Das sicherste Land der Welt
Österreichs Innenministerin macht mit Röntgenstrahlen und Expressabschiebungen gegen Asylwerber mobil, UNHCR und Europarat sind schockiert
Der österreichische Ministerrat beschloss am Dienstag, die Staaten des ehemaligen Jugoslawien ab 1. Juli zu „sicheren Drittländern“ zu erklären. Flüchtlinge etwa aus dem Kosovo haben somit praktisch keine Chancen mehr, Asyl zu erhalten. Und das obwohl humanitäre Organisationen derzeit von einer Zuspitzung der Lage für Minderheiten berichten. Dennoch wird der Kosovo bezüglich der Menschenrechtssituation nunmehr gleich eingestuft wie die EU-Länder, Norwegen oder die Schweiz - und sicherer als die USA, die - Stichwort Todesstrafe - nach wie vor als „unsicherer“ Herkunftsstaat gelten. Auch von Seiten des Europarats zeigt man sich über die neue Verordnung schockiert: Vor allem für Minderheiten im Kosovo, darunter die Gruppe der Roma, sei das Leben auch heute noch keineswegs sicher.
„Es wird noch einige Jahre dauern, bevor Minderheiten sicher vor Unterdrückung und dergleichen sind“, heißt es in einer Stellungnahme des Menschenrechtskommissars des Europarats. Insbesondere die Volksgruppe der Roma sei im Kosovo nach wie vor „extrem verletzlich, sie werden oft nicht gut behandelt“; ihnen drohe bei einer Rückführung der Aufenthalt in Lagern unter katastrophalen Bedingungen, beispielsweise in schwer umweltverschmutzten Gebieten wie der bleiverseuchten Region Mitrovica.
Mit der neuen Verordnung können Asylwerber nun auch dann abgeschoben werden, wenn das Ergebnis des Berufungsverfahrens noch gar nicht vorliegt. Dabei ergingen, wie die Statistik 2002 bis 2007 zeigt, zuletzt sogar mehr als die Hälfte aller positiven Asylbescheide nicht im Erstverfahren, sondern erst in zweiter Instanz. Selbst die amtlichen Asylbehörden sahen im Vorjahr etwa für Serbien (117 Anträge positiv beschieden) und bei Kosovaren (31 Positivbescheide) immerhin in einem Teil der Fälle das Vorliegen von Asylgründen als erwiesen an (Jahresstatistik 2008 nach Ländern). Erst vor wenigen Wochen hatte sich der Menschenrechtsbeauftragte des Europarats, Thomas Hammarberg, vehement gegen die Zwangsrückführung von Kosovo-Flüchtlingen, unter ihnen viele Roma, in ihre Heimat ausgesprochen; eine Rückführung, wie sie derzeit von mehreren europäischen Regierungen vorangetrieben wird, komme angesichts der dortigen desaströsen Lage einer Menschenrechtsverletzung gleich. Auch aus Deutschland stehen, sobald das bilaterale Rückübernahmeabkommen unter Dach und Fach ist, Massenabschiebungen in den Kosovo bevor.
Die Eiserne Lady
Mit dieser Verordnung demonstriert die Innenministerin Maria Fekter von der konservativen ÖVP neuerlich Härte in der Asylfrage, nachdem sie bereits vergangenen Woche mit einer Fremdenrechts- bzw. Asylrechtsnovelle an die Öffentlichkeit getreten ist. Die Gesetzesvorlage, die von der Koalitionsregierung von ÖVP und SPÖ im Herbst beschlossen werden soll, sieht ein Bündel drastischer Verschärfungen vor, mit deren Hilfe die Innenministerin Österreich „zum sichersten Land der Welt“ machen will. Es ist dies genau jene populistische Vermengung von Sicherheits- und Asylpolitik, mit der die FPÖ Konservative wie Sozialdemokraten seit Jahren erfolgreich vor sich hertreibt. „Ich halte es für sehr problematisch“, erklärte etwa Caritas-Wien-Direktor Michael Landau, „Menschen, die unter dramatischen Umständen aus ihrer Heimat fliehen müssen, unter Generalverdacht zu stellen“.
