschollen können nun um so rascher schmelzen, zumal der Sturm vermutlich wärmeres Wasser aus tieferen Schichten an die Oberfläche gebracht hat, wie Arktisforscher annehmen. Der Vergleich zwischen der unten abgebildeten Eisbedeckung vom Montag dieser Woche und der von einer Woche zuvor zeigt wie rasch das Eis in der zweiten Augustwoche zurückgegangen ist.
Am Montag war nach Angaben des US-Schnee- und Eis-Datenzentrums (NSIDC) das Eisgebiet, also jene Planquadrate, in denen mindestens 15 Prozent der Meeresoberfläche mit Eis bedeckt ist, um 450.000 Quadratkilometer kleiner als der bisherige Niedrigstwert für diesen Tag, der 2007 erzielt wurde. Diesen durchaus dramatischen Rückgang allein auf den Sturm zurückzuführen, wie man vielleicht versucht sein könnte, greift allerdings zu kurz. Hätte es in den letzten Jahren nicht eine zunehmende Schwächung des Meereises gegeben, hätten Wind und Wellen kaum einen so großen Effekt gehabt.
Die Eisbedeckung ist nämlich nur ein Parameter von mehreren, der den Zustand des Eises beschreibt. Ein anderer ist seine Dicke, und die ist in den letzten Jahren im Durchschnitt erheblich zurückgegangen. Seit 2004 ist das Eisvolumen im Sommer Jahr für Jahr im Durchschnitt um 900 Kubikkilometer zurückgegangen. Das besagt nach Angaben des Guardian die vorläufige Auswertung von Daten des neuen europäischen Satelliten CryoSat 2, der eigens zur Vermessung des arktischen Eises in den Weltraum geschossen wurde. Cryo steht für Kryosphäre, das heißt, für die Sphäre des Eises, Sat für Satellit.
Damit bestätigt CryoSat 2 die Ergebnisse des PIOMAS-Projektes, das schon seit längerem das Eisvolumen berechnet, in dem ein Eismodell mit In-situ-Messungen kalibriert wird. Die unten gezeigte Abbildung ist das jüngste Ergebnis.
Wissenschaftler, die sich mit der Entwicklung hoch im Norden beschäftigten, sind aufgrund der Eisvolumendaten besonders besorgt, denn dünneres Eis bedeutet zugleich, dass dieses im Sommer schneller taut. Offenbar ist inzwischen ein Punkt erreicht, an dem die Eis schollen im Winter oft nicht mehr viel dicker als einen Meter werden und daher im Sommer leicht ganz wegtauen können.
Entsprechend haben Hamburger Eisforscher um Lars Kaleschke und Alexander Beitsch ihre Prognose für die Entwicklung der Eisbedeckung in den nächsten Wochen noch einmal nach unten korrigiert. Sie erwarten jetzt, dass Mitte September, wenn das Eis sein jährliches Minimum erreicht, das Eisgebiet sich nur noch über etwas mehr als 3,5 Millionen Quadratkilometer ausdehnen wird. Das läge noch einmal rund 16 Prozent unter dem bisherigen Niedrigstwert, der 2007 erreicht wurde (siehe dazu Beschleunigter Eisschwund vom 3.10.2007).
Wetter-Lotterie
Manches deutet darauf hin, dass es vielleicht nur noch zehn Jahre oder noch weniger dauern wird, bis im Sommer das Meereis jeweils vollständig verschwindet. Für Klimawissenschaftler ist das aus verschiedenen Gründen ein beängstigendes Szenario. Die naheliegendste Sorge ist, dass die lokalen Ökosysteme akut bedroht sind und damit auch die Lebensweise der Menschen, die bisher von der Jagd leben. Auftauender Permafrost bedroht zudem deren Siedlungen und Infrastruktur, außerdem wird in manchen Fällen die Versorgung der Dörfer und Städtchen im hohen Norden Kanadas und Sibiriens komplizierter, wenn auf Permafrost und meterdickes Eis nicht mehr lange genug Verlass ist.
Die Auswirkungen eines zeitweise eisfreien Arktischen Ozeans werden allerdings auch weit über die Region hinaus zu spüren sein. Als erstes wird vermutlich in den gemäßigten Breiten das Wetter unstetiger. Wenn nämlich der Temperaturunterschied zwischen Tropen und polaren Regionen schwächer wird, könnte dadurch der Polar-Jet destabilisiert werden. Bei diesem handelt es sich um ein enges Band starker westlicher Winde, die in einigen Kilometern Höhe um den Erdball mäandrieren und dort die Zugbahnen der Tiefdruckgebiete bestimmen. Unstetiges Wetter würde die Landwirtschaft dann zumindest in einigen Regionen Europas, Nordamerikas und vielleicht auch Nordostasiens zu einem Lotteriespiel machen.
