Quanten-Salat

Hochtemperatur-Supraleiter bleiben rätselhaft: die granulare Struktur unter dem Raster-Tunnelmikroskop

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In konventionellen Supraleitern ist die Verteilung und das Verhalten der leitenden Elektronen auf der Quantenebene bemerkenswert gleichförmig. Sie sind geradezu unerbittlich perfekt und das gilt auch als eines ihrer Definitionsmerkmale. Ganz anders sieht das allerdings bei den Hochtemperatur-Supraleitern, wie den Kupferoxiden aus.

Topografie des Hochtemperatur-Supraleiters Bi-2212, Bi2Sr2CaCu2O8+delta, Bild: University of California

K.M. Lang, V. Madhavan, J.E. Hofmann und J. C. Davis von der University of California, Berkeley sowie E.W. Hudson vom Lawrence Berkeley National Laboratory und H. Eisaki, S. Uchida vom Department of Superconductivity der University of Tokyo haben, wie in der neuesten Ausgabe von Nature schreiben, den Hochtemperatur-Supraleiter Bi-2212 (Bi2Sr2CaCu2O8+delta) untersucht und erstmals dessen granulare Struktur auf der Nanometer-Skala realisiert.

Eine der seltsamen Eigenschaften der Hochtemperatur-Supraleitung ist es, dass in den Materialien supraleitende, isolierende und andere elektronische Zustände gleichzeitig existieren können. Das internationale Team von Physikern nutzte das Raster-Tunnelmikroskop (Englisch: Scanning Tunnelling Microscope - STM), mit dem atomare Strukturen einer Materialoberfläche abgebildet werden können. Lang und Kollegen verunreinigten das Material mit Nickelatomen als eine Art Marker. Es gelang ihnen so, im Nanometerbereich nachzuweisen, dass es in dem Supraleiter sowohl leitende wie nicht-leitende Regionen gibt.

Bi-2212 hat eine scheinbar perfekte Kristallstruktur. Trotzdem gibt es deutlich voneinander getrennte supraleitende Bereiche, die wie isolierte Inseln in einem Elektronenmeer mit gänzlich anderen Eigenschaften liegen. Die Supraleitfähigkeit, die dennoch insgesamt gegeben ist und das Material charakterisiert, scheint durch die starken Wechselwirkungen zwischen den Elektronen der beiden unterschiedlichen Bezirke zu entstehen. J.C. Davis erläutert, warum das Material trotzdem insgesamt den Strom ohne Widerstand transportiert:

"In unterdotiertem Bi-2212 haben wir auf der Nanoskala Kornbereiche gefunden, die offensichtlich supraleitend und in einen elektronisch unterscheidbaren Hintergrund eingebettet sind. Obwohl der Zustand dieses Hintergrund nicht-supraleitend zu sein scheint, könnte trotzdem makroskopische Supraleitung durch den Josephson-Tunneleffekt auftreten. Weil die [supraleitenden] Bereiche so nahe beieinander liegen, ist es wahrscheinlich der quantenmechanische Josephson-Tunneleffekt, der durch die trennenden, nicht-supraleitendenden Bereiche hindurch die weit reichenden supraleitenden Eigenschaften dieses Materials ermöglicht."

Beim Josephson-Tunneleffekt (vgl. Quanteninterferenzen) durchdringen ("tunneln") Teilchen eine schmale "Tabu-"Zone, obwohl dort die potenzielle Energie höher ist als die kinetische Energie des Teilchens. Die nach der klassischen Physik zu erwartende Reflexion des Teilchens findet nicht statt.

Das Raster-Tunnelmikroskop zeigt bei einer undotierter Probe die körnförmige Verteilung der supraleitenden Bereiche vor einem isolierenden Hintergrund. Bild: Lawrence Berkeley National Laboratory

In seinem begleitenden News&Views-Artikel in der gleichen Ausgabe von Nature vergleicht Jan Zaanen von der niederländischen Universität Leiden die quantenmechanischen Vorgänge in Bi-2212 mit einer Salatsoße. Auf der Quantenebene existieren die supraleitenden und die nicht-supraleitenden Bereiche in dem Kupferoxid nebeneinander wie Öl und Essig in einer Vinaigrette, die genau betrachtet getrennt bleiben. Der Essig wird nach dem Vermischen zu kleinen Blasen, die in einem Meer aus Öl schwimmen. Wenn der Essig für die Supraleitfähigkeit steht, dann ist die ölige Matrix ein geheimnisvoller Zustand von Materie, die bereits bekannte, aber nun neu definierte Pseudoenergielücken-Phase (Englisch: pseudo gap phase).

So sieht jedenfalls das neue Bild nach den Entdeckungen von Lang und Kollegen aus. Was bisher beobachtet wurde, entspricht dem Essig, es schien so, als sei die ganze Soße Essig, da das Material insgesamt supraleitend funktionierte. Das Öl blieb sozusagen unsichtbar und wurde jetzt erst durch die Analyse mit dem Raster-Tunnelmikroskop ans Licht gebracht.

Bisher waren immer hinzugefügte Verunreinigungen bzw. Fehler der Kristallstruktur - im Salatsoßenbild Fettplocken - ins Visier der Forscher geraten. Durch den Josephson-Tunneleffekt verbinden sich die Essigtropfen in ihrem Verhalten zu einer Einheit, die letztlich zum widerstandslosen Fließen des Stroms führt.

"Studien wie diese enthüllen eine erstaunliche Vielfalt im Verhalten dieser mysteriösen Elektronensysteme in Nanometerbereich", meint Zaanen. "Vielleicht werden wir eines Tages das reiche Leben der Elektronen in Hochtemperatursupraleitern in der Nanowelt auch zähmen und nutzen können. Wir decken nicht nur ein Geheimnis auf, sondern werden Zeuge der Geburt einer neuen Grenze des Nanowissenschaft."