Das ultracoole Superatom
Gleichzeitig ist es zwei Forscherteams gelungen, eine Molekülwolke zu erschaffen, die im Gleichtakt schwingt. Weltweit hatte ein Wettlauf um ein solches Bose-Einstein-Kondensat stattgefunden
Gewonnen haben überraschend die Quantenphysiker der Universität Innsbruck. Die Truppe machte in der Vergangenheit Schlagzeilen mit einem Bose-Einstein-Kondensat aus Cäsiumatomen (vgl. Mit kalten Materiewolken auf der Jagd nach der exakten Zeit) und der direkten Beobachtung von ultrakalten Molekülen in diesem Zustand (vgl. Schuld war nur der Bosenova 12672). In einer Vorabveröffentlichung im Wissenschaftsjournal Science (Science Express) berichten sie über ihr "Bose-Einstein Condensation of Molecules".
Der Leiter der Arbeitsgruppe, Rudolf Grimm, kommentiert den Erfolg:
Es freut uns ganz besonders, dass wir als Außenseiter dieses Rennen für uns entscheiden konnten. Denn als das Science Magazin im August über diesen Wettlauf berichtete, waren wir noch gar nicht im Rennen. Das hat einfach mit der großen Erfahrung zu tun, die wir in der Zwischenzeit mit Bose-Einstein-Kondensaten und ultrakalten Atomen erworben haben.
Im Zustand des Bose-Einstein-Kondensates (BEC) singen die Atome (und nun auch die Moleküle) unisono, marschieren im Gleichschritt oder schwingen im gleichen Takt. Es gibt verschiedene poetische Umschreibungen, aber im Grunde geht es darum, dass sie sich nicht mehr wie eine Vielzahl individueller Atome, sondern wie ein Superatom, bzw. eine Welle verhalten. Nahe dem absoluten Nullpunkt (bei 0 Kelvin oder minus 273 Grad Celsius) verlieren die einzelnen Atome eines Gases, eingesperrt in einen magnetischen Käfig, ihre Eigenständigkeit und verhalten sich wie ein einziges quantenmechanisches Objekt.
Neben den vier "klassischen" Aggregatszuständen, also Festkörper, Flüssigkeit, Gas und Plasma, ist das die fünfte Erscheinungsform von Materie. 2001 gab es den Nobelpreis für Physik "für die Erzeugung der Bose-Einstein-Kondensation in verdünnten Gasen aus Alkaliatomen, und für frühe grundsätzliche Studien über die Eigenschaften der Kondensate" (vgl. Der Nobelpreis in Physik 2001). Benannt ist das BEC nach den Physikern Satyendra Nath Bose und Albert Einstein, die es in den 20er Jahren theoretisch vorhersagten. Ultrakalte Molekülkondensate sind der Schritt in die nächst größere Quantendimension. Rudolf Grimm dazu:
Die gezielte Herstellung und quantenmechanische Kontrolle von Molekülen erlaubt eine ganz neue Form von 'Chemie' am absoluten Nullpunkt. Quantenobjekte können kontrolliert kombiniert und in verschränkter Form wieder getrennt werden. Die Erforschung von Molekülkondensaten wird das grundlegende Verständnis von Atomen und Molekülen verbessern und ermöglicht zum Beispiel den Bau extrem exakter Messgeräte.
Die Innsbrucker Experimentalphysiker verwendeten ein fermionisches Gas aus Lithium-6-Atomen. Fermionen können nicht effizient abgekühlt und in einen gemeinsamen Quantenzustand gezwungen werden. Deshalb nahmen die Forscher einen Umweg in Kauf und verbanden die Atome durch chemische Reaktion paarweise zu Molekülen. Dadurch war die Unterkühlung möglich und sie bildeten ein Bose-Einstein-Kondensat.
Ebenfalls mit einen Fermionen-Gas arbeitete die Gruppe um Deborah Jin von der University of Colorado, der praktisch gleichzeitig ebenfalls ein Bose-Einstein-Kondensat aus Molekülen geglückt ist. Ihren Artikel A molecular Bose-Einstein condensate emerges from a Fermi sea veröffentlichten sie online und reichten ihn beim Wissenschaftsmagazin Nature ein. Die Forscher um Jin verwendeten Atome des radioaktiven Kaliumisotops Kalium-40. Die Innsbrucker weisen aber daraufhin, dass die Stabilität ihres Lithium-Kondensats mit rund 20 Sekunden um den Faktor 1000 höher ist als die des Kondensates der amerikanischen Konkurrenz.
Die Wissenschaftler versprechen sich von dem Durchbruch neue fundamentale Erkenntnisse in der Physik, unter anderem über das Phänomen der Supraleitung (vgl. Nahe des Nullpunkts offenbart sich Exotisches). Rudolf Grimm ist überzeugt: "
Für die Wissenschaft ist dieses Experiment von großer Bedeutung, da die unterschiedlichen Zustände der Quantenmaterie durch einfaches Verändern der Magnetfelder untersucht werden können und damit auch Bereiche analysiert werden können, für die es bis heute keine brauchbaren Theorien gibt.