Gashydrate
Noch unangenehmer könnten sich neue Quellen von Treibhausgasen auswirken, die in auftauenden Sümpfen und unter dem Meeresboden entstehen werden. In den letzten zwei, drei Jahren haben verschiedene deutsche, russische, US-amerikanische Expeditionen - meist mit internationaler Beteiligung - bereits Hinweise in den arktischen Gewässern gefunden, dass größere Mengen Methan aus den unter dem Meeresboden gebundenen Gashydraten ausgast. Methan ist ein um etwa 20mal so effektives Treibhausgas wie das durch Entwaldung sowie durch Verbrennung von Kohle- und Erdölprodukten freigesetzte Kohlendioxid.
Unklar ist bisher noch, ob bereits von einer Zunahme der Methan-Emissionen gesprochen werden kann, wie hoch der Anteil ist, der in die Atmosphäre gelangt, und natürlich wie viel Gashydratlagerstätten von Destabilisierung bedroht sein könnten.
Um einigen dieser Fragen auf den Grund zu gehen, ist am Montag das deutsche Forschungsschiff "Maria S. Merian" aus dem Hafen von Reykjavik ausgelaufen. Geleitet wird die Expedition vom Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung/Geomar. Mit an Bord ist auch das Forschungstauchboot Jago, das vor den Küsten Spitzbergens in bis zu 400 Meter Tiefe Methanquellen im Meeresboden unter die Lupe nehmen soll.
Tsunamis im Nordatlantik?
Vor der Inselgruppe, deren Gewässer derzeit vollkommen eisfrei sind, hatten 2008 Kieler immerhin 250 Stellen gefunden, an denen das Gas aus dem Meeresboden austritt. "Diese Stellen liegen genau an der Grenze des Bereichs, in dem die Hydrate eigentlich stabil sind", erklärt Christian Berndt von Geomar. "Die Vermutung liegt also nahe, dass die Hydrate sich vom Rand her aufzulösen beginnen."
Gashydrate bilden sich bei hohem Druck und geringen Temperaturen, wobei Methanmoleküle im Gitter von Eiskristallen gefrierenden Wassers eingesperrt werden. Unter den flachen Küstenmeeren der Arktis sind auf diese Weise große Mengen des Treibhausgases gebunden. 85 Prozent davon, so heißt es auf einer Hintergrundseite bei Geomar, könnte bei einer Erwärmung des Meeresbodens um drei Grad Celsius eventuell instabil werden.
Das wäre nicht nur für das Klima bedenklich. Einige dieser Gashydratfelder wirken an Teilen der Kontinentalhänge praktisch wie festigender Zement. Lösen sie sich auf, könnte es zu Hangrutschungen kommen, was schwere Tsunamis im Nordatlantik auslösen würde. Derartige Ereignisse sind tatsächlich aus prähistorischen Zeiten bekannt, wie Berndt im letzten Jahr im Dradio erläutert hat.
Auf der aktuellen Fahrt wollen die Kieler Forscher gemeinsam mit Kollegen aus Bremen, der Schweiz, Großbritannien und Norwegen diversen Fragestellungen auf den Grund gehen. Zum einen soll mit akustischen Methoden nach weiteren Gasquellen gesucht werden. Dann ist natürlich wichtig herauszufinden, ob der Gasaustritt tatsächlich mit einer Erwärmung des Meeresbodens in Zusammenhang steht. Schließlich sind auch Meeresbiologen mit von der Partie: "Für uns ist zum Beispiel interessant, ob sich spezielle Mikroorganismen rund um die Gasquellen angesiedelt haben, die das Methan abbauen können, bevor es durch das Wasser in die Atmosphäre gelangt", erklärt Tina Treude von Geomar, die die mikrobiologischen Arbeiten während der Expedition leitet.
Kleine Fische
Derweil gibt es gemischte Nachrichten in Sachen Klimaschutz, der bekanntlich zu einem nicht unwesentlichen Teil aus dem Umbau der Stromversorgung besteht. Einerseits entwickeln sich die erneuerbaren Energieträger ganz prächtig, sodass der Fachinformationsdienst IWR damit rechnet, dass im nächsten Jahr Sonne, Wind & Co. der Braunkohle den ersten Rang unter den Stromlieferanten abspenstig machen werden. Schon jetzt haben sie an der Leipziger Strombörse die Preise für Grundlaststrom gegenüber dem Vorjahr um 10,9 und die für Spitzenlaststrom um durchschnittlich zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesenkt, wie IWR berechnet hat.
Andererseits wackelt jetzt auch noch der letzte Star unter den deutschen Solaranlagenherstellern. Financial Times Deutschland berichtete, dass die Solar World AG nach erheblichen Verlusten im ersten Halbjahr nun auch für das Gesamtjahr mit einem negativen Ergebnis rechnet. Trotz steigender Umsätze kommt das Unternehmen nicht in die Gewinnzone. 300 weitere Stellen sollen gestrichen werden.
