Nahe des Nullpunkts offenbart sich Exotisches

Neues in der Supraleiterforschung

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Die aktuelle Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature präsentiert zweifach Neues zur Supraleiterforschung, sowohl über einen Hochtemperatursupraleiter auf der Basis von Kobalt, Natrium und Wasser, wie zur Grundlagenforschung über Magnetismus und Stromleitfähigkeit.

Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt: Supraleitung ist charakterisiert durch die vollständige Verdrängung des magnetischen Flusses, dadurch kommt es zum Schwebeeffekt, Bild: MPI für Festkörperforschung, Stuttgart

Es ist der Traum vom verlustfreien Stromtransport, der das Phänomen Supraleitung so attraktiv macht. Metalle verlieren bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt (-273°C) schlagartig ihren elektrischen Widerstand, das ist seit fast hundert Jahren bekannt und seit den 80er Jahren kennt die Wissenschaft die so genannten Hochtemperatursupraleiter. Das sind künstlich hergestellte, keramische Materialien, die auch bei etwas weniger Kälte dieselbe Eigenschaft entwickeln. Sie können mit flüssigem Stickstoff (-195 °C) relativ unproblematisch und kostengünstig gekühlt werden. Allerdings sind die Hochtemperatursupraleiter in vielerlei Hinsicht noch ein Rätsel (vgl. Die gespaltene Persönlichkeit der Hochtemperatursupraleiter).

Und die Anwendung der Supraleitung in der Praxis gestaltet sich nicht zuletzt wegen der Kosten schwierig. Im Einsatzgebiet gehen heute auf dem Weg vom Kraftwerk zum Verbraucher noch 4-10 Prozent des Stroms verloren, Supraleitung könnte diesen Wert deutlich verbessern, aber bisher gibt es nur Versuchsnetze in Kopenhagen und Detroit (vgl. Widerstand ist zwecklos), vor allem weil die speziellen Kabel noch zu teuer sind (vgl. Supraleitende Kabel...). Andere interessante Anwendungsbereiche wären das Transportwesen (Magnetschwebebahnen), die Kommunikationstechnik oder die Magnetfeld-Sensorik nicht nur in der Medizin.

Hochtemperatursupraleiter sind problematisch in der Verarbeitung, weil sie durch ihre Körnigkeit nur sehr aufwändig zu verarbeiten sind. Ein heißer Kandidat ist der billige Ausgangsstoff Magnesiumdiborid, an dem weltweit eifrig geforscht wird (vgl. Mind the gap!).

Seit Anfang des Jahres ist der neue Supraleiter "Natrium-Kobalt-Oxyhydrat" bekannt (vgl. Experimental Papers on NaxCoO2 Details). Jetzt veröffentlichen R.E. Schaak, M.L. Foo und R.J. Cava von der Princeton University sowie T. Klimczuk von der polnischen Gdansk University of Technology ihre Untersuchungen seiner Eigenschaften. Das keramische, mit Natrium angereicherte Kobaltoxid wird supraleitend, wenn man es durch einen chemischen Oxidationsprozess mit Ebenen von Wassermolekülen durchsetzt. Das Kobalt-Natrium-Wasser-Gemisch verhält sich bei Temperaturen von über 5 Kelvin (-268 °C) magnetisch, bei weiterer Abkühlung wird es zum Supraleiter. Der Aufbau des Materials erinnert an ein Gitter, da sich dünne Lagen aus Kobaltoxid und Natrium abwechseln. Die Wassermoleküle werden an das Natrium angelagert und dadurch entstehen Wasserfilme zwischen den übereinander gestapelten Oxidschichten.

Bislang galten die Kupferoxide) als der Ausgangsstoff schlechthin für Hochtemperatursupraleiter, obwohl nicht völlig verstanden ist, wie die widerstandlose Leitung genau funktioniert.

Natrium-Kobalt-Oxyhydrat ist strukturell den Kupferoxiden ähnlich, schafft allerdings keine Supraleitung bei höheren Temperaturen. Schaak und Kollegen variierten die Ladungsmenge indem sie den Natriumgehalt in dem Gemisch veränderten. Mit der Erhöhung der Ladungsmenge in der geschichteten Kobaltoxid-Gitterstruktur erhöht sich auch die Temperatur, bei der das Material superleitfähig blieb. Das funktioniert genau wie bei den Kupferoxiden bis zu einem bestimmten Limit. Jenseits davon verringert sich die Superleitfähigkeit mit zunehmender Ladung wieder.

In einem zweiten Nature-Artikel schildern J. Custers vom Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe) und neun Kollegen, auch aus Frankreich und den USA, neue Erkenntnisse über Magnetismus und Strom bei sehr niedrigen Temperaturen. Die Gruppe schuf ein neue intermetallische Verbindung und untersuchte ihr Verhalten.

Schon seit einigen Jahren suchen weltweit Forscher nach metallischen Materialien, bei denen ein magnetisch geordneten Zustand erst bei extrem tiefen Temperaturen auftritt. Sie versuchen, maßgeschneiderte Substanzen herzustellen, bei denen die magnetische Übergangstemperatur möglichst nahe am absoluten Temperatur-Nullpunkt, also Null Kelvin liegt. Der Vorteil ist, dass in diesem Bereich Temperatureffekte keine Rolle spielen. Darum werden die physikalischen Eigenschaften des Materials nur noch durch Quantenfluktuationen bestimmt, bedingt durch die Heisenbergsche Unschärfe). Materialien verlieren in dem so genanten Quantenphasenübergang ihre normalen Eigenschaften (vgl. Welt der Physik: Materie nahe am absoluten Nullpunkt der Temperatur).

Das Team um Custers verwendete eine intermetallische Verbindung (YbRh2(Si0.95Ge0.05)2) aus Ytterbium (Yb), Rhodium (Rh), Silizium (Si) und Germanium (Ge). Magnetische Ordnung tritt in dieser Mischung erst unterhalb von 0,02 Kelvin auf.

Und nahe des Nullpunkts offenbart sich Exotisches: Die Elektronen bewegen sich immer langsamer und werden immer schwerer, dabei kollidierten sie immer häufiger untereinander. Ihre Masse nahm bei Annäherung an den quantenkritischen Punkt kontinuierlich zu. Dieses Verhalten lässt aus Sicht der Physiker darauf schließen, dass die "Schweren Elektronen" offenbar in zwei Komponenten auseinander brechen. Das widerspricht den theoretischen Voraussagen. Die Forschergruppe geht davon aus, dass die Schweren Elektronen in der intermetallischen Verbindung am absoluten Nullpunkt nicht mehr existieren können und sich in einen magnetischen und einen stromtragenden Anteil aufsplitten.

Frank Steglich, Direktor am MPI und Co-Autor des Artikels kommentiert: "Es ist jetzt eine Herausforderung für die Theoretiker, das Konzept der Quantenphasenübergänge weiter zu entwickeln. Denn offenbar bestimmt der quantenkritische Punkt Materialeigenschaften wie Magnetismus und Supraleitung nicht nur am absoluten Nullpunkt, sondern abhängig von der Stärke der Quantenfluktuationen auch bei höheren Temperaturen."