Demokratiegefährdung aus den eigenen Reihen

Seite 2: 2. Haltung gegenüber Regimen mit Demokratiedefiziten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Westliche Politiker konstatieren mit Genugtuung, dass sich Wirtschafts- und Finanzkreise trotz ihrer immensen Macht bereitwillig dem jeweiligen Gesetzgeber unterordnen. Dadurch eröffnen sich gewisse politische Eingriffsmöglichkeiten, sodass die Lage als beherrschbar erscheint. Deshalb adressieren Medien und Opposition bei einem Missbrauch wirtschaftlicher Macht ihre Kritik erst einmal an die Regierungen, denen Unfähigkeit bei der Wahrung der Interessen der Bürger vorgeworfen wird.

Entschieden anders werden Machtkonzentrationen im politischen Bereich bewertet, zumal wenn eine ideologisch ausgerichtete Vereinigung oder eine eingeschränkt legitimierte, geringköpfige Herrscherelite am Machthebel sitzt. Hier werden unkalkulierbare Risiken identifiziert, die erst einmal die Bevölkerung des betreffenden Landes bedrohen, ebenso aber die internationale Gemeinschaft, falls es sich um einen mächtigen Staat handelt.

Bei der Beurteilung autoritär geführter Staaten bzw. solcher mit einem hohen Grad an Machtkonzentration wird dennoch differenziert. Soweit eine Regierung sich an globale Spielregeln hält und keinem Expansionsdrang folgt, erscheint eine Kooperation möglich. Damit einher gehen naturgemäß Infiltrationsversuche, auch gerade im Zuge kooperativer Tätigkeiten. Greift eine Regierung - gegebenenfalls als Reaktion auf äußere Einmischung - zu autoritären Maßnahmen zum Zweck der Machterhaltung, wird sie als undemokratisch attackiert.

Russland als perfekte Zielscheibe

Als vortreffliche Zielscheibe bietet sich gegenwärtig Russland an. So wird konstatiert, dass während Wladimir Putins Amtszeit eine Zentralisierung von Machtbefugnissen stattgefunden habe. Dadurch hat sich die Handlungsfreiheit der politischen Führung beträchtlich vergrößert, was unserem Demokratieverständnis zuwiderläuft. Mit seinem zurückgewonnenen Selbstbewusstsein agiert Moskau zudem resoluter in außen- und sicherheitspolitischen Fragen, wodurch die Ausdehnung westlichen Einflusses in östliche Richtung erschwert wird.

Die mit propagandistischen Mitteln geschürte Angst vor Russland trifft vielerorts auf einen fruchtbaren Nährboden. Wie es die Deutschen in der Nachkriegszeit erlebten, wird ebenso den Russen von ihren Nachbarn eine Kollektivschuld an der Jahrzehnte erfahrenen Unterdrückung zugeschoben. Im übrigen Europa kann an frühere antisowjetische Ressentiments nahtlos angeknüpft werden.

Der Argwohn sitzt derart tief, dass russische Friedensinitiativen als Täuschungsmanöver betrachtet und defensive Schritte zu offensiven uminterpretiert werden. Auch auf der Motivsuche wird man fündig. Der eine sieht revanchistische Absichten, die auf eine Wiederherstellung der Grenzen der Sowjetunion gerichtet sind, für einen anderen ist die russische Mentalität nicht mit demokratischen Idealen vereinbar. Ist erst einmal ein Feindbild geschaffen, dann bedienen sich Nutznießer jeder Art. Baltische Staatslenker steigern mit dessen Hilfe ihre Popularität, westliche Rüstungsfirmen wittern neue Aufträge und Stand-up-Komiker unterhalten ihr Publikum mit Putin-Anekdoten.

China als unbeugsamer Kontrahent

Im Gegensatz zu Russland schert sich China nicht um Attribute westlicher Demokratie wie Gewaltenteilung oder einem Vorrang individueller Freiheiten vor gesellschaftlichen Interessen. Gleichwohl ist China ein wirtschaftlicher Gigant, der sich anschickt, mit den USA gleichzuziehen. Weder ist der Westen in der Lage, die Stimmung in der Bevölkerung maßgeblich zu beeinflussen, noch ist zu beobachten, dass sich der Herrschaftsapparat westlichen Demokratievorstellungen öffnen würde.