Kräftige Unterstützungssignale gab es für Fekter, die sich Mühe gibt, als „Eiserne Lady der Asylpolitik“ in die Annalen einzugehen, dennoch auch vom Koalitionspartner SPÖ. Otto Pendl, der Sicherheitssprecher der Sozialdemokraten, erklärte, dass der Entwurf grundsätzlich „Dinge, die im Regierungsübereinkommen vorgesehen sind“, beinhalte und er damit rechne, dass die Neuregelung wie geplant bereits mit 1. Januar 2010 in Kraft treten werde. Laut Fekter war zudem von SPÖ-Seite das Ressort von Verteidigungsminister Norbert Darabos in die Erarbeitung der Gesetzesvorlage miteingebunden.
Konkret zielt die Neuregelung unter anderem auf eine beschleunigte Abschiebepraxis ab: „Wer kriminell ist, darf für seinen Aufenthalt nicht das Asylrecht als Deckmantel erhalten“: So begründet die Innenministerin ihr Maßnahmenpaket. So sollen künftig „straffällige“ Asylwerber umgehend in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Der Nachweis der Straffälligkeit wird aber nicht mehr, wie in einem Rechtsstaat üblich, durch eine Verurteilung in einem Gerichtsprozess erbracht. Allein die – noch von keinem Gericht behandelte – Anklage durch die Staatsanwaltschaft bzw. die Verhängung der Untersuchungshaft ist demnach ausreichend, um Asylwerber zwangsweise außer Landes zu schaffen. Verteidiger, Richter, Urteile – all das scheint man da nicht zu brauchen.
Kleine Kinder hinter Gittern
Dass damit nicht nur verschiedene Verfahren miteinander verknüpft werden, die nichts miteinander zu tun haben, sodnern dass vor allem das rechtsstaatliche Grundprinzip der Unschuldsvermutung einfach außer Kraft gesetzt wird, kümmert die ÖVP-Ministerin dabei nicht. Zudem kann straffälligen Personen, denen bereits Asyl zuerkannt wurde, im Fall einer Verurteilung der Flüchtlingsstatus nachträglich wieder aberkannt werden. Dass hierdurch das Grundrecht auf Schutz vor Verfolgung verletzt wird, liegt auf der Hand. Heftige Kritik erntete die Ministerin zudem, weil ihr Maßnahmenkatalog auch Röntgenuntersuchungen zur Altersschätzung bei jugendlichen Asylwerbern vorsieht, wenn deren Alter sich nicht eindeutig anhand von Dokumenten klären lässt. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass durch falsche Altersangaben gewisse Erleichterungen im Asylverfahren erschlichen werden.
Verfassungsexperten zerpflückten die Gesetzesnovelle, die Caritas spricht von einem „Beschäftigungsprojekt für Höchstgerichte“, und sogar die konservative Tageszeitung „Die Presse“ spricht davon, dass das „Fremdenrecht zum Fremdenunrecht“ zu werden drohe. Sowohl der Verfassungsrechtler Bernd Funk als auch sein Kollege Heinz Mayer halten ein Abschiebeverfahren ohne Gerichtsurteil für verfassungswidrig: „Das ist mit der Genfer Flüchtlingskonvention nicht im Einklang“, erklärte Mayer. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR kritisierte am Sonntag „die geplante Schubhaft für tausende unbescholtene Asylwerber pro Jahr“. Das UNHCR ortet in der Gesetzesvorlage einen „neuen Zwang zur Massen-Schubhaft“, die weiterhin auch über Minderjährige verhängt wird: „Die Bevölkerung hat kein Verständnis für weitere Exzesse mit kleinen Kindern hinter Gittern.“