Theresa May vs. Boris Johnson vs. Ruth Davidson vs. Jacob Rees Mogg
Tory-Parteitag in Manchester
Vom Sonntag bis zum Mittwoch halten die britischen Tories im nordenglischen Manchester ihren Parteitag ab. Der stößt 2017 aus zwei Gründen auf besonders großes Medieninteresse. Der erste davon ist der von den Bürgern des Vereinigten Königreichs in einem Referendum am 23. Juni 2016 beschlossene EU-Ausstieg, dessen Vollzug bislang kaum Fortschritte gemacht hat. Strittig ist unter anderem die Ablösesumme, die Großbritannien für den Ausstieg zahlen soll. Theresa Mays Angebot (20 Milliarden Euro und volle Beiträge bis März 2021) reicht den EU-Vertretern wahrscheinlich auch deshalb nicht, weil Brüsseler Politiker wie Jean-Claude Juncker den Ausstieg für andere Länder so abschreckend wie möglich gestalten wollen.
Das andere große Thema ist die Machtfrage: Kann sich die nach ihrem selbst herbeigeführten Wahldebakel im Juni schwer angeschlagene Premierministerin weiter halten? Oder zeichnet sich auf dem Parteitag ein baldiger Nachfolger ab? Mays Versuche, zur Labour Party abgewanderte Wähler mit sozialpolitischen Wohltaten zurückzuholen, scheinen bislang nicht zu funktionieren: In der YouGov-Umfrage von Ende September liegen die von Jeremy Corbyn wiederbelebten Sozialdemokraten mit 43 zu 39 Prozent inzwischen sogar deutlich vor den Konservativen. Mitte September hatte ihr Vorsprung nur ein Prozent betragen.
Nur 29 Prozent der Tories meinen, May solle bis 2022 im Amt bleiben
Insofern wundert es nicht, dass Finanzminister Philip Hammond Theresa May letzte Woche nicht klar den Rücken stärkte, als er nach seinen Wünschen zur Parteiführung gefragt wurde, sondern lediglich meinte, er beteilige sich nicht an Diskussionen dazu. Das machen dafür zahlreiche andere von YouGov im Auftrag der Times befragte Tories, von denen nur 29 Prozent meinen, May solle bis 2022 im Amt bleiben.
Kipling-Fan Johnson wirkt im Außenministerium deplatziert
Favorit für die Nachfolge ist mit 23 Prozent der exzentrisch frisierte Außenminister Boris Johnson. Der Rudyard-Kipling-Liebhaber, dem die unterhaltsame Provokation mehr zu liegen scheint als die langweilige Diplomatie, wirkt auf seinem aktuellen Posten (dem May ihm vor allem deshalb zugewiesen haben könnte, um ihn mit zeitaufwendigen Reisen von anderen Aktivitäten abzuhalten), nicht allzu glücklich. In jedem Fall ging er mit Alternativvorstellungen zu Mays Ausstiegsplänen an die Öffentlichkeit, die auch einen Ausstieg gegen den Willen der EU beinhalten, wenn Brüssel blockiert.
Nur knapp hinter Johnson liegt die schottische Tory-Chefin Ruth Davidson, der im Juni gegen den UK-weiten Trend ein großer Wahlerfolg gelang. Die offen lesbische Politikerin, die gegen einen Brexit war, gilt in mehrfacher Hinsicht als Gegenpol zu Johnson. Die Frage "How many jobs, Boris?", die sie ihrem Rivalen im Zusammenhang mit dem EU-Ausstieg im Londoner Wembley-Stadion stellte, beantwortete die Realität bislang allerdings anders, als Davidson es sich erwartet hatte: Seit dem Referendum sind nämlich nicht 500.000 Arbeitsplätze verloren gegangen, wie EU-Befürworter gewarnt hatten - stattdessen entstand eine Viertelmillion neue Jobs.
Jacob Rees Mogg: Gleichzeitig Gegenteil und Äquivalent von Jeremy Corbyn
Auf dem dritten Platz liegt mit 17 Prozent überraschend Jacob Rees Mogg, der in mancher Hinsicht das Gegenteil und in anderer Hinsicht das Äquivalent von Labour-Chef Jeremy Corbyn ist, der seinen Aufstieg ebenfalls als Außenseiter ohne großen Rückhalt beim Parteiestablishment aber mit zahlreichen Anhängern an der Basis und außerhalb der Partei begann. Das dürfte auch daran liegen, dass der 48-Jährige noch deutlich spleeniger und authentischer wirkt als Boris Johnson:
Er bevorzugt Anzüge, die aussehen wie aus einem Kostümfundus - und in einer Zeit, in der sich ein konsonantenverschluckendes Estuary bis in die Medien hinein verbreitet, spricht der auch zu politischen Gegnern ausgesucht höfliche Abgeordnete ein geschliffenes Received-Pronunciation-Englisch mit Redewendungen, bei denen selbst Muttersprachler manchmal nachschlagen müssen. Nicht zuletzt deshalb sind seine Reden keine ermüdenden Politikrituale, sondern ästhetische Vergnügen. Auf Twitter verbreitet er seine Botschaften teilweise sogar auf Latein. Selbstverständlich ist der Abtreibungs- Homo-Ehe- und EU-Gegner auch Katholik, wie eine Romanfigur von Evelyn Waugh. In The Big Bang Theory wäre Jacob Rees Mogg Sheldon Cooper, in Raumschiff Enterprise Mister Spock und in Downton Abbey die Dowager Countess of Grantham.
Obwohl ihn nicht nur der ehemalige UKIP-Chef Nigel Farage, sondern auch über 28.000 Unterzeichner der Petition Ready for Rees-Mogg dazu aufforderten, will Rees Mogg May bislang zumindest nicht offiziell herausfordern: "Würde ich meinen Hut in den Ring werfen", so der Abgeordnete dazu, "flöge er mir schnell wieder entgegen." Und dabei handelt es sich um keinen gewöhnlichen Hut, denn Rees Mogg tragt natürlich Zylinder.