Das lernende Bauhaus

Seite 2: Ein Stil aus Bruch und Kontinuität

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Besonders lebhaft und nachhaltig waren die Beziehungen des Bauhauses zu Japan. In diesen Kontext gehört zweifellos Bruno Taut, der von 1933-36 auf offizielle Einladung in Japan weilte. Der Architekturtheoretiker Jörg H. Gleiter schildert, wie Tauts Annäherung an die japanische Hausarchitektur vonstatten ging und ihn rückwirkend veranlasste, seine Haltung zur Moderne, ja die Moderne insgesamt neu zu verorten. Die jungen Architekten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die neue Epoche standen, lehnten zunächst die traditionelle japanische Architektur ab, weil sie sich selbst noch nicht bewusst waren, was Moderne ist.

Sie änderten ihre Ansicht in dem Maße, wie sie, Taut voran, ihre eigene Modernität wie in einem Spiegel im japanischen Haus entdeckten und reflektierten. Reduktion, Einfachheit und Leichtigkeit waren die Gestaltungsprinzipien, die sie auch für ihre eigenen Werke in Anspruch nahmen. Im Besonderen sind in der traditionellen japanischen Architektur Haus und Garten ein engverschmolzenes Ganzes, und die transparenten Wände sind verschiebbar, um die Räume flexibel zu halten. Die Tatami-Matte ist ein geometrisches Grundmaß.

Die europäische Entwicklung lief unbewusst auf den japanischen Stil zu, bedenkt man, dass Gerrit Rietveld von der Gruppe "De Stijl" schon 1924, zehn Jahre vor Tauts Studium und Dokumentation des japanischen Hauses, sein berühmtes Haus in Utrecht mit verschiebbaren Paneelen zur Raumteilung ausgestattet hatte.

Die anfangs verachtete japanische "Hütte" stellte sich als Urhütte der Moderne heraus. Am Ende vermittelte Taut die Übereinstimmung zwischen der modernen europäischen Architektur und der japanischen Ikone, der Katsura-Villa, über ein gemeinsames Drittes: den Parthenon-Tempel auf der Akropolis. Das mag ein gewagter Vergleich sein, aber die Schlussfolgerung ist bezwingend: Die Architektur der Moderne steht in einer klassischen Tradition. Der Bruch mit der Vorgeschichte ist die eine Seite der Moderne, die andere Seite ist Kontinuität.

Gropius unterstrich 1954 den Impuls, den das Bauhaus in die Austauschprozesse einbrachte: Die neue japanische Architekturausbildung, die den "Bauhaus-Geist" aufgegriffen habe, schlage eine "kreative Brücke zwischen Ost und West". Die Bauhaus-Architektur sei ihrerseits anpassungsfähig an die Bedingungen im Ausland.

Diese Anpassungsfähigkeit löste einen Dauerstreit darüber aus, was überhaupt der Bauhaus-Stil sei. Besonders heftig tobte und tobt der Streit, ob die "Weiße Stadt", ein Ensemble von 4.000 Gebäuden im Herzen Tel-Avivs, überhaupt das Prädikat "Bauhaus-Stil" verdiene. Der Aufbau der Weißen Stadt wurde ab 1930 von Architekten durchgeführt, die überwiegend als Flüchtlinge aus Deutschland kamen. Typisch am Erscheinungsbild ist der Kontrast aus der Vertikalen und Horizontalen, der durch längliche "Thermometerfenster" einerseits und Balkone andererseits gebildet wird.

Der Streit um den Stil ist müßig, denn es gibt nicht das eine Bauhaus. Der Formenkanon ist offen für Variationen. Das gilt sowohl für das einzelne Haus als auch für das städtebauliche Ensemble. Die Einzelfälle fügen sich zu einer Meta-Idee. Der Kontrast aus Individuellem und Universellem, Gleichartigem ist der eigentliche Bauhaus-Stil. Gebaut wird nicht mehr für eine bestimmte Schicht. Das wurde in Tel Aviv an der Weißen Stadt und weiteren Siedlungen ganz manifest, insofern sie eine Blanko-Architektur für Juden egal welcher geographischen, politischen oder sozialen Herkunft sein sollten. Rückblickend betrachtet war jedoch die Euphorie der ersten Jahre illusorisch.

Wenig dienlich waren amerikanische Bemühungen, das Bauhaus definitorisch zu einem "Internationalen Stil" auszuwalzen. Was Ph. Johnson und H.-R. Hitchcock 1932 als Charakteristika eines solchen Stils auflisteten, darunter "Einhaltung von Proportionsregeln" und "modulare Regelmäßigkeit", bleibt recht schwammig. Gropius widersprach denn auch.

Es darf jedoch nicht verkannt werden, dass das Bauhaus und das Neue Bauen sich immer schon politisch zur Gesellschaft verhielten, indem sie einen Beitrag zur Lösung der sozialen und Wohnungsfrage zu leisten suchten. Durch die weltweite Ausdifferenzierung des Bauhauses nach dem Zweiten Weltkrieg könnten seine Vertreter und Nachfolger umgekehrt gezwungen sein, den jeweiligen Kräften vor Ort nachzugeben. Wie steht es mit dem Bauhaus-Stil in Zeiten des Neoliberalismus, genauer in Zeiten der Verdichtung? Ein Beispiel der 60er Jahre wäre die Gropiusstadt in Berlin.

Einer der wichtigsten Architekten der Weißen Stadt war der Bauhaus-Absolvent Arieh Sharon. In Deutschland hatte ihm Hannes Meyer die Bauleitung der Bundesschule des ADGB bei Bernau übertragen, und für den neuen Staat Israel durfte er 1948 den kompletten Masterplan erstellen. Er war auch international tätig. Für Nigeria plante er in den 60er Jahren die Universität in Ife. Die skulpturalen Bauten sind optimal auf die klimatischen Bedingungen eingestellt. Man spricht von einem "tropical modernist style".

Weitere maßgebliche Architekten der Emigration nach Palästina waren Richard Kauffmann und Erich Mendelsohn. Letzterer hatte in Deutschland den Expressionismus auf seine eigene Weise weiterentwickelt. In Israel warnte er seine Architekturkollegen davor, unreflektiert die Moderne aus Beton und Glas zu übernehmen, ohne das orientalische Klima und die Umgebung zu studieren. Der Architekturhistoriker Julius Posener pflichtete ihm bei: Die moderne Architektursprache wirke in Palästina schnell aufgesetzt. Aber ebenso ignorant sei die "Schwärmerei für Arabisches."

Mendelsohn selbst nahm für sich eine "regionalistische Moderne" in Anspruch. Die Universalsprache, die das Bauhaus in Architektur und Design entwickelte, konnte im Zuge seiner Internationalisierung nur erfolgreich sein, insofern sie eine Brücke zu nationalen Idiomen schlug. In den reformierten oder neuen Kunstschulen der ehemaligen Kolonien mussten die historischen Spuren dieser Idiome erst ans Licht gebracht und künstlerisch neu interpretiert, das heißt wieder angeeignet werden. Im Dialog mit dem Bauhaus entwickelte sich von Fall zu Fall eine lokale oder ländliche Moderne, so in Indien.

Der Wissenstransfer veränderte auch die Lehren des Bauhauses selbst. Das Dogma von Quadrat, Dreieck und Kreis wurde lockerer. Im digitalen Zeitalter ist jede Linienführung möglich. Nur sachlich sollte sie bleiben.

Die Dokumentation des Ausstellungskataloges zu den internationalen Verflechtungen des Bauhauses wird fortlaufend um neue Beiträge ergänzt.