Demontage sowjetischer Denkmäler: "Unbehagen angesichts solcher Tendenzen"
Lettland hat ein Denkmal für Sowjet-Soldaten im Zweiten Weltkrieg beseitigt. Wie ist das zu bewerten? Drei Fragen an den Historiker Ulrich Schneider.
Herr Schneider, in Riga wurde ein Denkmal für die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg demontiert. Als Begründung wurde angeführt, es handele sich um ein Symbol der russischen Besatzung Lettlands.
Ulrich Schneider: Das Denkmal wurde in der jetzt bestehenden Form zum 40. Jahrestag des Sieges im "Großen Vaterländischen Krieg" im Mai 1985 errichtet. Es war und ist damit ein Symbol der Befreiung auch der baltischen Republiken von der faschistischen Barbarei und hat keinen Bezug zur Einbindung des Baltikums in die UdSSR nach 1945.
Da jedoch im heutigen Geschichtsnarrativ der lettischen Regierung der militärische Sieg über die deutschen Besatzer nicht als Befreiung, sondern als Beginn einer "russischen Okkupation" definiert wird, ist aus ihrer Sicht ein solches Denkmal natürlich nicht mehr akzeptabel.
Die Umschreibung von Geschichte und Angriffe auf dieses Mahnmal erleben wir seit vielen Jahren in Lettland. Die breite gesellschaftliche Erinnerung zum "Tag des Sieges" wurde durch die lettische Verwaltung massiv behindert.
In diesem Jahr leistete sie sich sogar die Schande, dass die zahlreichen Blumen und Gestecke, die zur Erinnerung an die Befreier von Menschen dort niedergelegt wurden, bereits am nächsten Tag durch die Stadtreinigung auf den Kompost entsorgt wurden.
Das entspricht dem Umgang mit der historischen Erinnerung, die sich vor allem in der Neudefinition der lettischen Kollaborateure, die u.a. in der lettischen SS-Division tätig waren, zu "Freiheitshelden Lettlands" zeigt.
Seit vielen Jahren marschieren die Veteranen der SS-Verbände und ihre politischen Freunde im März am lettischen Nationalfeiertag durch Riga. Proteste gegen diese SS-Verherrlichung werden durch die Staatsmacht – unter Missachtung aller demokratischen Regeln – unterbunden.
Obwohl selbst das Simon-Wiesenthal-Institut in Wien gemeinsam mit lettischen Antifaschisten gegen solchen Geschichtsrevisionismus protestierte, wurden in der offiziellen Darstellung die Aktionen als "von Russland gesteuert" denunziert.
Man scheute sich nicht, dafür Freiheitsrechte außer Kraft zu setzen. So wurde beispielsweise 2018 einer Abordnung deutscher Antifaschisten, die sich an den gesellschaftlichen Protesten gegen den SS-Aufmarsch beteiligen wollten, nicht nur die Einreise nach Lettland verweigert, sondern Teilnehmende, die es in das Land geschafft hatten, zwangsweise mit internationalen Bussen und unter polizeilicher Aufsicht wieder aus Lettland hinaus expediert.
Erschreckend an dem Vorgang war nicht nur die Missachtung der europäischen Freiheitsrechte, sondern auch die vollständige Sprachlosigkeit der Bundesregierung und der Europäischen Kommission gegen solche Aussetzung der Regeln der Europäischen Union.
Gleichzeitig versuchte man dieses SS-verharmlosende Geschichtsbild auch in anderen Ländern zu etablieren. So sorgte die lettische Regierung dafür, dass in Belgien in Zedelgem, an einem Ort alliierter Internierungslager, ein geschichtsrevisionistisches Denkmal, der "lettische Bienenkorb", als verharmlosende und verherrlichende Erinnerung an die dort internierten lettischen SS-Freiwilligen errichtet wurde.
Tatsächlich sind solche Tendenzen der Umdeutung der Geschichte nicht nur in Lettland zu beobachten.
Ulrich Schneider: Wie das belgische Beispiel zeigt, sind Geschichtsrevision und Neudefinition von Geschichtsbildern in verschiedenen europäischen Ländern anzutreffen.
