Mind the gap!

Berechnung der supraleitenden Struktur von Magnesiumdiborid

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Magnesiumdiborid ist seit seiner Entdeckung vergangenes Jahr der Supraleiter, an dem international am meisten geforscht wird. Jetzt veröffentlichen US-Physiker in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature eine Berechnung der supraleitenden Struktur des Materials.

Magnesiumdiborid, Bild: University of Wisconsin-Madison

Supraleitung, der verlustfreie Fluss von Strom, ist der Traum aller Kabelhersteller. Kein Widerstand, der Energieverlust verursacht - das könnte auch die Erschließung weit entfernter Kraftwerke (Vgl. Strom aus der Wüste) wesentlich attraktiver machen. Der kommerziellen Nutzung steht bisher noch entgegen, dass supraleitende Materialien entweder wie die so genannten herkömmlichen Supraleiter bis nahe dem absoluten Nullpunkt von 0 Kelvin (minus 273 °C) stark gekühlt werden müssen, oder wie die keramischen Hochtemperatursupraleiter teuer und aufwändig in der Verarbeitung sind (Vgl. Die gespaltene Persönlichkeit der Hochtemperatursupraleiter). Vergangenes Jahr ging in Detroit ein erstes kleines Supraleiter-Kabelnetz in Betrieb (Vgl. Widerstand ist zwecklos), aber die Suche nach einer Materialverbesserung wird weltweit intensiv fort gesetzt.

Die Entdeckung der supraleitenden Eigenschaften des günstigen und simplen Labor-Stoffes Magnesiumdiborid begeisterte 2001 die Forschergemeinde. Bob Cava, der Supraleitungs-Experte von der Princeton-University, begeisterte sich auf der letzten Frühjahrstagung der American Physical Society für Magnesiumdiborid: "Dieses Juwel stand buchstäblich seit Jahrzehnten in unseren Regalen."

Seither wird intensiv an dem neuen Material, das bei 39 Kelvin (minus 234 °C) supraleitend wird, geforscht und bis Mai 2002 waren bereits über 400 wissenschaftliche Artikel zu verschiedensten Aspekten veröffentlicht (Vgl. Magnesium Diboride Superconductors). Inzwischen sind auch erst Versuche erfolgreich verlaufen, MgB2 in Form von Drähten zu verarbeiten.

Außerdem wurden verschiedenste Forschungsprojekte gestartet, um die Eigenschaften und Verhaltensweisen des intermetallischen Materials besser zu verstehen. In reiner Form ist es ein Pulver, das aus Kristallen besteht, die strukturell parallele Ebenen bilden und an ein Sandwich erinnern. Die Boratome liegen als hexagonale "Bienenwaben" in den Ebenen, in deren Mitte finden sich die Magnesiumatome (Vgl. High-Pressure Study of the 40 K Superconductor MgB2).

In Nature stellen jetzt Hyong Joon Choi, David Roundy, Hong Sun, Marvin L. Cohen von der University of California und Steven G. Louie vom Lawrence Berkeley National Laboratory in Berkeley ihre Berechnungen zu den Ursprüngen der speziellen supraleitenden Eigenschaften von MgB2 vor. Sie untersuchten die Energie bei der Bildung der Paare, die die Spannung tragen. Vereinfacht kann man sagen, dass ein Elektron mit dem Gitter in Wechselwirkung tritt und es deformiert. Ein zweites Elektron "bemerkt" den "Knick" im Gitter und nutzt diese Deformation aus, um seine Energie zu erniedrigen. Der Gitterzustand ist eine Überlagerung von Eigenschwingungen. Die zwei Elektronen haben also ihre gegenseitige Abstoßung überwunden und sind über den virtuellen Austausch von Phononen gekoppelt. Das Material verliert seinen elektrischen Widerstand und wird zum Supraleiter. Der Indikator ist die Bindungsenergie zwischen dem Paar und er wird Energielücke genannt (englisch: gap), das ist der Bereich in dem keine Energiezustände für Elektronen existieren.

Das Team baute auf Forschungen auf, die gezeigt hatten, dass die Elektronen in MgB2 möglicherweise multiple Energielücken aufweisen. Das Team um Choi berechnete aufgrund der Daten der atomaren Eigenschaften sowie der Gesetze der Physik die Energielücken und ihre Effekte. Sie konnten aufzeigen, dass es zwei sind und das darauf auch die speziellen supraleitenden Eigenschaften von MgB2 beruhen. Sie postulieren für das Material die Struktur der doppelten Energielücke (double-energy-gap).

Warren Pickett von der University of California in Davis zeigt sich in seinem begleitenden News-and-Views-Artikel in Nature beeindruckt und er prognostiziert:

Es ist klar, dass MgB2 eine neue Art von Supraleiter ist und möglicherweise leiten andere intermetallische Verbindungen auf die gleiche Weise. Eine andere neue Art ist die kleine Klasse von Ferromagneten, die supraleitende Eigenschaften zeigen - etwas, das lange unmöglich schien. Es sieht so aus, dass wir uns nur darauf verlassen können, dass neue Supraleiter weiterhin in unerwarteter Weise auftauchen.