"Das ist ein Marathon und kein Sprint": Der Weg zum kommunistischen Wahlsieg in Graz
Seite 2: "Entscheidend ist, diese organische Verbindung wieder herzustellen"
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Sie unterstützen Menschen in Notlagen, bieten Beratungstermine an. Da sind doch die Vorwürfe, dass Sie eine reine Kümmerer-Partei sind die lediglich reformistisch arbeitet, schnell bei der Hand. Ist die KPÖ Steiermark nach wie vor eine revolutionäre Partei?
Max Zirngast: Eine Revolution nur in Graz zu machen, ist als Konzept wahrscheinlich nicht so sinnvoll. Genauso wenig sinnvoll ist es, den Kommunismus nur in einer einzigen Stadt ausrufen zu wollen. Aber statt die Frage "Reform oder Revolution" immer so abstrakt zu stellen sollte man sich doch mal folgendes anschauen: Der Zustand der sozialistischen oder antikapitalistischen Linken ist nicht sonderlich gut. Weltweit gesehen und auch in Europa nicht. Unsere Bewegung hat in sehr vielen Fällen, mit ein paar Ausnahmen, keinen Kontakt zur breiten Masse der Bevölkerung und vor allem haben wir keinen Kontakt zur Arbeiter:innenklasse in all ihrer Vielfalt.
Das Entscheidende ist doch, dass man diese organische Verbindung wieder herstellt - und ich glaube, dass der kommunalpolitische Weg ein eine Möglichkeit ist, sie wiederherzustellen. In Graz ist das erfolgreich gewesen. Deshalb gibt es jetzt auch in anderen Orten Österreichs Ansätze, dies auszuprobieren. Man sieht, dass man kommunalpolitisch erfolgreich sein kann und je mehr Städte und Gemeinden es werden, desto eher können wir auch auf nationaler Ebene eine effektive Politik wieder herstellen.
Wenn uns aber niemand kennt und niemand ernst nimmt und die Leute sagen: Na ja, das sind halt ein paar Kommunisten, die da herumstehen, aber zu uns überhaupt keinen Bezug haben, dann ist es natürlich schwierig, eine revolutionäre Politik zu machen. Dann bleibt das auf einer komplett abstrakten Ebene. Sagen kann ich ja viel. Sagen kann ich alles, aber die Frage ist doch: Kann ich effektiv in diese Richtung Politik machen?
Unter dem Stichwort "Organizing" werden in linken Bewegungen seit Jahren alle möglichen Konzepte diskutiert. Immer wieder heißt es, dass man raus aus der Linken Bubble kommen muss, um wieder mehr Kontakt mit der Bevölkerung zu haben. Die Methoden der KPÖ Graz scheinen in diesem Zusammenhang relativ hausbacken zu sein. Infostände und Flyer-Steckaktionen. Das sind ja keine neuen Ideen. Warum ist das trotzdem erfolgreich?
Max Zirngast: Na ja, ein Problem von linken Zusammenhängen ist ja, dass sie sehr gerne reden und nicht so gerne tun. Ich bin ja jetzt niemand, der dem Lesen und Schreiben fern ist und ich diskutiere auch sehr gerne, aber irgendwann muss man halt an dem Punkt ankommen, wo es nicht um die neueste fancy Theorie geht, sondern wo man auch einfach mal was macht. Und das ist dann auch vielleicht nicht so spannend.
Wenn ich von früh bis spät mit den Problemen von Leuten beschäftigt bin, die keine linke Theorie kennen, dann habe ich halt nicht mehr so viel Zeit, Bücher zu lesen und Texte zu schreiben. Das sieht dann vielleicht nicht so toll aus, weil man dann auch nicht mehr so viel Textproduktion vorzuweisen hat, aber es ist halt eine andere Art von politischer Arbeit und die muss halt jemand tun.
Wir sind die Partei, die in diesem Wahlkampf als erste angefangen hat, Infostände zu machen, aktiv zu laufen, Verteilaktionen und Steckaktionen zu machen und präsent war, aber wir sind auch die einzige Partei, die das außerhalb des Wahlkampfs macht. Alle anderen Parteien stellen sich ein paar Wochen vor der Wahl auf die Straße und zeigen sich, aber wir sind immer präsent. Solange die Witterungsverhältnisse das zulassen, machen wir durchgehend zwei bis dreimal die Woche Infostände und das werden wir auch weiterhin so handhaben, auch wenn wir tatsächlich die Bürgermeisterin stellen und in der Stadtregierung sitzen. Auch dann werden wir versuchen, den Kontakt zu den Menschen zu halten und griffbereit zu sein.
Macht das Spaß?
