"Das wird die Stimmung im Parlament verändern"
Rechtskonservative, Rechtspopulisten und Rechtsextreme dürften zu den Gewinnern der Europawahl zählen
Seit den letzten Wahlen zum Europaparlament im Jahr 2004 haben rechte Parteien jenseits des traditionellen Konservatismus in vielen Mitgliedsländern der Union ihre Stellung ausgebaut. Zusätzlichen Auftrieb gibt ihnen die Wirtschaftskrise. Deshalb können sie am 7. Juni mit Stimmengewinnen rechnen.
Mit Slogans wie „Asylbetrug heißt Heimatflug“, „Echte Volksvertreter statt EU-Verräter“ oder „Abendland in Christenhand“ will die FPÖ den 7. Juni zum „Tag der Abrechnung“ machen. Die British National Party hofft hingegen vom Korruptionsskandal in Großbritannien zu profitieren und wirbt mit „Punish the Pigs“. Die polnischen Kaczynski-Brüder spielen derweil mit ihrer Partei PIS mal wieder die Deutschland-Karte. Sie meinen im EU-Wahlprogramm von CDU und CSU revanchistische Tendenzen entdeckt zu haben, die „im Grunde eine Infragestellung der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges und der Grenzen“ bedeuten, und betreiben mit dem Schüren von Ressentiments Stimmenfang, während die ungarische Jobbik unter ihrer Spitzenkandidatin für Straßburg, der Strafrechtsprofessorin Krisztina Morvai, die Wähler mit dem Thema „Law and Order“ im Allgemeinen und „Zigeunerkriminalität“ im Besonderen mobilisiert.
Schlechte Aussichten
Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit, Ablehnung der EU, ein „Nein“ zum Beitritt der Türkei, Anti-Establishment-Rhetorik, kompromisslose Härte in Fragen äußerer und innerer Sicherheit - mit diesem „Programm“ stellen sich die Rechten dem Wahlvolk und haben gute Chancen, mehr Mandate zu erringen als 2004.
Viele der einschlägigen Parteien haben seit der letzten Europawahl bei den Urnengängen in ihren Heimatländern bedeutende Stimmengewinne erzielt, und die Wirtschaftskrise treibt ihnen zusätzlich Wähler zu. In den neuen EU-Ländern profitieren sie zusätzlich von der gestiegenen Zahl der „Transformationsverlierer“ und einer gewissen politischen Orientierungslosigkeit, die sich nach dem Erreichen des Klassenzieles „Beitritt“ ausgebreitet hat.
Von „technokratischem Nihilismus“ bei den etablierten Kräften spricht der ungarische Liberale Gábor Fodor in diesem Zusammenhang. Darüber hinaus verbessert die allem Anschein nach äußerst niedrige Wahlbeteiligung und das Verhältniswahlrecht die Ausgangslage für das rechte Lager.
Der Journalist Carsten Hübner, der für die Linkspartei eine Bestandsaufnahme des rechten Lagers vor der EU-Wahl vorgenommen hat, rechnet mit bis zu 120 Abgeordneten des rechtskonservativen bis rechtsextremen Spektrums im neuen Parlament, womit sich ihre Anzahl fast verdoppelt hätte. „Das wird die Stimmung im Parlament verändern“, prophezeit Hübner. Der PR-Gigant Burson Marsteller, nicht nur wegen seines Engagements für Militärdiktaturen übel beleumundet, kommt in seinem Predict 09.EU auf 110 Mandatsträger dieser Couleur.
Gemäßigt nationalistische und fremdenfeindliche Parteien, die keinen Bruch mit dem System anstreben und auch Kooperation mit liberalen und konservativen Kräften nicht ablehnen, legen nach dieser Prognose, deutlich zu. Für die erstmals antretende Liste des ehemaligen belgischen Judo-Nationaltrainers Jean-Marie Dedecker sagt sie 6,8 Prozent und 2 Sitze voraus, für die bulgarische GERB, dessen Vorsitzender Bojko Borisov, der einst eine Personenschutzfirma betrieb und als Zaren-Leibwächter arbeitete, 33 Prozent und sechs Sitze (+1), für ihre populistischere Schwester RZS 7 Prozent und einen Sitz und für die Dänische Volkspartei 12 Prozent und 2 Sitze (+1). Die nicht zuletzt mit Warnungen vor „unkontrollierter Einwanderung“ gegen die EU Front machende United Kigdom Independance Party stellt Burson Marsteller 12 Prozent und 6 Sitze (-6) in Aussicht, den Wahren Finnen elf Prozent und einen Sitz, dem holländischen Anti-Islam-Kreuzzügler Geert Wilders und seiner Freiheitspartei 13 Prozent und 3 Sitze, der österreichischen FPÖ-Abspaltung BZÖ 7,3 Prozent und einen Sitz und der PIS-Partei der Kaczynskis 33 Prozent und 16 Sitze (+9).
