Debatte um "Irexit"
Würde sich die durch einen Brexit wieder aufbrechende Nordirlandfrage durch einem Ausstieg Irlands aus der EU lösen lassen?
Als mit die schwierigste Frage bei den Brexit-Verhandlungen gilt die Nordirlandfrage: Die nach den etwas paradoxen Wünschen der Tory-Mehrheitsbeschaffer von der protestantischen nordirischen DUP im Dezember formulierte Lösung dafür soll der britischen Premierministerin May zufolge sicherstellen, dass Nordirland keine "Sonderstellung" erhält und die territoriale Integrität des Vereinigten Königreichs nicht geschwächt wird, keine Zollgrenze zwischen der britischen und der irischen Insel aufbauen, und "garantieren", dass es zwischen der Republik Irland und Nordirland keine "harte Grenze" geben wird. Wie sich das konkret verwirklichen lassen soll ist bislang weitgehend offen (vgl. "Genügend Fortschritte" bei den Brexit-Verhandlungen von May und Juncker).
Manche Beobachter rechneten mit einer neue Zollunion zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU als Lösung, was May jedoch gestern explizit ausschloss. Den Rednern, die am Wochenende auf der Veranstaltung Irexit - Freedom to Prosper in der Dubliner RDS Arena auftraten, schwebt eine andere Lösung vor: Ein Austritt Irlands aus der EU, der bislang lediglich von 28 Prozent der Iren befürwortet wird.
Farage ruft Iren zur Gründung einer neuen Partei auf
Star der Veranstaltung (die von der von der britischen UK Independence Party (UKIP) und dem italienischen MoVimento 5 Stelle gegründeten EU-Parlamentsfraktion "Europe of Freedom and Direct Democracy" organisiert wurde) war der charismatische ehemalige UKIP-Vorsitzende Nigel Farage, der offenbar auch in Irland viele Fans hat, die sein Konterfei auf T-Shirts tragen. Er sagte seinen irischen Anhängern, "jedes vernünftige menschliche Wesen" unterstütze eine Fortsetzung der Zollfreiheit zwischen dem Vereinigten Königreich und der Republik Irland - egal, was bei den Brexit-Verhandlungen herauskommt.
Dass das irische Volk 2008 den in Vertrag von Lissabon umbenannten EU-Verfassungsvertrag ablehnte und erst im Jahr darauf - und mit erheblichem Druck von außen - annahm (vgl. Das erkaufte Ja) zeigt Farages Ansicht nach, dass es auch dort viele Menschen gibt, die mit der EU unzufrieden sind. Um diesen Volkswillen zu bündeln und die aktuell kaum öffentlich diskutierten Fragen in die Medien und das Parlament zu bringen, brauche man aber eine neue Partei, weil alle etablierten für einen Verbleib in der EU plädieren.
Im Vereinigten Königreich gab Farage den Vorsitz so einer Partei auf, nachdem er sein Ziel erreicht hatte (vgl. Der Führer, der anscheinend doch keiner sein wollte). Danach versank die UKIP in relativer Bedeutungslosigkeit, was auch daran lag, dass sie sich gegen den rhetorisch begabteren Raheem Kassam und für eher mediokre Figuren wie Paul Nuttall und Henry Bolton entschied, weshalb die Tories mit Boris Johnson und Jacob Rees Mogg wieder die interessanteren Politiker hatten (vgl. Theresa May vs. Boris Johnson vs. Ruth Davidson vs. Jacob Rees Mogg).
Vom Troika-Mündel zum Nettozahler
Will Irland ein "wirklich freies Land" sein, kann es Farages Worten nach nicht in einer EU bleiben, die vor allem ein Projekt Deutschlands und Frankreichs sei. Für den Engländer ist es eine "extreme Ironie" der Geschichte, dass die Iren nach einem jahrhundertelangen Kampf um Freiheit, Unabhängigkeit und Demokratie nun nicht mehr von London, sondern von Brüssel aus regiert werden. Die wirtschaftlichen Vorteile eines Verbleibs in der EU werden seinen Worten nach von der etablierten Politik übertrieben (weil man statt mit Euro international auch mit Dollar handeln kann), aber über die Milliarden, die Irland alleine durch die via Brüssel eingeräumten Ansprüche anderer Länder zum Fischen in irischen Gewässern entgehen, rede man nicht.
Außerdem erinnerte der ehemalige UKIP-Vorsitzende die Iren daran, dass sie nach der "Demütigung" einer Troika-Verwaltung zwischen 2010 und 2013 inzwischen schon wieder zu den Nettozahlern in der EU zählen - und dass ihr Ministerpräsident letzte Woche in Straßburg einer Erhöhung der irischen Zahlungen nach Brüssel zugestimmt hat. Ohne eine grundlegende Reform, die sie wieder in ein "kooperatives Projekt" zurückverwandelt, wird die EU der Ansicht des Engländers nach ohnehin nicht überleben, weil sich gegen das derzeitige Modell auch in anderen Ländern zunehmend Widerstand regt.
Tatsächlich strebt man auch in anderen EU-Ländern Reformen an, ist aber sehr unterschiedlicher Auffassung dazu, wie sie aussehen sollen: Während EU-Kommissar Jean-Claude Juncker, der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und der deutsche SPD-Chef Martin Schulz die Transfer- und Sozialunion ausbauen wollen, möchten der neue österreichische Kanzler Sebastian Kurz und andere Staats- und Regierungschefs aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Habsburgerreiches, dass sich die EU stärker auf die Sicherung ihrer Außengrenzen konzentriert und sich aus Fragen heraushält, die die Mitgliedsländer auch alleine regeln können (vgl. EU-Reform: Juncker vs. Kurz).