Max Zirngast: Das ist nicht immer angenehm. Ich kann es ja auch mit einer Theorie formulieren. Gramsci spricht in dem Zusammenhang davon, dass die Menschen ein widersprüchliches Alltagsbewusstsein haben. Da kommt jemand zu dir, der in manchen Dingen ganz progressiv ist und in anderen Dingen weniger. Da gibt es zum Beispiel gewisse ausländerfeindliche Versatzstücke in seinem Denken, oder frauenfeindliche. Jetzt kann ich natürlich sagen: Hau ab. Du bist kein Linker. Ich will mit dir nichts zu tun haben, aber auf der anderen Seite muss ich sehen, dass die Bevölkerung halt so ist.
Das ist ja auch klar. Wenn alle automatisch, aus sich selbst heraus superprogressive Linke wären, dann hätten wir ja nicht diese gesellschaftliche Situation und Wahlergebnisse, wie wir sie haben. Das ist eben das, was der Kapitalismus und die kapitalistischen Medien aus den Menschen machen. Das heißt, wir müssen auf dieser konkreten Ebene mit diesen Menschen arbeiten und das heißt auch, hin und wieder zurückzustecken. Das bedeutet, dass ich nicht die ganze Zeit mit Marx-Zitaten oder der neuesten Theorie daherkommen kann, sondern ich muss mich ganz konkret auf die Leute einlassen und zuhören.
Das andere ist, dass uns in diesem Zusammenhang immer vorgeworfen wird, dass wir nur karitativ arbeiten würden und dass wir uns mit dem Sozialfonds Stimmern kaufen würden. Aber es ist ja nicht so, dass Elke da steht und 100er-Scheine austeilt, sondern die Leute kommen zu uns; und dann setzen wir uns mit den Menschen auseinander und versuchen auch über das Finanzielle hinaus Lösungen zu finden. Wir machen Rechtsberatung, versuchen Jobs zu vermitteln, günstigere Wohnung zu finden, damit die Leute nicht jeden Monat wiederkommen müssen. Das ist ja nicht Sinn der Sache.
Das heißt, wir kümmern uns auch darum, dass sich die Lebenssituation der Leute verbessert. Entscheidend dabei ist aber, dass über dieses Mittel ein Kontakt zu den Menschen aufgebaut wird und auch eine Vertrauensbasis. Wenn du dich eine Stunde mit den Menschen hinsetzt und versuchst, deren Lebenssituation zu verbessern, dann kann man davon ausgehen, dass sie dich zumindest mal ernst nehmen. Wenn sie dich ernst nehmen und dich nicht als linken Spinner hinstellen, dann kannst du mit diesen Leuten auch perspektivisch über gesellschaftspolitische Fragen diskutieren und hast Einfluss auf diese Menschen. Dafür müssen sie dich aber erst mal ernst nehmen.
Wie reagieren die Leute auf dieses Angebot?
Max Zirngast: Für die meisten Leute ist das eine Überraschung, dass da eine Politikerin, ein Politiker, ein Gemeinderat, ein Stadtrat oder jetzt vielleicht auch die Bürgermeisterin greifbar ist. Das ist ja etwas, was sie gar nicht gewohnt sind. Aber das stellt auch diese Vertrauensbasis her, mit der man dann über gewisse Sachen sprechen kann.
Wenn ich mich jetzt einfach nur hinstelle und sage, das und das ist rassistisch und das und das ist sexistisch, dann mag das zwar stimmen, aber ich werde gewisse Leute, die warum auch immer, gewisse Ansichten in diese Richtung haben, nicht davon überzeugen, dass man auch anders denken könnte. Aber wenn ich eine Basis habe, auf der ich mit den Leuten respektvoll sprechen kann und sie mir auch respektvoll begegnen und mir zuhören, dann kann ich das sehr wohl.
Es geht also um Respekt?
Max Zirngast: Absolut. Aus diesem Grund haben wir unseren Youtube-Kanal auch "Auf Augenhöhe" genannt, weil es um diese Begegnungen auf Augenhöhe geht. Die Menschen, die zu uns kommen, die marginalisiert sind, denen es nicht gut geht in ihrer Lebenssituation, die sowieso gedemütigt werden in ihrem Berufsalltag, in ihrem Leben, denen wollen wir auf Augenhöhe begegnen. Das ist ja nicht lustig, als Antragssteller:in beim Sozialamt, wenn man um Notstandhilfe ansuchen muss. Das ist meistens eine sehr erniedrigende Erfahrung. Bei uns erfahren sie das nicht und vor allem erfahren sie das auch nicht von Elke. Das ist etwas besonderes für die Leute, dass da eine sogenannte Respektsperson sich auf Augenhöhe mit jemandem unterhält.