Soweit die Gebietsansprüche in den anliegenden Gewässern nicht tangiert werden, vermeidet die chinesische Regierung eine Involvierung in internationale Konflikte, sodass schwerlich aggressives Verhalten unterstellt werden kann. Zudem zeigt Peking bislang keine Ambitionen, den gewachsenen wirtschaftlichen Einfluss mit politischen Zielen verknüpfen zu wollen. Weder werden andere Staaten unter Druck gesetzt, noch wirbt China fernab seiner Grenzen um Verbündete. Auch wird auf dem globalen wirtschaftlichen Parkett recht behutsam agiert.

Trotz fortwährender Dämonisierung kommen westliche Medien nicht umhin, die wirtschaftlichen Erfolge Chinas anzuerkennen. Diese werden den kapitalistischen Strukturen zugeschrieben, die jedoch ohne staatliche Lenkung kaum derart erfolgreich wären. So haben sich die von Zeit zu Zeit geäußerten Prophezeiungen eines wirtschaftlichen und politischen Kollapses des Riesenreichs bislang als Wunschdenken erwiesen.

Beim chinesischen Weg finden sich gewisse Parallelen zu Japan, wenngleich es sich bei diesem formell um eine Demokratie handelt. Während der ersten Jahrzehnte der Nachkriegszeit ermöglichten die unangefochtene Führungsrolle der Liberaldemokratischen Partei und die überragende Stellung des MITI eine Bündelung ökonomischer Kompetenz. Es entstand ein Machtkonglomerat, das sowohl im Landesinnern Druck ausübte als auch der Weltmarkteroberung diente.

Autoritäre Regime weltweit

Desgleichen wurde der wirtschaftliche Aufschwung der asiatischen Tiger-Staaten durch autoritäre Regime bewerkstelligt. Da sie zu Bollwerken gegen rotchinesische Einflüsse aufgebaut wurden, erschien es westlichen Politikern opportun, über undemokratische Zustände zu schweigen. Die Interessen der Elite jener Staaten waren mit jenen der US-amerikanischen Protagonisten weitgehend identisch, sodass die Kooperation voranschritt. Als es dann anlässlich der Asienkrise 1997 in den Beziehungen mächtig knirschte, weil westliche Investoren nach jahrelangen guten Geschäften ihre Gelder abzogen, war die Handlungsfähigkeit der Regierungen erheblich eingeschränkt. So blieb ihnen keine andere Wahl, als westliche Staatsanleihen zu erwerben, um für eine künftige Krise besser gewappnet zu sein.

Bedeutende Demokratiedefizite gibt es nicht nur in Ost- und Südostasien. Gerade einmal eine Handvoll Staaten Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und Ozeaniens erfüllen die gewünschten Minimalkriterien. Dennoch ist Kritik außerhalb geschlossener Foren nur dann zu vernehmen, wenn sich Staatslenker als äußerst brutal gebärden oder als besonders widerspenstig erweisen. Zu den Letzteren gehören bzw. gehörten Saddam Hussein, Muammar Gaddafi und Baschar Al-Assad. Aber auch Verbündete wie die Türkei und Saudi-Arabien sind in die Schusslinie geraten, seitdem sie islamische Extremisten ohne Abstimmung mit der westlichen Führungsmacht unterstützen.

Die zaghafte und inkonsequente Haltung westlicher Politiker wird damit gerechtfertigt, dass die Durchsetzung demokratischer Prinzipien auf Hindernisse stoße, die historisch und kulturell begründet seien. Es gebe aber doch freiwillige Helfer, NGOs und staatlich finanzierte Entwicklungsprogramme, die demokratiefördernd seien. Dass die Kooperation mit den lokalen Eliten vor allem eigenen Wirtschaftsinteressen dient, wird dabei verschwiegen. In der Folge sind vielerorts traditionelle Strukturen vernichtet worden, sei es durch den Export subventionierter Lebensmittel, durch das Leeren der Fischereigründe mittels westlicher Trawler oder durch Landgrapping und die Errichtung von Monokulturen. Erst die Flüchtlingsdebatte hat das Augenmerk auf diese skandalösen Fakten gelenkt.