Dem Markt-Kannibalen Facebook knurrt der Magen

Seite 2: Was ist eine Zeitung?

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Die Filterblasen-Diskussion kreist um die fluide und intransparente Konfiguration der auf Facebook wahrgenommenen Inhalte: Jeder sieht dort etwas anderes. Und die erwähnten Algorithmen stehen teils in dem Verdacht, nach kommerziellen oder gar politischen Gesichtspunkten Inhalte zu bevorzugen oder mindestens in der Aufreihung nach unten zu versetzen.

Von jedem traditionellen Zeitungsmenschen beklagt wird die mangelnde Qualitätskontrolle für Informationen, die so ihre Leser erreichen. Facebook ist eine Zeitung und doch wieder nicht. Verlorengegangen ist das konzeptuelle und auch gestalterische Gesicht des einzelnen Presseorgans. Alles läuft zunächst in Facebooks eigenes schlichtes Layout der Voransichten und kann von dort aus per externem Link angesteuert werden.

Bei Letzterem greift ein Mechanismus schon der alten Welt: Niemand liest eine Zeitung oder ein Magazin, das er kauft oder geschenkt bekommt, ganz. Das meiste wird nur als Überschrift und ggf. Anreißer wahrgenommen. Was für das Zeitunglesen meist unüberprüfbar bleibt, zeigt sich Web-basiert heute in exakteren Klickzahlen des einzelnen Beitrags. Und die notwendige Oberflächlichkeit des Überfliegens der Neuigkeiten verlagert sich für die betreffenden Nutzer dann eben gänzlich auf Facebook: Wer den Link nicht anklickt, hat das, was er gelesen hat, ausschließlich auf Facebook gelesen und hinterlässt auf der ursprünglichen Quelle keine Datenspur, ergo auch keine Klickzahlen, die sich noch in Werbetantiemen verwandeln ließen.

Aus dem Trend zur Personalisierung hat Facebook also für seine Nutzer jene für Presse-Erzeugnisse primär auf seine Plattform verlagert - die die Inhalte nicht selbst produzieren muss, die neben Buchstaben sogar urheberrechtlich geschützte Bilder billionen- oder billiardenfach von anderen Quellen absaugt und von eigenen Servern her wiedergibt.

Des Facebook-Gründers Mark Zuckerbergs letzter Move ging hin zum Angebot an die Zeitungsverleger, eine eigene Rubrik für "Qualitätsjournalismus" zu schaffen, die auch entsprechende Monetarisierungen erlauben würde. Ob sie kommt und wie man sie gestaltet, bleibt abzuwarten.

Abzusehen ist, dass sich damit neuer Gesprächsstoff ergibt über eine solche Definition von "Qualität". Auch in dem Versuch, inhaltliche redaktionelle Standards rudimentär wieder einzuführen, indem Initiativen wie "Correctiv" auf Facebook Sachinformationen prüfen und ggf. ausflaggen oder löschen sollen, lagen und liegen entsprechende Problematiken, die ein eigenes Thema sind.

Facebook-Scheu der Akademiker

Wer sich in privaten Umfeldern von Akademikern umhört, begegnet zwei grundsätzlichen Typen: Nutzern und (gefühlt eher:) Nicht-Nutzern. Teilweise skurril die Erfahrungen mit Lehrenden relevanter Fachgebiete, die sich bisher kaum einmal auf Facebook trauten. Was die 2014er Statistik besagt, kann der Autor dieser Zeilen bestätigen: Facebook oder Twitter sind für höher Gebildete in Deutschland seltener ein Thema. Schnell werden abschätzige Meinungen deutlich: Facebook als Treffpunkt der Wutbürger, als Verbreitungsmaschine für Desinformation. Man lobe sich dagegen doch nach wie vor ZEIT, FAZ & Co. Und man habe auch nicht für alles die Lebenszeit.

Aus dem Letzteren folgt wohl auch die immer wieder sichtbare Praxis mancher Akademiker, neben dem einfachen Link auf andere Web-Inhalte, in erster Linie journalistische Organe, die gedruckte Zeitung mit deren Exklusiv-Inhalten beispielhaft abzufotografieren, um sie zu teilen und zu kommentieren. Das lässt sich inhaltlich immer rechtfertigen, ist dabei aber vielleicht auch eine besondere Geste des Hinüberrettens bildungsbürgerlicher Standards in den Massenbetrieb immer schneller zirkulierenden Contents - einseitig von allen möglichen Orten außerhalb hin zu der für jeden Einzelnen passwortgeschützten Plattform Facebook.

Vom Prinzip her ist das Verhaltensmuster der deutschen Akademiker nicht unbedingt überzeugend: War eine damals noch utopische Forderung von Jean Baudrillard in "Requiem für die Medien" (1972), es solle für den früheren Nur-Empfänger die "Möglichkeit einer Antwort" in umgekehrter Richtung des Kanals geben, löst Facebook diese Forderung eines marxistisch geprägten Kulturphilosophen im Prinzip vollends ein. Die Zensur-Tendenzen i. w. S. halten sich heute noch in jenen Grenzen, die dies zu sagen erlauben.

