Dem Urknall ein großes Stück näher

Seite 2: Historischer September 2015

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Seitdem war die Suche nach Einstein Phantomstrahlung in der Astronomie en vogue, seitdem war ihr direkter Nachweis für all jene, die auf diesem Fachgebiet zuhause waren, nur noch eine Frage der Zeit. So kam es, wie es kommen musste und auch erwartet wurde: Am 14. September 2015 schlug der 33-jährige italienische Physiker und Postdoc-Student Marco Drago vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover eine neue Seite im Buch der Wissenschaftsgeschichte auf.

Als er die Daten von den Caltech-Computern auf die deutschen Rechner transferierte, erschien auf seinem Monitor zuerst ein akustisch vernehmbares Signal bei einer niedrigen Frequenz von 35 Hertz, welches aber mit der Frequenz anstieg und nach 0,2 Sekunden seine maximale Amplitude bei 150 Hertz erreichte, bis das Signal bei 250 Hertz verschwand.

Was Drago auf seinem Monitor sah … Bild: LIGO

Weil das Signal so bildermäßig daherkam, starrte Drago einige Minuten lang ungläubig auf den Bildschirm. Kurz darauf studierte und überprüfte er zusammen mit seinen Kollegen Andrew Lundgren die Daten mehrfach. Am Ende waren sich beide sicher, dass das Signal nur eine Interpretation erlaubte: Auf dem Bildschirm zeichnete sich ein klassischer "Chirp" ab, wie Physiker hörbare Signale nennen, die ein wenig wie Vogelzwitschern klingen. Und den "Chirp", den Drago und Lundgren vernahmen, war die akustische Signatur einer ursprünglich sehr starken Gravitationswelle, die von den irdischen Detektoren als niederfrequentes Signal registriert wurde.

Bild: ESO/L. Calçada

Als den beiden Physikern klar wurde, dass sie soeben Zeugen des ersten direkt detektierten Gravitationswellen-Ereignisses geworden waren, verbreiteten sie kurz darauf die frohe Kunde als Massen-Email an den kompletten Verteiler, in dem mindestens 1.000 Wissenschaftler aufgeführt waren. Als die amerikanischen Kollegen am nächsten Morgen die Arbeit aufnahmen, fanden sie in ihren Emails den lapidaren Hinweis: "Wir haben etwas, das wie ein echtes Ereignis aussieht."

Crash zweier Schwarzer Löcher

Das von Drago entdeckte 1,3 Milliarden Jahre alte nachhallende Signal stammte aus einer Epoche, als in der Biosphäre der Erde Mikroben das Sagen hatten. Wie sich schnell herausstellte, wurde das kosmo-archaische Ereignis von zwei miteinander kollidierenden Schwarzen Löchern von 35 und 29 Sonnenmassen verursacht, die zu einem Schwarzen Loch von 62 Sonnenmassen verschmolzen, wobei drei Sonnenmassen binnen eines Sekundenbruchteils in Form von Gravitationswellen freigesetzt wurden.

Die detektierten Gravitationswellen entstanden quasi während des letzten Sekundenbruchteils der frisch fusionierten beiden Schwarzen Löcher. Just in diesem kurzen Zeitraum registrierten die beiden nahezu identischen LIGO-Detektoren in Livingston (Louisiana) und Hanford (Washington) ein identisches Wellenmuster. Sie maßen nicht nur den Energieverlust, sondern auch die tatsächliche Verzerrung der Raumzeit und die Längenänderung auf der Erde.

aLIGO-Detektor in Livingstone/ Louisiana. Bild: Caltech/MIT/LIGO Lab

aLIGO steht für Advanced Laser Interferometer Gravitational Wave Observatory und ist die zweite Detektor-Generation, die seit Ende 2015 in Betrieb ist.

An dem umfangreichen Observationsprogramm nehmen mehr als tausend Wissenschaftler aus 16 Nationen teil, wobei einige entscheidende Bauteile der Detektor-Anlage in Deutschland entwickelt wurden. Vereinfacht gesagt bestehen die beiden 3.000 Kilometer voneinander entfernt operierenden Laser-Interferometer-Detektoren jeweils aus zwei vier Kilometer langen Vakuumröhren, deren exakt vorgegebene Länge permanent mit einem Laserstrahl gemessen wird.