"Das führt auch nicht immer zu sexy Ergebnissen"
Dafür braucht man einen Langen Atem, oder?
Max Zirngast: Natürlich. Das ist ein Marathon und kein Sprint - und das führt auch nicht immer zu sexy Ergebnissen oder zu Massendemonstrationen. Das ist ein langanhaltender Aufbau von Vertrauen, aber dass wir 29 Prozent geholt haben, lag ja nicht an unserem Wahlkampf, der so toll war. Unser Wahlkampf war gut, aber das Entscheidende ist, dass wir immer da waren und immer da sind. Dass die KPÖ Graz seit 30, 40 Jahren konkrete Arbeit macht.
Du kannst den besten Wahlkampf machen, vor allem als linke Partei, wenn dich niemand kennt und niemand ernst nimmt, dann reicht das alleine nicht. Und gerade weil wir nicht auf irgendwelche Hochglanzkampagnen bauen können oder darauf, dass wir die Medien auf unserer Seite haben, gibt es für uns nur den Weg über die konkrete Arbeit mit der Bevölkerung.
In Deutschland tobt zur Zeit, gerade auch in der Linkspartei, ein Streit um die sogenannte Identitätspolitik und eher klassenkämpferische Positionen auf der anderen Seite. Wie geht Ihre Partei damit um? Spüren Sie diese Kämpfe auch?
: Max Zirngast: Na ja, aus den vorgenannten Gründen spüren wir die nicht so sehr. Ich persönlich halte das in dieser Form größtenteils für eine Scheindebatte. Wir versuchen die Interessen der Arbeiter:innenklasse in ihrer Vielfalt zu vertreten - und in ihrer Vielfalt heißt natürlich auch, was Herkunft betrifft, was ethnische, religiöse und kulturelle Zugehörigkeit betrifft, was Geschlecht betrifft oder die sexuelle Orientierung. Diese ganzen Kategorien, die unter dem Thema Identitätspolitik stehen, nehmen wir natürlich auch wahr.
Man sieht das ja auch daran, dass sehr viele Menschen, die uns gewählt haben, aus migrantischen Communities stammen. Das ist ja kein Zufall, gleichzeitig ist aber auch die Arbeiter:innenklasse in Österreich, vor allem in den untersten Segmenten sehr stark migrantisch und eben auch weiblich. Das ist nicht voneinander zu trennen. Wenn man die Arbeits- und Lebensbedingungen, gerade von prekär Beschäftigten verbessert, dann hat man doch schon automatisch einen großen Beitrag dazu geleistet, die Lebenssituation gerade von Migrant:innen zu verbessern.
"Ich würde diese Kämpfe nicht gegeneinander ausspielen"
Ich würde diese Kämpfe nicht gegeneinander ausspielen, sondern gerade in der konkreten Praxis zusammenführen. Dass es da und dort mal Widersprüche gibt, das ist ja völlig normal, aber die kann man aushalten, nämlich dann, wenn man eine funktionierende, konkrete Alltagspraxis hat. Wenn diese Widersprüche und Unterschiede in erster Linie Gegenstand von innerparteilichen oder innerlinken theoretischen Debatten sind, dann sind sie auch nicht wirklich aufzulösen. Ich glaube, dass es wichtig ist, solche Fragen am besten in der Praxis zu lösen, weil sie in der Praxis oft auch ihre Schärfe und Zuspitzung verlieren.
Man kann alles tot reden und gerade in der Linken ist das weitverbreitet, dass man alles auf Punkt und Beistrich ausdiskutiert. Was hier in Graz aber sehr wichtig ist, dass man das eben nicht tut und auch nicht das Bedürfnis hat. Natürlich gibt es den Raum dafür und es ist nicht so, dass hier nicht diskutiert wird, aber entscheidend ist, dass wir eine verbindende Praxis haben. Auf Grundlage dieser Praxis kann man Diskussionen führen, und sich trotzdem in dieser Partei zusammen finden. Selbst wenn wenn man verschiedene Ansichten hat, zerstreitet man sich nicht über diese Ansichten.
Eine letzte Frage noch. Wie viele Neuanmeldungen habt Sie in den letzten Wochen erhalten?
Max Zirngast: Ich glaube in Graz allein waren es über 70 und auf Bundesebene waren es über 200. Das ist nicht die Welt, aber wenn man in einer Stadt insgesamt nur 300 Mitglieder hat, dann sind 70, 80 Neueintritte jetzt auch nicht wenig.
Herr Zirngast, wir bedanken uns für dieses Gespräch.
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