Dem Markt-Kannibalen Facebook knurrt der Magen

Seite 3: Werbeschleuder, Big Brother oder Zukunft der Commons?

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Etablierte Verlage haben mit "Blendle" u. a. eigene Plattformen geschaffen, deren langfristiger Erfolg abzuwarten bleibt. Neben der Sozialstruktur der Nutzer und ihres gesellschaftlichen Wirkungskreises kommt es auch noch auf zukünftige Wohlstandsentwicklungen an, ob selbst Entschlossene dann tatsächlich den bezahlten Content werden bezahlen können. Jeder, der sparen muss, fällt auf die einstweilen vorrätigen Gratis-Inhalte des Netzes zurück, die über Websites und deren RSS-Feeds in stets überreichlichen Mengen vorhanden sind.

Es liegt nicht an Facebook allein, ob die heute schon großflächig eingetretene Gratis-Gabe von Medien-Inhalten sich noch vervollständigt - hin zu neuen Wirtschaftsformen, in denen Güter teils nicht mehr bezahlt, im Übrigen von wenigstens teilweisen Grundeinkommen existiert wird. Von einer "Wissensallemende" war vor Jahren öfter die Rede. Die Übertragung der älteren Archive in "Commons" an teils zentralen Orten wie "archive.org" oder auch Wikipedia kann man heute nicht genau quantifizieren. Aber je nach Medienart von Text, Ton, Bild und Wissenstypen liegen etwa Schulwissen und Studiengänge sehr weitgehend digital vor, Klassiker dann frei verfügbar oder wenigstens gegen Gebühr zu bestellen oder streamen.

Auf Facebook kommt mit Personalisierung der Überwachungsaspekt hinzu, der mit der Kommerzialisierung verschränkt ist. Der prinzipiell eingelösten Kommunikationsutopie steht der wirtschaftliche Pragmatismus gegenüber - wie auch eine uneinschätzbare Gesamtheit von politischen und überwachungstechnischen Projekteigenschaften. Hätten Geheimdienste Facebook nicht erfunden, so ist es ihnen heute immer noch ein notwendiges bzw. folgerichtiges Instrument wie die Ortung per GPS oder ein digitalisierter Telefonverkehr. Die Option von Totalüberwachung auch des Einzelnen ist jedenfalls intensiv gegeben, wenn und wo sie nicht in eigentlich illegalen öffentlich unbekannten Dimensionen schon genutzt wird.

Das Ende der Giganten oder apokalyptischen Reitern der Märkte und Kommunikationsdienste ist also nicht in Rede - schon gar nicht systemisch. Es wurde skizziert, dass Übernahmen schon äußerst weit gediehen, weiterhin teils zwangsläufig sind - ob letztlich von denselben oder anderen Akteuren und Firmen getragen, ist irrelevant. Einer wird stets die in der Technik liegenden Möglichkeiten weiter ausbauen. Strukturell sind die Fortschreibungen nicht willkürlich - von der Trendforschung derzeit angezeigt als Personalisierung und Konsumierbarmachen, interaktiv zu erfahrenes Medium. (Es sei denn, es müsste aufgrund von Rohstoffmangel und/oder gesellschaftlichem Zerfall Computer-Technologie als solche zurückgebaut oder aufgegeben werden - das wäre die einzige andere Alternative der Medienentwicklung.)

Facebook oder ein anderes Label wird auf Projekten dieser Art prangen. Wenn es Fernkommunikation und ein in diesem Sinne jedenfalls lebendiges Medium, eine funktionale Plattform überhaupt geben soll, ist dagegen keine Existenzfrage zu erheben. Ein solches System kann (statt vermieden) nur angepasst, auch gesetzlich reguliert, im Zweifelsfall und bei politischem Willen irgendwann offen verstaatlicht werden.

Dass die offizielle Form der großen Unternehmen privatwirtschaftlich deklariert ist, ergibt fortgesetzt die Notwendigkeit, sich mit Monopolisierung und Manipulationen auseinanderzusetzen. Der medienethische und qualitative Status ist etwa im Fall der Wikipedia noch auf andere Weise prekär. Für die großen Plattformen der Wissensproduktion und Kommunikation ist ein teils begrüßenswerter und historisch neuer Zustand erreicht.

