Das neueste CyberCafe New Yorks

CyberCafes, die eine Internetanbindung anboten, waren einst groß in Mode. Zumindest in New York ist der Hype vorbei. Man sitzt Zuhause vor dem Monitor und vergnügt sich lieber mit allerlei VR-Schnickschnack.

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Auf der Suche nach CyberCafes in New York stößt man zwangsläufig auf das XS. Es liegt direkt am Times Square zwischen der 41. und 42. und zwischen Broadway und 7. Avenue. So gut wie alle Touristen laufen daran vorbei, wenn sie Richtung Empire State Building gehen oder einfach nur den Times Square als Attraktion besichtigen wollen, denn die Schilder über den zwei Eingängen sind riesig und die Spirale und der Schriftzug Too much is not enough ziehen einen magisch an. Etwas kleiner liest man an den Scheiben "CyberCafe", mit einem Kringel um das "Cafe". Ein anderes Schild an der Tür weist darauf hin, daß die große Eröffnung am 20. März war. Nach einer freundlichen Begrüßung durch den ersten Mitarbeiter befindet man sich in einem gewaltig großen Raum, der gefüllt ist mit Spieleapparaten, Monitoren, Autos, Motorrädern, Wasserjets, einem 3D-Pacman und vielen anderen VR-Geräten. Außerdem sieht man Menschenmassen, aber keine PCs. Sie befinden sich auf Anfrage im ersten Stock, der durch zwei Wendeltreppen erreichbar ist.

Während es oben recht ruhig zu sein scheint, tobt hier unten der Bär. Es ist Samstagabend, 21 Uhr. An fast jedem Gerät spielt jemand, an manchen wie dem Auto in Echtgröße, in dem eine Person sitzen kann und simulierte, selbstgesteuerte Autorennen durch Ruckeln des Autos noch realistischer erlebt, stehen die Interessenten Schlange. Das andere große Highlight des Ladens ist der ebenso große Flugsimulator, der die "virtuelle Revolution" verspricht. Dieses Gefährt rotiert sowohl horizontal als auch vertikal. Zwei Cyborgs finden Platz im Cockpit. Der eine steuert, der andere schießt auf Ziele. Die Wartenden können auf einem Monitor die Piloten sehen, auf einem anderen die Aussicht aus dem Cockpit. Der Preis ist hoch: 7 Dollar pro Person kostet der virtuelle Sieben-Minuten-Flug. Doch die Simulation ist weitaus realistischer als bekannte Flugsimulatoren auf CD-ROM.

Gleich neben dem Flugzeug steht ein virtuelles Snowboard (2 Dollar), auf dem man kurvig und über Sprungschanzen ins Tal fahren kann. Daneben ist ein alpiner Skisimulator mit Stöcken. Ein paar Schritte weiter kann man auf Motorrädern sitzen und virtuelle Rennen fahren, mit Aquajets in James-Bond-Manier über Inseln springen und untertauchen, mit dem WaveRunner in horizontaler Rotierung über harte Wasseroberflächen preschen und durch leichte Rückstöße deren Widerstand am eigenen Körper spüren. Man fliegt auf Flugobjekten, die Fledermäusen gleichen, durch enge Höhlenschluchten, während man auf Pedale eintritt, wobei man fremde Gestalten abknallen muß. Originell ist auch der virtuelle Paraglider, auf dem man liegend am Berghang gen Tal steuert.

Richtig belagert sind aber die Ballersimulationen, wie etwa das Spiel Tokyo War, bei dem man mit einem Panzer durch die Innenstadt von Tokyo fährt und das langsame Vorwärtsrobben des Panzers sinnlich erlebt. Fehlen dürfen natürlich auch nicht die einfachen Schießsimulationen wie Gunblade, bei dem man mit zwei Maschinengewehren auf Feinde feuert. Dabei kann man wählen, ob Downtown oder Uptown von Manhattan der Schauplatz sein soll, oder gleich der Times Square, wo sich ja auch dieses CyberCafe befindet. So wird die Fiktion um ein Vielfaches realistischer, da der Spieler weiß, daß er physisch am Times Square ist. Beim Pyramid Pilot schlüpft man unter einen Datenhelm und bedient Griffe und Feuerknöpfe. Er ist so an einem Kugelgelenk aufgehängt, daß man sich mit seinem Körper in alle Richtungen bewegen kann. Schnell hat man 20 oder 30 Dollar ausgegeben, wenn man ein paar Spiele durchprobiert.