Läuft eine Gravitationswelle durch einen Arm der Anlage entlang, entstehen extrem winzige relative, aber messbare Längenänderungen der Röhre. Hierbei können die aLIGO-Wissenschaftler Längenveränderungen erfassen, die sage und schreibe nur einem Tausendstel des Durchmessers eines Protons entsprechen.

Nobelpreisverdächtige Entdeckung

Dass diese epochale Entdeckung irgendwann in den nächsten Jahren mit dem Nobelpreis für Physik geadelt und dass einer der drei Laureaten Kip Thorne sein wird, ist fast so sicher wie das Amen in der Kirche. Vor allem vor dem Hintergrund, dass der indirekte Nachweis von Gravitationswellen bereits 1993 in Stockholm ebenfalls eine entsprechende Würdigung erfuhr. Insbesondere aber angesichts der Tatsache, dass dieses wissenschaftliche Husarenstück bereits jetzt schon auf vielen Ebenen nachwirkt und großen neuen Erkenntnisgewinn gebracht hat.

Zwei miteinander verschmelzende Schwarze Löcher in der Vorstellung eines Künstlers. Bild: LIGO, SXS, the Simulating eXtreme Spacetimes (SXS) project

Schließlich gelang es den Astronomen im September des letzten Jahres überhaupt das erste Mal in ihrer Geschichte, die Existenz eines Schwarzen Loches direkt zu beobachten und nachzuweisen und darüber hinaus auch erstmals eine Kollision von zwei Schwarzen Löchern zu beobachten. Bis dahin mussten sich Astronomen, die sich Schwarzen Löchern verschrieben hatten, stets den Vorwurf gefallen lassen, allenfalls den Schatten eines Schwarzen Loches zu studieren, weil derlei Phänomene bekanntlich nur indirekt lokalisiert und observiert werden können.

Auch wenn sich die um ein Schwarzes Loch rotierende Akkretionsscheibe auf unvorstellbar hohe Temperaturen aufheizt und extrem stark im sichtbaren Licht und auf (fast) allen anderen Wellenlängen des elektromagnetischen Spektrums strahlt, verraten sich "die Gespenster toter Sterne" (so Martin Rees) in erster Linie nur indirekt via Röntgen- und Infrarotstrahlung.

Via Schwerkraftwellen Schwarze Löcher aufgespürt

Doch seit September 2015 ist gewiss, dass Schwarze Löcher keine Hirngespinste sind. Mehr noch: Was bislang nur blanke Theorie war, wurde erstmals direkt gemessen: das Zusammenschmelzen von zwei Schwarzen Löchern. Zugleich offenbart die Entdeckung, dass Albert Einstein in zweifacher Hinsicht irrte: Gravitationswellen sind eben doch nachweisbar - und Schwarze Löcher im Weltall eine kosmische Realität.

Gravitationswellen sind unsichtbar, akustisch aber mit dem entsprechenden Instrumentarium wahrnehmbar! Bild: NASA

Jedenfalls scheint es nach dieser Entdeckung nur noch eine Zeit- und Kostenfrage zu sein, bis die Detektoren empfindlich genug sind, um von Neutronensternen, Pulsaren und Quasaren informationsreiche Gravitationswellen zu empfangen.

Allein das Studium solcher punktuellen Gravitationsquellen beflügelt das Wissen der Astronomen und schafft eine neue Fachdisziplin innerhalb der Astronomie, wobei es zu dem nicht zu unterschätzenden Synergieeffekt kommt, dass auch die Laser-Technologie infolge der Präzisierung und Verfeinerung der Instrumente einen spürbaren Schub nach vorn erhält.

Bereits von dem nächsten groß angelegten aLIGO-Suchlauf im September dieses Jahres erhoffen sich Astronomen von den Gravitationswellen neue Daten von Schwarzen Löchern, mit denen deren Masse erstmals genau bestimmt werden soll.