Die gespaltene Persönlichkeit der Hochtemperatursupraleiter
Von der d-Welle auf die s-Welle
Physiker der Ohio State University und der NTT Basic Research Laboratories in Japan haben entdeckt, dass Kuprate unter bestimmten Bedingungen gezielt in zwei unterschiedliche Formen der Supraleitung gebracht werden können.
Supraleitung bezeichnet die widerstandsfreie und damit praktisch verlustfreie Leitung elektrischen Stroms. Das Phänomen tritt bei sehr niedrigen Temperaturen auf, wobei das Material eine entscheidende Rolle spielt. Die so genannte Sprungtemperatur ist der Punkt, an dem ein Ausgangsstoff seine supraleitenden Eigenschaften zeigt. Vor hundert Jahren entdeckten Wissenschaftler, dass die Sprungtemperatur von metallischen, konventionellen Supraleitern nahe dem absoluten Nullpunkt von 0 Kelvin (minus 273 °C) liegt. Mitte der 80er Jahre wurden dann die Hochtemperatursupraleiter, kristalline Keramik-Materialien, entdeckt. In der Folge wurden Kuprate erforscht, die als Supraleiter auf Kupferoxid-Basis Übergangstemperaturen unterhalb von 90 Kelvin (minus 183°C) aufweisen. Diese Temperaturen können vergleichsweise unaufwändig durch Kühlung mit flüssigem Stickstoff stabil gehalten werden.
Furore macht seit vergangenem Jahr außerdem der konventionelle Supraleiter Magnesiumdiborid, dessen Sprungtemperatur bei 39 Kelvin liegt (minus 234 °C ) und der als günstiger Stoff für die kommerzielle Nutzung sehr interessant erscheint (Vgl. Unwiderstehlich).
Von Anfang an gaben die Hochtemperatursupraleiter den Forschern Rätsel auf, ihre Mechanismen sind bis heute nicht vollständig verstanden (Vgl. Quanten-Salat). Eine der ungeklärten Fragen ist die "gespaltene Persönlichkeit" des Materials, denn in einigen Experimenten zeigten die supraleitenden Elektronen ein d-Wellen-Verhalten, wobei sie sich in einer Formation umkreisen, die an ein vierblättriges Kleeblatt erinnert und in anderen Experimenten s-Wellen, die dem Verhalten in konventionellen Supraleitern entsprechen, die Elektronen folgen hier der Sphäre (Vgl. Mechanismus der Hochtemperatursupraleitung. In der technischen Anwendung ist die s-Wellen-Supraleitung bei hohen Temperaturen der d-Wellen-Supraleitung überlegen. Die meisten Hochtemperatursupraleiter tendieren aber zu d-Wellen-Verhalten, was die Forscher gerne ändern würden.
Das amerikanisch-japanische Physiker-Team veröffentlichte in den Physical Review Letters ihre Ergebnisse von Untersuchungen an dünnen Kuprat-Schichten, die sich unter bestimmten Umständen in ihrem supraleitenden Verhalten von einem d-Wellen-Zustand zu einen s-Wellen-Zustand verändern. Thomas Lemberger, John Skinta, Mun-Seog Kim ,Tine Greibe und Michio Naito verunreinigten das Kupferoxid mit dem Element Cerium, einem in der Glastechnik gebräuchlichen Stoff und erreichten damit die Veränderung des Wellen-Verhaltens. Sie probierten aus, in welcher Weise sich das Verhalten des Kuprats ändert, wenn immer mehr Cerium zugegeben wird.
Wenn sehr viel Cerium beigemengt wird, so dass das Kuprat gerade noch seine eigene Kristallstruktur aufrecht erhalten kann, dann schaltet es in seiner supraleitenden Eigenschaft von der d- auf die s-Welle um. Das Teammitglied Lemberger erläutert:
Es sieht so aus, dass der Mechanismus für s-Wellen- und d-Wellen-Verhalten immer im Material präsent ist, wenn also das d-Wellen-Verhalten unterdrückt werden kann, wechselt das Kuprat automatisch zur s-Welle.
Bisher standen sich unter den Wissenschaftlern zwei Fraktionen gegenüber, die jeweils annahmen, Kuprate wären von ihren Grundeigenschaften her entweder s-Wellen oder d-Wellen-"Persönlichkeiten". Die Physikergruppe ist überzeugt, dass die lange Diskussion um die "wahre Natur" der Hochtemperatursupraleiter nun zu einem Ende kommt. Lemberger meint dazu:
Unsere Arbeit überbrückt den Gegensatz zwischen den Lagern. Wir schlagen vor, dass es nur eine Frage der entsprechenden Zusammensetzung ist.