Erinnert sei an die Initiative der "Bild-Zeitung" – in diesem Jahr gemeinsam mit der Berliner CDU, das sowjetische Ehrenmal am Berliner Tiergarten, den Panzer, der bei der Befreiung von Berlin beteiligt war, demontieren zu lassen. Noch setzte sich jedoch die Erkenntnis durch, dass der Schutz solcher Denkmale gemäß internationalen Verträgen durch die deutsche Regierung zu gewährleisten sei.
Wenn jedoch Regierungen solche Gesetze mit Parlamentsbeschluss aussetzen wie in Estland und in Polen, dann ist der "Bilderstürmerei" Tor und Tür geöffnet. In Polen werden diese Angriffe auf Gedenk- und Erinnerungsorte mit der "Dekommunisierung" begründet.
Hier geht es nicht nur um ein neues polnisch-nationalistisches Geschichtsbild, sondern auch um die Kriminalisierung von kommunistischen Symbolen, die sich natürlich nicht nur auf die Zeichen beschränkt, sondern auch gegen Aktivisten und Organisationen richtet.
Ähnliche gesetzliche Regeln haben wir in verschiedenen mittel- und osteuropäischen Ländern, die unter dem Vorwand der "Bekämpfung des kommunistischen Totalitarismus" nationalistische Geschichtsrevision betreiben.
Dabei gelang es Vertretern dieser Staaten – unterstützt durch die rechte Mehrheit im Europäischen Parlament – auch die europäische Ebene in ihren "Kampf gegen den Totalitarismus" einzubinden.
Schon vor Jahren hat das Europaparlament offiziell den 23. August zum "Gedenktag" erklärt – nur hat das faktisch keinen interessiert, obwohl erhebliche finanzielle Mittel in Institutionen zur "Totalitarismusforschung" fließen.
Im September 2019 gelang den Geschichtsrevisionisten ein politischer Coup, indem unter dem positiven Titel "Zukunft der europäischen Erinnerung" solche historischen Fehldeutungen und geschichtsrevisionistische Positionen als politische Entschließung verabschiedet wurden.
Dass darin in einer Nebenbemerkung auch Kritik an der Umdeutung von SS-Kollaborateuren zu nationalen "Freiheitshelden" enthalten ist, diente ausschließlich der Beruhigung der Fraktion der Sozialisten und Sozialdemokraten, veränderte aber in keiner Weise die inhaltliche Tendenz dieser skandalösen Entschließung.
Welche politischen Reaktionen gibt es?
Ulrich Schneider: Auf europäischer Ebene ist das politische Unbehagen angesichts solcher Tendenzen von Geschichtsvergessenheit deutlich sichtbar. Es ist wohl das erste Mal, dass der – leider verstorbene – Präsident des Europaparlaments David Sassoli sein Votum für die Resolution vom September 2019 offiziell in "Ablehnung" ändern ließ.
Politische Kräfte, und zwar nicht nur Veteranenorganisationen, in ganz Europa haben sich deutlich gegen diese Politik positioniert und mobilisieren Menschen gegen die Beseitigung von Denkmalen, wie z.B. in Prag, als die Stadtverwaltung das Denkmal zu Ehren des sowjetischen Marschalls Konew, der die sowjetischen Truppen bei der Befreiung von Auschwitz und Prag kommandierte, beseitigen ließ.
In Belgien gelang es einem breiten gesellschaftlichen Bündnis, das SS-verherrlichende Denkmal (den "lettischen Bienenkorb") aus dem öffentlichen Raum zu entfernen.
Als im Frühjahr 2022 im Kontext der Auseinandersetzungen um den Ukraine-Krieg von den Niederlanden bis Griechenland – und auch in Berlin Treptower Park – die sowjetischen Ehrenmale beschmiert und geschändet wurden, regte sich solch breiter Protest, so dass die Gedenkorte bald wieder hergestellt wurden.
Dennoch bleibt es, verstärkt durch die ideologische Entwicklung seit Kriegsbeginn, es eine große Herausforderung, gegen die Umschreibung der Geschichte und die Beseitigung von sowjetischen Denkmalen, die in vollkommener Geschichtsvergessenheit zu "russischen" Denkmalen, teils sogar als "Symbole der russischen Besatzung" umgedeutet werden, Widerstand zu entwickeln. Die FIR mit ihren Mitgliedsverbänden in 25 europäischen Ländern und Israel engagiert sich dagegen.