"Das ist ein Marathon und kein Sprint": Der Weg zum kommunistischen Wahlsieg in Graz
- "Das ist ein Marathon und kein Sprint": Der Weg zum kommunistischen Wahlsieg in Graz
- "Entscheidend ist, diese organische Verbindung wieder herzustellen"
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Ein Gespräch mit dem frisch gewählten KPÖ-Gemeinderat Max Zirngast – über Politik auf Augenhöhe mit der Bevölkerung, vertrauensbildende Maßnahmen und Lehren aus der Türkei
Der Erfolg der KPÖ in Graz ist in aller Munde. Fast 29 Prozent erreichte die Kommunistische Partei Österreichs am 26. September in der steirischen Landeshauptstadt. Die Linksparteien Europas schauen voller Bewunderung und Neid auf Graz, während konservative Medien über die roten Socken ätzen. Vor allem Kritiker:innen aus diesem Lager sprechen vom sogenannten "Kahr-Effekt", der darauf abzielt, der Erfolg der KPÖ sei allein auf ihre Spitzenkandidatin Elke Kahr zurückzuführen. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht, allerdings greift dies Kritik auch wieder zu kurz, da derselbe Effekt schon ihrem Vorgänger Ernest Kaltenegger zugeschrieben wurde, der denselben Politikstil pflegte.
Irgendwie muss es da also eine Kontinuität geben - und vermutlich hat es auch damit zu tun, dass alle Mandatsträger der KPÖ in der Steiermark zwei Drittel ihrer Gehälter in einen Sozialfond einzahlen, um damit unbürokratisch Menschen in Notlagen zu helfen. Stimmenkauf, heißt es da aus den Reihen der politischen Gegner. Praktische politische Arbeit kontert die KPÖ, wobei es Elke Kahr in einem Interview ganz kurz und knapp auf den Punkt bringt: Wir sind nicht in die Politik gegangen, um damit reich zu werden.
Die jahrzehntelange Basisarbeit zahlt sich nun offensichtlich aus. So hat Elke Kahr gute Chancen, in einer Koalition mit der SPÖ und den Grünen zur ersten kommunistischen Bürgermeisterin einer österreichischen Großstadt gewählt zu werden und mit drei Ressorts in der Grazer Stadtregierung zu sitzen. Dass die Partei auch in den letzten Jahren mit einem bis zwei Ressorts dort vertreten war, liegt daran, dass in Graz alle Parteien gemäß ihres Stimmanteils an der Regierung beteiligt sind, wobei aber die Ressortverteilung in den Händen des amtierenden Bürgermeisters oder der Bürgermeisterin liegt.
Ein Umstand, der es der KPÖ in den letzten Jahren etwas schwerer gemacht hat, da ihr nach der Wahl 2017 das Wohnungsressort entzogen wurde, ein Bereich, in dem sich die KPÖ in den letzten Jahrzehnten stark profilieren konnte. Stattdessen wurde sie mit dem scheinbar unwichtigen Gesundheits- und Pflegeressort, sowie dem extrem undankbaren Verkehrsressort abgespeist. Dem Erfolg der KPÖ hat dies allerdings nicht geschadet, denn selbst wenn man im Bereich Verkehr eigentlich nur Fehler machen kann, gelang es Kahr auch hier, durch ihren offenen und kommunikativen Politikstil die schlimmsten Klippen zu umschiffen. In der Corona-Krise konnte sich auch Robert Krotzer als Stadtrat für Gesundheit und Pflege einen Namen machen.
Insofern ist der Erfolg der KPÖ eben keine Einzelleistung, sondern das Werk einer starken Bewegung mit langem Atem. Wie sie genau funktioniert, das wollten wir von Max Zirngast wissen, der seit März 2021 in der Bezirksleitung der Partei arbeitet.
Herr Zirngast, Sie sind dadurch bekannt geworden, weil Sie in der Türkei inhaftiert waren und sich journalistisch mit der Situation im Nahen Osten beschäftigen. Sie halten Vorträge über die Situation in der Türkei, Sie geben Interviews und gelten allgemein als Experte. Nun kommen Sie also zurück von diesem geopolitischen Parkett und werden Gemeinderat in der Steiermark. Wie passt das zusammen?
"Eine spannende und extrem lehrreiche Zeit"
Max Zirngast: Meine politische Formung in der Türkei ist mir natürlich extrem wichtig. Das war eine spannende und extrem lehrreiche Zeit für mich - und ich habe sehr viel gelernt von den Genossinnen und Genossen dort. Ich habe in der Türkei zwar journalistisch gearbeitet, mich aber auch gesellschaftlich und politisch engagiert - und was wir dort gemacht haben, hat mich doch sehr geprägt. Zum Beispiel haben wir in Vierteln, wo jetzt nicht unbedingt gut situierte Menschen gelebt haben, im Sommer Aktivitäten für und mit Kindern organisiert und auch ansonsten mit der Bevölkerung gearbeitet.
Ich bin Internationalist, andererseits bin ich aber auch Kommunist - und wenn wir versuchen, eine Politik für das 21. Jahrhundert zu entwerfen, ist es mir sehr wichtig, dass das immer auch an den konkreten Lebensrealitäten der Menschen orientiert ist. Und genau das macht die KPÖ hier in Graz. Selbst wenn wir die Wahl nicht gewonnen hätten und "nur" 20 Prozent wie beim letzten Mal eingefahren hätten, ist es ja trotzdem eine spannende Sache, dass es mitten in Europa so ein Projekt gibt.
Was fasziniert Sie an diesem Projekt?