Über eine Wendeltreppe gelangt man schließlich in den ersten Stock. Hier befinden sich neben zwei virtuellen Golfplätzen - der Rasen wird über eine Leinwand simuliert, der Schlag mit den Schläger ist real - zahlreiche PCs, die nahe an der Balustrade positioniert sind. Nur an wenigen der 20 Monitore sitzen Menschen. Das vergnügungssüchtige Publikum amüsiert sich lieber mit dem VR-Equipment. Dabei bieten die Internet-Computer eine T1-Leitung (1.56 MB pro Sekunde), entsprechend gute Graphikkarten, 24 MB Arbeitsspeicher etc. Die virtuelle Welt AlphaWorld wird so zum Genuß, da es eine Zeitverzögerung bei der Bewegung der Avatare praktisch nicht gibt. Eine Mitarbeiterin von XS (Skyline Multimedia Entertainment Inc.), die für die PCs der Firma CyberCafe zuständig ist, bewegt sich gerade in AlphaWorld und versucht verzweifelt jemanden zu finden, der mit ihr sprechen mag.

Es ist Samstagabend, 22 Uhr Ortszeit (EST). Im XS NewYork scheint mehr los zu sein als in AlphaWorld. Nach dem üblichen Eingangsdialog kommt ihr entfernter Gesprächspartner plötzlich auf ihr Geschlecht zu sprechen und macht schlüpfrige Bemerkungen. Die Mitarbeiterin versucht ironisch damit umzugehen, merkt aber die Beharrlichkeit der Bemühungen und verabschiedet sich von diesem Avatar. Es gibt ja noch andere. An einem anderen Terminal sitzt ein echter Kunde und verschickt Emails. Mittendrin aber bricht aber die Verbindung ab, als die bezahlte Zeit abgelaufen ist. 12 Dollar die Stunde.

Die Euphorie für die Internetwelt scheint verflogen zu sein, denn auch am Nachmittag bietet sich ein ähnliches Bild. Während sich im Erdgeschoß das Volk auf die Füße tritt, laufen oben die raffinierten Bildschirmschoner. Selbst die herkömmlichen Autosimulationen nur mit Lenkrad, die oben im Dutzend stehen, sind hier allemal attraktiver. Vielleicht ist das an einem anderen Tag oder zu einer anderen Uhrzeit besser, vielleicht liegt es auch an der erst vor kurzem erfolgten Eröffnung des Cafes.

Beim CyberCafe derselben Firma in SoHo, Ecke Prince und Lafayette Street, sind jedenfalls abends um sechs Uhr die zehn Multimedia PC`s, die auch Videoconferencing erlauben, ebenso unbesetzt. Der Anfangsrummel im August 1995 wurde von den Medien gepuscht. Heute ist von der Faszination kaum mehr etwas zu sehen. Noch scheint das CyberCafe sich zu tragen, denn die Mieten sind hoch hier in SoHo. Die ehemalige Konkurrenz im nahen East Village ist weniger geworden. Vom Internet-Cafe am St. Marks Place ist nur noch die Fahne mit einem @ übrig. Die Monitore mußten Kneipentischen weichen, da diese mehr Geld einbringen.

Das XS schließt am Wochenende erst um 2 Uhr in der Nacht, unter der Woche um Mitternacht seine Pforten. Um 11 Uhr geht es am Morgen bereits wieder los. Wenn die investitionsfreudige Firmenstrategie aufgeht, kann die exklusive Lage gehalten werden. Bleibt nur abzuwarten, ob auch die PC`s an ihrem Platze bleiben. Too much is not enough, lautet das Motto.