Die offen völkisch-nationalen Parteien verlieren dagegen gemäß „Predict 09.EU“ etwas an Zustimmung. Der Vlams Belang aus Belgien erreicht demnach 9,6 Prozent und 2 Sitze (-1), der wallonische Front-National-Ableger 5,1 Prozent und einen Sitz (+1), die bulgarische Ataka 8,5 Prozent und einen Sitz (-2), Le Pens Front National 5,5 Prozent und 3 Sitze (-4). Die griechische Laikos-Partei kann nach den Wahlforschern mit 8,1 Prozent und 2 Sitzen (+1) rechnen, die Lega Nord mit 7,3 Prozent und 6 Sitzen (+2), die FPÖ mit 15,1 Prozent und drei Sitzen (+2) und die rumänische Partidul Romania Mare mit 5,5 Prozent und 2 Sitzen. Der polnische Ableger der irischen LIBERTAS, gegründet vom EU-feindlichen Millionär Declan Ganley, in den die bisher mit 10 Abgeordneten im Parlament vertretene „Liga Polskich Rodzin“ aufgegangen ist, erlangt nach der Prognose nicht die erforderliche Prozentzahl und verliert alle Mandate.
Diese Vorhersage für die Rechte jenseits des traditionellen Konservatismus erscheint noch eher vorsichtig. So liegt beispielsweise Wilders Freiheitspartei nach aktuellen Umfragen schon bei 20 Prozent. Die nicht aussichtslose antizionistische Liste des französischen Komikers Dieudonné hat „Predict“ noch gar nicht auf der Rechnung. Und auch die Prognose, das es keine rechtsextreme Partei ins Europaparlament schafft, dürfte allzu optimistisch ausgefallen sein. Die British National Party wird neueren Umfragen zufolge wohl ebenso nach Straßburg kommen wie die ungarische Jobbik.
Das gesammelte rechte Lager kann sich bei ihrem Einzug ins Parlament zudem auf einen deutlich erweiterten Aktionsradius freuen, sollte der Vertrag von Lissabon in Kraft treten. Dieser stärkt nämlich die Macht der Institution. Hatte Straßburg bisher nur in den Bereichen Umweltpolitik, Verkehr, Verbraucherschutz, Binnenmarkt und Migration ein Mitentscheidungsrecht, so dehnt das Vertragswerk die Kompetenzen auf die Sektoren Inneres und Justiz aus.
Neue Fraktionen
Unabhängig von der Treffsicherheit der Prognosen kommt nach dem 7. Juni auf der rechten Seite des Straßburger Parlaments so einiges in Bewegung. Die gegenwärtig viertstärkste Fraktion Europa der Nationen (UEN), bestehend aus der Alleanza Nationale, der Lega Nord, der PIS, der Dänischen Volkspartei und anderen Kräften, die den Primat des Nationalen vor dem Internationalen betonen, löst sich in ihrer bisherigen Form auf. Die Alleanza Nationale, die acht UEN-Abgeordnete stellte, geht nämlich in Berlusconis „Popolo della libertà“ auf - wobei nicht ganz klar ist, ob die AN nach links oder vielmehr Berlusconi nach rechts gerutscht ist - und damit in der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP). Die PIS verlässt die UEN ebenfalls und bildet mit den britischen Konservativen und der tschechischen ODS von Vaclav Klaus eine neue, rechts von der EVP angesiedelte Fraktion von EU-Skeptikern.