Die Scheu der deutschen Akademiker ist in dieser Hinsicht wohl nur die Fortsetzung einer elitären Arroganz, die einen Fetisch mit veralteten Trägermedien hat und deshalb Erneuerung als solche scheut - und damit erneut den eigenen vorgeschobenen Präferenzen (im Einklang mit intellektuell konsequenten, zeitgemäß-geschichtsbewussten, theoretisch fundierten Konzepten zu sein) zuwiderhandelt.

Die Nutzer-Typologie war hier anzusprechen, weil das Akademiker-Defizit des deutschen Facebook einer gewissen Trägheit auf der allgemeinen Ebene der Frage nach Facebook als Markt-Kannibalen entspricht. Zusätzlich durch das öffentlich-rechtliche Rundfunk-System ist Deutschland noch in der Lage, dass heutige Journalisten und Funktionäre seit Jahren diskutieren, wie sie ihre leitende Position verteidigen oder bereits erst wieder zurückzuerobern hätten. Es überwiegt immer noch das unweigerliche Bewusstsein des Etablierten, es ‚doch noch schaffen zu können‘. Nicht nur darüber schwebt seit vielen Jahren der Nebentitel eines Christoph-Schlingensief-Films von der "letzten Stunde im Führerbunker". Wunderhoffnungen treten freilich überall auf, wo die Lage vergleichbar ist.

Diagnostiziert man hochnäsig die besagten "Filterblasen" bei den zu hütenden Schafen vor den einst so unverrückbaren Endgeräten, schwebt man selbst in einer solchen, auch wenn sie gelegentlich individuelle Design-Preise gewinnt und mit dem einen oder anderen nach herkömmlicher Art klangvollen Namen der Edelfeder versehen ist. Nicht alles an dieser Selbstsicht ist ungerechtfertigt - und die Internet-Welt von vielen amateurishen Inhalten geprägt, wie auch alten und neuen manipulativen Interessen, die in mancher Hinsicht nur durch einen hochsubventionierten Medienbetrieb konterkariert und gemieden werden können. Wo Letzterer heute steht, dafür liegen keine inhaltsanalytisch-statistischen Werte vor.

Wie ‚gut‘ sind die Programme - nach welchen Kriterien? Die erkenntnistheoretische Frage ist kein Selbstzweck und keine Dekoration. Sie betrifft das Innerste des Verhältnisses eines optional zahlenden Kunden zu seinem Produkt, eines Lesers zu einem Text und seinen Ideen. Teils fehlt dem etablierten Betrieb seit jeher eine wiederum unabhängige kritische Instanz. Nach manchen Maßstäben sind vielleicht Kulturverluste eingetreten. Fortschritte gerade im Zugriff auf Archive sind aber unleugbar, der Zugang zu einem und demnach auch Stand von einem verbreiteten, jedenfalls eben zugänglichen Wissen i. w. S. ist heute so hoch wie nie.

Facebook ist in diesem Kontext ein seltener Fall, in dem strukturelle Avanciertheit eines sozial-kommunikativen globalen Netzwerks auf eine offensichtliche Borniertheit gerade der deutschen Intellektuellen trifft. Sie nutzen eine Hauptprägung ihres avanciertesten Mediums nicht. (Bitte nicht zu verstehen als Facebook-Apologie oder -Werbung. Aber was bitte wäre Baudrillards "Möglichkeit einer Antwort" anderes - als Wort, Ton, Bild - denn das von Zuckerberg gegründete Projekt? Was sollte es auf nicht ortsgebundener Ebene denn anderes sein - und wie sind ein paar der gravierenden Gefahren von Facebook, wie Monopolisierung, Möglichkeit von Manipulationen, denn zu verhindern? Wäre nach ihrer Verhinderung dann die Kommunikationsutopie eingelöst?)

Was negative Aspekte von Facebook angeht, so sind sie Teil des einzigen Vorteils neben seiner Ignorierung und Nicht-Nutzung. Wer Facebook meidet, dient eben keinerlei Geschäftsinteressen von Zuckerberg. Er setzt sich nicht einer Big-Data-Auswertung seiner Lebensgewohnheiten aus. Er kommt ggf. nicht vom geraden Weg der sorgsam ausgewählten, geprüften und handwerklich perfekt präsentierten Information ab.

Was an der teilweisen Ausgrenzung und Diffamierung der sozialen Medien als Orten der "Hassrede" oder auch nur des Zeitverlustes begründet ist, ändert jedoch nichts daran, dass Facebook eine vorläufig vollendete Tatsache kommunikativer Vernetzung ist. Sie hat schon größere Teile der journalistischen Produktion entwertet. Modellrechnungen schieben vielleicht noch nach, dass durch Gewährung von Gratis-Content eben dieser oder jener Werbeeffekt für das kostenpflichtige Produkt erreicht sei. Eine Monetarisierung von Inhalten auf Facebook durch externe Anbieter wäre eine weitere Milderung - in hier nicht zu bestimmender Verhältnismäßigkeit zu den goldenen Zeiten der Zeitung. Wahrscheinlich ist aber eine bleibende Verschiebung, wenn nicht fast gänzliche Verlagerung der Vermittlungsautorität und Wertschöpfung hin zu den Plattformen.

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