"Das ist destruktiver Journalismus"
Seite 2: Woher kommt dieser Trend zur anderen Seite?
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Könnte das nicht eine Folge davon sein, dass die traditionellen Massenmedien, die Qualitätsmedien, wie sie sich selbst nennen, zu wenig kritisch berichten? Woher kommt dieser Trend zu der anderen Seite? Es gibt doch auch tatsächlich Verschwörungserzählungen, die von staatlicher Ebene ausgehen, wenn man an das Vorfeld des Irakkriegs denkt, wo die britische und die US-Regierung eine Verschwörungserzählung über die angeblichen Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein als Kriegsrechtfertigung fabriziert. Die großen deutschen Medien haben da auch nicht groß kritisch berichtet, sondern sind dem auch erst einmal auf den Leim gegangen. Aber ganz allgemein: Könnte es nicht sein, dass auf der Seite der Mainstreammedien ein Manko besteht?
Hans Demmel: Ich habe das Thema Irak etwas anders im Gedächtnis. Wie groß die Beweislage für Nuklearanlagen im Irak ist, wurde schon hinterfragt, wenn ich mich recht entsinne, aber hätte sicherlich stärker hinterfragt werden müssen. Was hinter Ihrer Frage steht, ist die Idee von Mainstreammedien, die sich in der linken Mitte tummeln, die linksversifften Medien, wie es gerne in der Alternativmedienszene heißt.
Ich sehe das nicht so, auch wenn das Narrativ verbreitet ist. Wir haben aber die taz auf der einen Seite und auf der anderen Seite Die Welt, die FAZ, die Bildzeitung, die NZZ und die eine oder andere Regionalzeitung, die sehr konservativ ist. Die Bandbreite des deutschen, sauber an Fakten orientierten Journalismus ist ziemlich groß.
Weniger Bereitschaft, sich mit einer anderen Meinung auseinanderzusetzen
Sie sehen also keine Ursache in der Art der Berichterstattung der Mainstreammedien. Sind Sie denn bei Ihrer Lektüre auf einen Grund gekommen, warum das Interesse an Alternativmedien und an Verschwörungserzählungen, wie Sie ja sagten, ebenso wie die Distanz zum Staat zugenommen hat?
Hans Demmel: Das war der Herbst 2015. Die Zahl der Flüchtlinge, die ins Land geströmt sind, hat bei vielen Menschen Ängste ausgelöst, die von den sogenannten Mainstreammedien lange nicht beachtet wurden. Dann sind es diese Attacken von ganz rechts aus der Pegida-Bewegung gegen die sogenannte Lügenpresse. Dann hat natürlich die Diskussion um Corona, ob es die Infektion wirklich gibt oder wie gefährlich sie ist, ob die Maßnahmen gerechtfertigt sind, das Ganze noch einmal befeuert.
Ich habe zweitens beim Schreiben festgestellt, dass die Zahl derer, die nur noch Meldungen glauben, die in ihr Mind-Set passen, deutlich zunimmt. In der Psychologie gibt es dazu den Begriff information bias, d.h. Meldungen, Sätze, Interviews oder Gespräche, die dem eigenen Denken entsprechen, hält man für deutlich hochwertiger und glaubwürdiger. Die Fähigkeit, oder besser die Bereitschaft, sich mit einer anderen Meinung auseinanderzusetzen, ist geschrumpft.
Und drittens: die meisten Menschen neigen dazu, dass sie gerne etwas Besonderes oder Anderes wären, sich also von anderen unterscheiden wollen. Das war mal das größere Auto, das größere Haus, der bessere Job, oder man versteht mehr vom Wein oder kann die Mozart-Symfonien auseinanderhalten und von Mahler und Beethoven unterscheiden. Jetzt ergibt sich auch mit dem Wissen aus dem Internet eine Differenzierung. Ich kenne die Wahrheit, die du nicht kennst, ist etwas, was viele Menschen als Alleinstellungs- oder Differenzierungsmerkmal für sich in Anspruch nehmen.
Also, dass sie selbst Teil einer Elite oder einer Avantgarde sind?
Hans Demmel: Genau so.
Sie stellen sich im Buch die rhetorische Frage, ob es die Gefahr gab, in diesen Blasen abzutauchen. Ist Ihnen mal der Gedanke gekommen, dass bei einigen Inhalten etwas dran sein könnte, sodass Sie sich vorstellen konnten, dass Sie davon eingewickelt werden könnten?
Hans Demmel: Es gab eine Zeit, in der intensiv ich über den Mainstream nachgedacht habe. Das war die Phase um die US-Wahl und die Tatsache, dass über Trump in den sogenannten Mainstreammedien sehr häufig negativ berichtet wurde. Da kamen schon Zweifel auf, ob es nicht auch anderes gibt.
Bei mir ist dazu ein Misstrauen gegen jede Veröffentlichung und jede Information entstanden. Ich habe natürlich in meinem Beruf gelernt, dass man hinterfragt und Meldungen prüft. Mittlerweile misstraue ich sogar dem von mir selbst Geschriebenem. Da sitzt etwas ganz tief, da ist viel Vertrauen erschüttert.
Tief sitzt auch die Angst, dass Menschen, die nicht den Erfahrungspanzer haben, wie ich ihn nach 40 Jahren in unterschiedlichen journalistischen Funktionen um mich herum habe, dem einfach auf den Leim gehen. Ohne arrogant sein zu wollen, ich kann mich gegen die Infiltration dieser alternativen Medien, die ja oft genug einfach nur hanebüchenen Unsinn verbreiten, schon ganz gut wehren. Doch was ist mit jemand, der diesen Erfahrungsschatz nicht hat. Der sitzt schnell in der Falle und denkt quer.
Das vollständige Interview ist bei Krass & Konkret erschienen.