Die verbliebenen UENs rechnen mit Neuzugängen von der österreichischen BZÖ, der belgischen Dedecker-Liste sowie der Freiheitspartei Geert Wilders‘. Das reicht aber noch nicht aus, um wieder Fraktionsstärke zu erlangen, was Zugang zu mehr Geld, mehr Personal und mehr Einfluss verheißt. Deshalb könnte das „Europa der Nationen“ Verstärkung aus den Reihen der rechtsextremen Fraktion „Identität, Tradition, Souveränität“ (ITS) bekommen. Die ITS, politische Heimat unter anderem des Front National, des Vlams Belang, der bulgarischen Ataka und der FPÖ, war selbst auch einmal kurz eine Fraktion, verlor diesen Status aber, nachdem die Mussolini-Enkelin Alessandra Mussolini die rumänische PRM mit dem Spruch „Rauben ist für die Rumänen zu einem Lebensstil geworden“ zum Verlassen der ITS bewogen hatte. Auch die Wahl am 7. Juni dürfte den Verbliebenen trotz zu erwartender Zugewinne nicht wieder zu dem verlorenen Glück verhelfen, was den Wechsel zur UEN als eine realistische Option erscheinen lässt. Würden beide Seiten aus pragmatischen Erwägungen heraus ihre Berührungsängste überwinden, so entstände auf europäischer Ebene erstmals eine Allianz zwischen Rechtspopulisten und Rechtsextremen.
Was bisher geschah
Die UEN-Fraktion ist in Straßburg mit ihren 43 Mitgliedern fester Bestandteil des EU-parlamentarischen Betriebs. Der Abgeordnete Adam Bielan (PIS) bekleidet das Amt des Parlamentsvizepräsidenten, und sein Kollege Marcin Libicki sitzt dem Petitionsausschuss vor. Zudem gehören UEN-Mandatsträger vielen Delegationen an. Dazu haben es auch ITS-Kandidaten gebracht.
Eine besonders geschickte Wahl hat dabei der FPÖler Andreas Mölzer getroffen. Er hat sich einen Posten in der Türkei-Delegation verschafft, um dort den Beitritt sabotieren zu können und betreibt dieselbe Obstruktionspolitik im Verfassungsausschuss. Auf seiner Webpage dokumentiert er akribisch seine Reden (368), schriftlichen Erklärungen (24) und Anfragen (111), um seinem Ruf als faulster EU-Parlamentarier entgegenzuwirken, den ihm eine österreichische Zeitung wegen seiner vielen Fehlzeiten angehängt hatte. Andererseits verteidigt er seine Absenzen. „Ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, dort meinen Hintern breitzusitzen. Mir ist wichtig, unsere Leute zu informieren, Standpunkte deutlich zu machen und uns zu vernetzen“, sagte er in einem Interview. Und diese außerparlamentarische Arbeit hat Mölzer mit den Mitteln, die ihm als Abgeordneter zur Verfügung stehen, auch wirklich fleißig betrieben. So schmiedete er mit Vlams Belang und Vertretern der „Pro-Bewegung“ die „Städteallianz gegen Islamisierung und Überfremdung“, die entlang der „Achse Antwerpen-Köln-Wien“ auch die beiden „Anti-Islamisierungskongresse“ in Köln organisiert hat.
Auf dem rechten Auge blind
Die Europäische Union hat dem Erstarken der Rechtsparteien unbeteiligt zugeschaut. Hatten die EU-Länder nach dem Regierungsbeitritt der FPÖ im Jahr 1999 noch Sanktionen erlassen, so erfolgte im Jahr 2001 auf die Regierungsbeteiligung der Lega Nord ebenso wenig mehr eine Reaktion wie auf die Wahl in Dänemark, wo sich Anders Fogh Rasmussens Venstre-Partei die Macht sicherte, indem sie mit der Dänischen Volkspartei ein Tolerierungsabkommen schloss.
Die Berichte des European Network against Racism und der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte über zunehmenden Rassismus und Antisemitismus haben Brüssel ebenfalls nicht zum Handeln bewogen. Die Union hat zwar einen Etat für Programme gegen Rechtsextremismus, aber den verwaltet ausgerechnet der Berlusconi-Mann Franco Frattini, der in seinem Heimatland jahrelang gemeinsam mit der Lega Nord und der Alleanza Nationale regierte.
Die Interventionen der EU beschränken sich aufs Formaljuristische. So leitete sie bei dem Bestreben, das Parlament zu verkleinern und die Anforderungen an Fraktionsbildungen zu erhöhen, nicht zuletzt das Motiv, es den Rechten schwerer machen zu wollen. Und auch die Verhinderung des Super-GAUs, dass ein Le Pen als Alterspräsident die neue Legislaturperiode eröffnet und damit dem zu erwartenden Rechtsruck symbolträchtig Ausdruck verleiht, gelang ihr nur auf dem Rechtsweg: Das Europäische Parlament änderte kurzerhand die Geschäftsordnung.