Allerdings ist fraglich, ob der Untergang deutscher Hersteller wirklich so ein Drama ist. Immerhin sieht es im Augenblick ganz so aus, dass die Produktion meist von neuen Besitzern weitergeführt werden wird. So zum Beispiel wohl im Falle Q-Cells, für das sich nun ein südkoreanische Unternehmen zu interessieren scheint. In der Branche steht angesichts der enormen Überkapazitäten und des sehr sprunghaften Wachstums nun eine Konsolidierungsphase an, in der viele Kleine von Großen geschluckt werden. Auch in China sind die meisten Solarunternehmen hoch verschuldet, und viele von ihnen werden das nicht überleben.
Davon abgesehen findet ein nicht unwesentlicher Teil der Wertschöpfung der Branche im Handwerk statt, das die Anlagen installiert. Mit der Verbilligung der Module hat dieses nicht nur mehr Aufträge bekommen, sondern sein Anteil an der Wertschöpfung erhöht sich durch den Preisverfall auch noch. Außerdem sind die Produkte der deutschen Maschinenbauer, die viel Erfahrung mit Anlagen für die Herstellung von Solarmodulen haben, auch in China sehr gefragt.
Große Fische
Verglichen mit den Konzernen, die von den fossilen Energieträgern, vor allem vom Erdöl, leben und die die Weltwirtschaft nach wie vor dominieren, sind allerdings die Unternehmen der Erneuerbaren ohnehin noch immer winzig. Der dänischen Windkraftanlagenhersteller Vestas zum Beispiel, einer der ganz großen der Branche, brachte es im ersten Halbjahr 2012 gerade mal auf einen Umsatz von 2,72 Milliarden Euro. Das war für den Konzern, dessen Aktie noch immer auf Sinkflug ist, kein schlechtes Ergebnis, denn es bedeutet gegenüber dem Vorjahr einen Zuwachs von rund zehn Prozent.
Der Vergleich zur Mineralölbranche zeigt jedoch, wie verschwindend gering die wirtschaftliche Macht der neuen Unternehmen noch immer ist: Die US-Ölkonzerne ExxonMobile und Chevron brachten es nach der Fortune-500-Liste zuletzt auf 41,06 und auf 26,9 Milliarden US-Dollar Gewinn (33,31 und 21,8 Milliarden Euro). Bei der britisch-niederländischen Royal Dutch Shell waren es 2011 nach einem Bericht der Economic Times 30,92 Milliarden US-Dollar (25,08 Milliarden Euro) und bei BP 25,7 Milliarden US-Dollar (20,9 Milliarden US-Dollar).
Eine Klasse darunter spielen die deutschen Stromkonzerne, von denen es insbesondere E.on allem Gejammer zum Trotz prächtig geht. Wie die Süddeutsche Zeitung am Montag erfahren hatte, machte das Unternehmen im ersten Halbjahr 2012 einen Nettogewinn von 3,1 Milliarden Euro. Das sei vor allem das Ergebnis des Gas-Geschäftes, nachdem das Unternehmen beim russischen Lieferanten Gazprom bessere Bedingungen habe aushandeln können. Künftig soll der Profit auch auf Kosten der Belegschaft weiter gesteigert werden: 11.000 Entlassungen sind geplant oder bereits umgesetzt.
E.on ist Deutschlands größter Energiekonzern und nach einer Aufstellung auf Wikipedia gemessen am Umsatz weltweit das zweitgrößte Unternehmen seiner Art. Nur die Geschäfte der staatlichen chinesischen State Grid Company sind umfangreicher. Gemeinsam mit RWE und Vattenfall hat E.on im Juni eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, mit der ein zweistelliger Milliardenbetrag eingefordert wird.
Auch bei RWE will man der Dividende mit Hilfe von Entlassungen auf die Sprünge helfen. Wie das Hamburger Abendblatt am Dienstag schrieb, sollen nach den neuesten Plänen nunmehr 10.400 Beschäftigte ihren Hut nehmen. Bei "nur" 1,7 Milliarden Euro habe im ersten Halbjahr das Nettoergebnis gelegen. Das kann man den Aktionären ja nun auch wirklich nicht zumuten. Glaubt man dem Springerblatt, so beschwerte sich der neue Konzernchef Peter Terium in einem Brief an die Aktionäre zugleich über zunehmende Staatseingriffe und einen immer stärkeren Wettbewerb im Strom- und Gasvertrieb. Woran man sieht, dass für seinen Posten unterdurchschnittliche Fähigkeiten auf dem Gebiet der Logik vollkommen ausreichend sind.