Max Zirngast: Mich interessiert, wir eine eine dezidiert kommunistische Partei über einen so langen Zeitraum so erfolgreich ist. Das interessiert mich und zwar nicht nur von außen. Das wollte ich mir auch mal - sozusagen aus dem Maschinenraum heraus - anschauen: Wie arbeiten die ganz konkret - und gleichzeitig wollte ich auch meinen Beitrag dazu zu leisten.
Hat Sie das Wahlergebnis überrascht?
Max Zirngast: Das Wahlergebnis war in dieser Form nicht erwartet worden und vor allem hat niemand von uns damit gerechnet, aber es bringt natürlich auch Verantwortung mit sich. Das ist dann auch etwas, das ich in der Türkei gelernt habe, dass man sich aus seiner politischen Verantwortung nicht heraus stehlen darf, auch wenn sie in dieser Form nicht geplant war. Jetzt ist es so, dass ich zwar im Gemeinderat bin, aber auch in der Bezirksleitung der Partei arbeite - und da wird es extrem wichtig sein, die Parteiorganisation zu stärken. Das eine ist, dass wir auf der kommunalen Ebene sehr erfolgreich sind, wir dürfen aber nicht glauben, dass nun alle Macht bei uns liegt. Vor allem gesellschaftlich ist das ja nicht der Fall.
Das heißt, es wird auch weiterhin wichtig sein, dass es eine gesellschaftliche Mobilisierung gibt und die Partei weiterhin wächst und stärker wird und in der Bevölkerung gut verankert ist. Das ist ja der Grund, warum die KPÖ so stark geworden ist und das wird auch das Mittel sein, um uns zu halten, andererseits aber auch gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken.
Haben Sie Gegner?
"Jede Menge Leute, die uns scheitern sehen wollen"
Max Zirngast: Genau das dürfen wir ja nicht vergessen. Selbst wenn jetzt nach 18 Jahren Bürgermeister Nagel zum ersten Mal eine Frau an der Spitze der Stadt steht und es jetzt endlich einmal Veränderung gibt, so gibt es immer noch genug Leute, die gegen uns sind. Jede Menge Leute, die uns scheitern sehen wollen und die auch etwas dafür tun werden, dass wir scheitern - oder dass es uns möglichst schwer gemacht wird.
Das sieht man ja auch schon bei den diversen Kampagnen in den Medien. Mal sind sie offen antikommunistisch, mal skandalisieren sie Kleinigkeiten, die nicht skandalisiert werden würden, wenn es die ÖVP gemacht hätte. Das ist etwas, womit wir leben müssen, gleichzeitig aber auch Gegenstrategien entwickeln müssen.
Als junger Linker aus der Steiermark, der sich für Internationalismus interessiert: Wie hat man da eigentlich die KPÖ wahrgenommen?
Max Zirngast: Ich bin aus einem Dorf in der Steiermark, bin dann aber auch schnell nach Wien gegangen und insofern habe ich zur KPÖ nicht unbedingt einen Bezug gehabt. Die Verbindungen sind eher nach der Rückkehr aus der Türkei entstanden. Die KPÖ Graz hat eine der ersten Lesungen meines Buches veranstaltet; und da ich mich ohnehin in der Stadt angesiedelt hatte, hat sich das dann halt so ergeben. Es war schnell klar, dass man sich auch politisch sehr nahesteht. Seit März dieses Jahres bin ich in der Bezirksleitung angestellt. Das war ein Zusammenwachsen und das war auch ganz gut so.
Ist die KPÖ vergleichbar mit der DKP in Deutschland?
Max Zirngast: Dazu kenne ich die DKP in Deutschland zu wenig. Schwerpunkt der KPÖ in Graz ist eben die kommunalpolitische Arbeit. Es kann natürlich auch sein, dass es da ein entsprechendes Pendant in Deutschland gibt, auf der anderen Seite gibt es ja auch einen Unterschied zwischen der KPÖ in Graz und in der Steiermark und der österreichischen Bundes-KPÖ. Mit der Wahl des neuen Bundesvorstands sind da zwar auch wieder neue Kanäle entstanden, die sich öffnen, aber die Geschichte der letzten 20 Jahre ist eine fast separate Entwicklung auf der Bundesebene und in der Steiermark.
Das wächst auch nicht von heute auf morgen wieder zusammen, aber ich bin da durchaus optimistisch, da ja auch das Ergebnis, das wir in Graz erzielt haben, über die Stadtgrenzen und sogar über Österreich hinaus eine gewisse Wirkung entfaltet. Da haben ja viele Leute Mut gefasst und sehen, dass es tatsächlich eine Alternative links von der Sozialdemokratie und den Grünen gibt. Das ist ja auch angesichts der Entwicklungen um Ex-Bundeskanzler Kurz sehr wichtig, dass die Leute erkennen: Es gibt auch noch was anderes als die Leute, die da in der herrschenden Politik dabei sind.
Ist die KPÖ Steiermark eher in Richtung Linkspartei gegangen und hat sich vom verstaubten "K"-Image losgelöst oder wie kann ich mir diesen separaten Weg vorstellen?
Max Zirngast: Nein, ganz und gar nicht. Ich glaube einer der Erfolge der KPÖ in Graz war, dass sie nicht in so ein vages Linkspartei-Linksbündnismodell eingegangen ist. Der eigene Weg der KPÖ Graz bestand darin, dass sie sich auf die eigenen konkreten Bedingungen konzentriert hat und daraus kreativ etwas entwickelt hat. Die KPÖ hier, hat sich sehr bewusst dafür entschieden am "K" im Parteinamen festzuhalten und eine Politik zu entwickeln, die sich an den alltäglichen Sorgen der Menschen orientiert. Das haben wir hier 30, 40 Jahre lang gemacht und das ist auch der Grund, warum wir jetzt diesen Wahlerfolg haben.
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