Schwer wägbarer Zustand der Medienproduktion

Die Bezeichnung von Facebook als einem Kannibalen der medialen Kommunikation sollte gerechtfertigt sein vor dem Hintergrund, dass das Prinzip "geteilter Inhalte" nicht nur kostbare Güter etablierter Produzenten entwertet hat, sondern auch Laien oder freigesetzte Profis unweigerlich dazu zwingt, beim Anbieten von Content dieselbe Plattform zu nutzen, um über eigene Seiten und Verlinkungen überhaupt noch präsent zu sein.

Was als Buch nicht über amazon bestellbar ist, ist so fernab vom Kunden wie nicht auf Facebook verlinkte Presse- oder anderweitige Seiten und audiovisuelle Inhalte. Wieviel und wieviel mehr aber insgesamt produziert wird, welche Vergütungsarten es dafür gibt und wie es betroffenen Produzenten und Anbietern damit geht, wird für die Öffentlichkeit immer nur schlaglichtartig deutlich.

Dass journalistische Arbeitsplätze zu vielen Tausenden schon abgebaut sind, ist unstrittig. Einzig Spielfilme, Film-Serien und komplexe Computerspiele oder nicht so leicht per Copy & Paste übertragbare gedruckte Comics sind als Medieninhalte von der Kannibalisierung noch eher ausgenommen.

Ansonsten landen Texte und Bilder teils sogar 1:1 im Beitragsfeld des Facebook-Nutzers oder wandern in privat verschickte E-Mails, die auch größere Verteiler erreichen. Das Modell eines nach klaren Definitionen monetarisierten Medieninhaltes hat sich aufgelöst. Der einzige ökonomische Gewinner ist dabei etwa der Betreiber von Facebook - für Text, Bild, Ton und Video nur noch vergleichbar mit Twitter, YouTube und Wikipedia. Weitere Archiv-Funktionen haben Google oder das erwähnte archive.org mit seiner "Way Back Machine" für anderweitig gelöschte Netz-Inhalte. Bei vielem blieben Urheberrechtsfragen ungelöst und auch noch geografisch völlig zerklüftet.

Der disruptive Effekt der Facebook-Etablierung ist ein Hauptbeispiel für eine medienwirtschaftlich neue Entrechtung von Inhaltsproduzenten. Hier wurden einige Sprachbilder noch vermieden, die genauso treffend wären wie der Kannibalismus - und ähnlich drastisch in Entsprechung zu einer Drastik, die am deutlichsten etwa "arbeitslose" Journalisten zu spüren bekommen (wie durch das Internet generell auch Musiker und alle, die kommunikativ, wissensbasiert und mit in digitalen Daten kopierbaren Inhalten arbeiten).

Die Betreiber von Facebook und den anderen größten Plattformen sind die Etappensieger in einer Medien-Evolution und -Revolution, in der erstmalig das Prinzip von Urheberrecht und Besitz de facto fast ausgehebelt ist. Streiks der Geschädigten machen so gut wie keinen Sinn. Für die Betreiber hängt alles an der täglich erneuerten Bereitschaft, durch kostenlose Beteiligung als Nutzer und Content- sowie Daten-Produzent für klarer messbare Gewinne der Betreiber zu arbeiten.

In Gestalt nüchterner Zahlen kommen dabei täglich ca. 4 Petabyte neue Daten auf Facebook in kollektiver Arbeit zustande. Dies dürfte ein Spitzenwert in menschlicher Zeichenproduktion überhaupt sein.

Bei vielen, die gar nicht oder nur auf Konsumentenseite damit konfrontiert sind, ist ein Bewusstsein über Arbeit und Wert in diesem neuartigen Feld noch nicht spürbar eingetreten. Angedeutete politische oder kooperative Initiativen darf man getrost als Kurieren an begrenzten Symptomen bezeichnen. Der Kulturwandel hat laufend unbekannte Opfer. Regenerationen einer zerstörten sozioökonomischen Basis von Medienproduktion wären eine Zukunftsaufgabe, für die wir in der Öffentlichkeit kompetente Sprecher oft vergeblich suchen, wie auch der politische Mut und die gedankliche Kreativität dazu zu fehlen scheinen und die Debatte nur am Rande läuft. Für einen Medien-Hype ist eine solche Selbstthematisierung vielleicht und dann tragischerweise etwas zu abstrakt und ohne emotionalen Faktor für das große Publikum selbst. Dass die Konsequenzen nicht noch bitterer werden, sollte eigentlich Motivation genug sein. 8

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