Dem Würgegriff von Sagittarius A entkommen

Seite 2: Warum die Katastrophe ausblieb

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Unter großer Anspannung und in Erwartung eines kosmischen Spektakels fieberten Ghez mitsamt Team dem Vorbeiflug entgegen. Doch es kam alles ganz anders. Zu ihrer Überraschung und entgegen allen Berechnungen fiel die vermeintliche Wolke nicht in den Schlund der Schwerkraftfalle, sondern zog, ohne jeglichen Materie- und Energieverlust zu erleiden, geradewegs daran vorbei. "G2 überlebte und setzte frohes Mutes seinen Orbit fort. Eine einfache Gaswolke hätte dies nicht bewerkstelligt", sagt Andrea Ghez, die Projektleiterin und federführende Autorin der Studie, die nunmehr in der aktuellen Ausgabe des Fachblattes "Astrophysical Journal Letters" (s.u.) veröffentlicht wurde. "G2 blieb im Wesentlichen unberührt von dem Schwarzen Loch. Es gab kein Feuerwerk."

Blick ins Zentrum der Milchstraße. NuSTAR-Aufnahme im Röntgenbereich. Bild: NASA

Für den Umstand, dass G2 die Annäherung an das Schwarze Loch ohne Blessuren überstand, aber auch für die Tatsache, dass das Objekt nach der Passage seiner Kepler'schen Umlaufbahn strikt treu blieb, haben die Forscher nur eine Erklärung: Hinter der zirka 280 Grad Celsius heißen Gaswolke aus Wasserstoff und Helium muss ein kompakteres, massereicheres Objekt stecken.

Astrofoto des galaktischen Zentrums mitsamt dem Schwarzen Loch SgrA*. Der Schnappschuss gelang dem NASA-Weltraumteleskop Chandra, das sich dem Röntgenbereich des elektromagnetischen Spektrums widmet. Bild: NASA/CXC/MIT/F.K. Baganoff et al.

Tatsächlich ergaben ihre Berechnungen, dass sich hinter G2 nicht eine Gaskonzentration versteckt, sondern ein Stern von der zweifachen Masse der Sonne, der überdies die dreißigfache Leuchtkraft unseres Gestirns hat. Es ist fürwahr ein Stern, der anders ist als andere Sterne. Einer, der durch die Verschmelzung zweier kleinerer Sterne entstanden ist und sich mit einem Mantel aus Gas und Staub umgibt.

Neue Erkenntnisse durch neue Sternklasse

Das Forscherteam um Ghez vermutet, dass Sagitarrius A ursprünglich von zwei sonnengroßen Sternen im Tandem umkreist wurde. Irgendwann und irgendwie näherte sich das Binärsystem dem Schwarzen Loch, fiel aber nicht hinein, sondern positionierte sich auf einer stabilen Umlaufbahn. Gleichwohl führte die starke Schwerkraft von Sagittarius A die beiden Sterne immer näher zusammen. Die Umlaufbahn der Doppelsterne wurde instabil, bis diese dann - auch unter dem Einfluss ihrer Eigengravitation - kollidierten und mit- und ineinander verschmolzen.

Ein Stern dieser Machart am Rande eines Schwarzes Loches ist Astronomen bislang noch nicht begegnet. "G2 scheint uns eine neue Sternenklasse im Galaktischen Zentrum zu zeigen, die das Endprodukt von zwei Einzelsternen sind, die dank des Einwirkens eines Schwarzes Loches miteinander verschmelzen", erklärt Ghez.

Doppelsternsysteme, Dual- oder Binärsysteme aber auch Mehrfachsystem kommen im All häufiger vor als stellare Solisten. Allein in unserer Milchstraße sind 60 bis 70 Prozent aller Sterne Teil von Dual- oder Mehrfachsternsystemen. Bild: NASA

Gehen zwei Sterne in einem über, expandiert der neue Stern oft für mehr als eine Million Jahre, bevor er sich dann zur Ruhe setzt, erklärt Ghez. Dies geschehe - wie bei G2 - häufiger als bislang angenommen, da insbesondere im Zentrum der Galaxis massereichere Sterne und meist Dualsysteme existieren.

Es ist möglich, dass viele Sterne, die wir beobachtet haben und noch nicht verstanden haben, das Endprodukt von zusammengeschmolzenen Sternen sind, die sich nunmehr beruhigen.

