Demokratiegefährdung aus den eigenen Reihen
Seite 3: 3. Konflikte innerhalb der westlichen Gemeinschaft
- Demokratiegefährdung aus den eigenen Reihen
- 2. Haltung gegenüber Regimen mit Demokratiedefiziten
- 3. Konflikte innerhalb der westlichen Gemeinschaft
- 4. Angelsächsisches Schmarotzertum
- 5. Gefahren durch wachsende Einkommensunterschiede
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Der Zweck jedes demokratischen Disputs ist die Suche nach Kompromissen zwischen divergierenden Interessen. Solche sind der bereits thematisierte Zwist zwischen Wirtschaftsakteuren und Gesamtgesellschaft. Den Wünschen und Zielen beider Seiten wird eine Berechtigung zugesprochen, sodass von jedem Abstriche erwarten werden, denn Win-win-Situationen sind eher die Ausnahme als die Regel.
Innerhalb des Wirtschaftssektors stehen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenüber. Erstere verfügen über quasi diktatorische Vollmachten, die sie auch maximal umsetzen würden, hätte ihnen Gewerkschaften nicht Kompromisse abgerungen und gäbe es keine gesetzlichen Schranken. Die alte APO-Losung "Die Demokratie endet am Fabriktor" besitzt weiterhin uneingeschränkte Gültigkeit, ja sie wird durch die gegenwärtige Aushöhlung der Arbeitnehmerrechte in den EU-Ländern noch bekräftigt. Dass Unternehmen ein demokratiefreier Raum sind, wird von unseren Politikern nicht problematisiert, da sie Eigentumsrechten den Vorrang geben. Stattdessen verweisen sie auf veränderte Rahmenbedingungen globaler Konkurrenz, die neue Kompromisse zu Lasten der Arbeitnehmer verlangen.
Konfliktlösungen bedarf es in allen Bereichen der Gesellschaft. Deren Notwendigkeit resultiert aus Interessenunterschieden von Einzelpersonen, Gemeinschaften, Kommunen und schließlich Staaten. Für die Erörterung und Beilegung zwischenstaatlicher Kontoversen gibt es internationale Organisationen. Einige sind nur offen für Länder, die das westliche Demokratieverständnis teilen, wie die OECD, die NATO, die G7 und die EU. Jene Staaten, so wird fortwährend betont, verbinden gleiche Wertvorstellungen. Zwar wird eingestanden, dass manche von ihnen nur sehr begrenzt den gewünschten Kriterien entsprechen. Der erklärte Wille der Eliten sowie die Möglichkeit einer Einflussnahme von außen, meist über wirtschaftliche Instrumente, wird jedoch als ausreichend für die Verleihung des Demokratie-Siegels angesehen.
Von der Wertegemeinschaft zur Schicksalsgemeinschaft
Aus der Wertegemeinschaft wurde allmählich eine Schicksalsgemeinschaft, die Loyalität und Gefolgschaft verlangt. Falls erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen wie etwa in der Frage des Angriffs auf den Irak im Jahr 2003, dann werden diese als "Dissens unter Demokraten" abgehandelt. Wenn dagegen die russische Regierung dem erklärten Willen der wohl meisten Krim-Bewohner nachkommt und die Halbinsel Russland angliedert, wird ein aggressiver Akt registriert. In beiden Fällen sind Völkerrechtsverletzungen geschehen, doch dürfte außer Frage stehen, welche gravierender waren.
Bei der Beurteilung von politischen Äußerungen, Programmen und Aktionen ist maßgebend, ob deren Urheber als Repräsentant westlicher Wertvorstellungen akzeptiert ist. Erst im zweiten Schritt wird auf den Inhalt Bezug genommen. So werden Wladimir Putin trotz moderater Stellungnahmen unlautere Absichten unterschoben. Ob sich dagegen Medien über George W. Bushs markige Sprüche ärgern oder ihn verhöhnen, ändert nichts an der Tatsache, dass er dem demokratischen Spektrum zugeordnet bleibt.
Die strikte Trennung in Demokratiefreunde und -feinde trübt zuweilen den Blick für die Realität und nagt an der Glaubwürdigkeit westlicher Werteträger. So wird Russland dafür gescholten, dass Homosexuellen das demokratische Recht öffentlichen Auftretens untersagt wird. Wenn aber texanische Homosexuelle durch Therapie konvertiert werden sollen, bleibt es bei Appellen, ja es wird mancherorts um Nachsicht angesichts zugrunde liegender religiöser Motive gebeten. Sogar die Schikanierung ganzer Volksgruppen wie der Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten oder der russisch-sprachigen Minderheit im Baltikum wird stillschweigend geduldet. Werden die betreffenden Regierungen bei speziellen Anlässen ermahnt, dann wird häufig Verständnis angesichts vermeintlicher Bedrohungen geäußert.
Verhaltene Kritik an den USA
Begreiflicherweise stoßen gelegentliche Kapriolen der westlichen Führungsmacht in Europa auf Befremdung und Ablehnung. Allerdings bemühen sich die Leitmedien redlich um ein positives Image der USA, sei es durch Beschönigung, durch Verharmlosung oder durch Verschweigung unangenehmer Fakten. Dabei wird immer wieder die Wertegemeinschaft beschworen, die Europa mit Nordamerika verbindet. Da US-amerikanische Verantwortliche bereits zu Ende des Zweiten Weltkrieges die bedeutende Rolle der Medien erkannt haben, wurden keine Mühen gescheut, deren führende europäische Repräsentanten in transatlantische Think Tanks einzubinden.
Die Kritik von EU-Politikern an US-amerikanischen Vorgaben hält sich in Grenzen, wenn auch Interessendivergenzen konstatiert werden. Meinungsverschiedenheiten resultieren aus der unterschiedlichen geographischen Lage, ebenso sind sie historisch-ideologisch begründet. Zaghaftigkeit und Duckmäusertum auf Seiten der Europäer fordern indessen ihren Tribut. So setzen sich die USA überwiegend mit ihren Vorstellungen durch, wobei sie auf eine Unterstützung durch mittel-ost-europäische Staaten bauen können.
Dennoch orten sich unsere Politiker in einem Klub von Demokraten, die sich bei strategischen und taktischen Überlegungen unterscheiden mögen, aber doch nicht in ihren Werten. So besteht Konsens, dass Regierungen mit einem erheblichen Machtpotential wie etwa die russische oder die iranische eine latente Bedrohung darstellen, die einer Antwort bedarf. Die Präsenz US-amerikanischen Militärs in Europa wird daher auch von vielen Amerikaskeptikern als Schutzfaktor angesehen.