Dem Urknall ein großes Stück näher

Seite 3: Photosphäre und Neutrinos

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Aber auch die Urknall-Forscher könnten von dieser neuen Energieform in Zukunft profitieren. Schließlich sind Gravitationswellen laut Theorie praktisch mit Beginn des Universums vor 13,8 Milliarden Jahren entstanden, während die elektromagnetische Strahlung hingegen erst viel später in die Welt trat. Erst 380.000 Jahre nach dem Urknall (engl. Big Bang) beendete das Universum die Tristesse der Dunkelheit und zeigte sich erstmals von seiner strahlenden und lichtreichen Seite. Als sich der Kosmos auf rund 4000 Kelvin abkühlte und sich die darin enthaltende Materie sukzessive verdünnte, gingen Elektronen und Protonen mit einem Mal ihre ewige Symbiose ein - in Gestalt neutraler Wasserstoffatome.

Nach der Formierung der Atome wurde das Gas durchsichtig und die Strahlung konnte sich nahezu frei ausbreiten. Damals emittierte es erstmals Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, die heute von allen Seiten kommend auf uns permanent niederprasselt.

Visualisierung der Polarisation der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung als Ergebnis der Weltraummission Planck (ESA). Bild: ESA and Planck Collaboration

Da sich die elektromagnetische Strahlung also erst 380.000 Jahre nach dem Big Bang von der Materie entkoppelte, können Astronomen demzufolge heute nicht sehen, was sich vor langer Zeit jenseits dieses Horizonts einst abgespielt hat. Die Fernsicht in den frühen Weltraum ist durch die kosmische Photosphäre versperrt - so als würde man den blauen Himmel durch die Unterseite von Wasserdampfwolken betrachten. Selbst die leistungsstärksten erdgebundenen und orbitalen Teleskope können nicht hinter die Photonenbarriere blicken.

Prinzipiell könnten zwar auch Neutrinos, die eine Sekunde nach dem Urknall bereits das junge Universum durchfluteten, Informationen über das blutjunge Universum liefern. Dennoch ist noch völlig unklar, wie aus Neutrinos überhaupt kosmologisch relevante Daten extrahiert werden könnten. Ebenfalls steht die Frage unbeantwortet im Raum, wie mit den zurzeit zur Verfügung stehenden Neutrinoteleskopen die schwache Wechselwirkung von Neutrinos mit der Materie überhaupt kontinuierlich nachgewiesen werden kann. Denn Neutrinos geben sich selbst in den besten Anlagen der Welt nur selten die Ehre.

Inflationsphase im Visier

Doch der Theorie zufolge könnten Einsteins Wellen Licht in das Dunkle des Universums bringen. Via Gravitationswellen könnte das bisher Unmögliche tatsächlich dereinst im Bereich des Möglichen rücken. Vielleicht könnten Astronomen in (ferner) Zukunft mithilfe dieser Strahlung die Ära der Inflation des Universums näher durchleuchten. Denn bislang liegen ihnen überhaupt keine Daten vor, die zuverlässig darüber Aufschluss geben, was vor 13,8 Milliarden Jahren genau geschah, als sich das All innerhalb eines Zeitraums von 10-35 bis 10-30 Sekunden nach dem Urknall mit Zehn-Billion-Billionenfacher Lichtgeschwindigkeit um den gigantisch unvorstellbaren Faktor 1050 aufblähte.

Noch reicht die Sensibilität der Detektoren bei weitem nicht aus, um mithilfe von Gravitationswellen die Inflationsphase zu durchleuchten. Bild: BICEP/NASA

Was geschah damals, als sich der Raum selbst mit Überlichtgeschwindigkeit vergrößerte, während in ihm selbst das kleinste Partikel Materie der Lichtgeschwindigkeit nicht entfliehen kann, wozu auch Gravitationswellen zählen?

Keine Frage, die Einsteinschen Wellen, die ebenfalls eine Energieform sind, muten mysteriös an und sind in der Tat noch relativ unbekannt, werden aber mit den Jahren durchaus zu einer vertrauten Größe in der Astronomie avancieren. Sie haben schon längst einen neuen, sehr vielversprechenden Zweig in der Astronomie etabliert. Zahlreiche Dissertationen über dieses faszinierende Sujet werden folgen.

Noch steht die Gravitationswellenforschung ganz am Anfang, und die Hoffnung, mithilfe dieser Energieform dem Urknall auf die Schliche zu kommen, ist vorerst nicht mehr als ein schöner Traum. Der Urknall gibt seine Geheimnisse nicht auf einmal preis. Nur scheinbar mit größtem Widerwillen zeigt er sein wahres Gesicht. Selbst wenn die Detektoren einmal empfindlich genug sein sollten, Schwerkraftwellen zu empfangen, die aus der Zeit der Inflation stammen, bleibt das Problem, wie derlei Daten zu deuten und zu interpretieren sind.

Grundlagenforschung braucht eben Zeit, ob diese denn theoretischer oder praktischer Natur ist. Immerhin hat sich 100 Jahre nach Einsteins theoretischer Grundlagenforschung seine geheimnisvolle Phantomstrahlung zu erkennen gegeben. Die aLIGO-Astronomen haben jetzt das Zepter übernommen und werden uns das Universum auf eine kaum vorstellbare Weise näherbringen. Jetzt oder nie darf man den Spruch wagen: Noch nie war Astronomie so spannend wie heute!

Youtube-Video: "The Sound of Two Black Holes Colliding" Youtube-Video: "The hunters - the detection of gravitational waves" (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik/Milde Marketing) Video-Simulation von zwei kollidierenden Schwarzen Löcher Paper: "Observation of Gravitational Waves from a Binary Black Hole Merger" (Phys. Rev. Lett. 116, 061102 - Published 11 February 2016)