G2 sei daher so interessant, weil er neue Einsichten in die Wechselwirkungen zwischen dem zentralen Schwarzen Loch und seiner Umgebung gebe, was auch für die anderen Galaxien wichtig sein könne. Dank G2 könne man nunmehr aufzeigen, dass Binärsterne möglicherweise sehr wichtig für das Verständnis sind, wie Schwarze Löcher wachsen und mit ihrer Umgebung interagieren. Für das Gesamtverständnis von Schwarzen Löchern sei dies elementar, so Ghez. "Wir beginnen gerade die Physik von Schwarzen Löchern auf eine Weise zu verstehen, wie sie vorher niemals möglich gewesen wäre."

Die Kecks halfen

Die Entdeckung ist nicht nur der Beharrlichkeit und der Beflissenheit der Wissenschaftler zu verdanken, sondern auch den beiden Keck-Teleskopen. Hervorzuheben ist hier das moderne auf Laser beruhende adaptive optische System LGSAO, mit der die Keck-Anlage operiert. Dieses spezielle Korrekturverfahren erlaubt die Angleichung der atmosphärischen Schwankungen durch die laufende Messung der Bildverformungen und deren Kompensation mittels rechnergesteuerter, schnell deformierbarer Spiegel, die in den Strahlengang der Teleskopriesen eingebracht sind. Das Resultat: Die Luftunruhen in der Erdatmosphäre werden herausgefiltert, das Bild förmlich entwackelt und dadurch scharf gestellt.

Chandra-Aufnahme aus dem Jahr 2006 von der Galaxie NGC 6240, in dessem Zentrum zwei supermassive Schwarze Löcher miteinander verschmelzen. Bild: X-ray (NASA/CXC/MIT/C.Canizares, M.Nowak); Optical (NASA/STScI)

Bei alledem wurden beide Keck-Fernrohre auch zu einem Interferometer zusammengeschaltet und die empfangene Strahlung über Glasfaserleitungen kombiniert. Dadurch erreichten die Astronomen eine Auflösung, die einem im Durchmesser 85 Meter großen Teleskop entspricht. Außerdem gelang es ihnen mittels spektrometrischer Analysen, die schwächere Strahlung von G2 von dem grellen Leuchten von Sagittarius A* sauber abzugrenzen.

G2 und sein Schicksal

Ghez leitet die UCLA Galactic Center Group, die seit mehr als zehn Jahren Tausende von Sternen in der Nähe von Sagitarrius A untersucht hat und auch das Schwarze Loch im Herzen der Milchstraße permanent observiert. Für sie ist G2 fraglos eine große Überraschung, an der auch noch andere Forschergruppen ihre helle Freude haben werden.

Die Keck-Teleskope operieren auf 4200 Meter Höhe, auf dem Vulkan Mauna Kea in Hawaii (USA). Bild: NASA/JPL

Denn um die Zukunft des Sterns ist es nicht schlecht bestellt. Der massive Stern am Rande des galaktischen Schwarzen Loches ist keineswegs dem Tode geweiht. Allein die Tatsache, dass sich G2 mit einer Gaswolke umgibt und insbesondere sein gewaltiger Durchmesser von rund zwei astronomischen Einheiten (ca. 300 Millionen Kilometer), deuten darauf hin, dass der neu gebildete Stern noch jüngeren Datums ist und sich vorerst nur in der "Aufblähungsphase" befindet. Infolge der enormen Schwerkraft des Schwarzes Loches wird G2 mitsamt Gaswolke fadenförmig in die Länge gezogen, bevor es nach einer Million Jahren zu einem kompakten Stern reift und sich sodann zur Ruhe setzt.

Wer jedoch erwartet hat, dass der große Stern früher oder später einmal in die Fänge von Sagitarius A geraten könnte, muss sich von Andrea Ghez eines Besseren belehren lassen, die auf Anfrage hin folgendes überraschendes Statement gab:

G2 wird sich ungefähr so verhalten wie die anderen Sterne, die wir in den letzten Jahren im galaktischen Zentrum verfolgt und beobachtet haben. Er wird erfreulicherweise das supermassive Schwarze Loch für den Rest seines Lebens umkreisen.

Youtube-Video (NASA-NuSTAR) "The Black Hole Monster in the Center of the Milky Way".

Detection of Galactic Center Source G2 at 3.8 μm - "During Periapse Passage" (The Astrophysical Journal Letters Volume 796 Number 1).

Das Paper ist über den Preprint-Server arXiV frei zugänglich.