Demos gegen Rechts: Für welche Demokratie stehen der Sozialdemokrat Olaf Scholz und seine SPD?
Seite 2: Kapitalismus, Faschismus und die SPD
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Wegen ihres konsequenten Einstehens für die Weimarer Republik war die SPD überzeugt, nach 1945 in Westdeutschland die Regierungsmehrheit stellen zu können. Ihr Parteichef Kurt Schumacher hatte während der zwölf Jahre der Nazi-Diktatur fast zehn Jahre in Konzentrationslagern und verschiedenen Gefängnissen zugebracht.3
Er war Antikommunist und entschiedener Gegner dessen, was die Machthaber in Ostdeutschland "Diktatur des Proletariats" nannten. Eines betonte er aber immer wieder: Die Nazis waren nur zur Macht gelangt, weil das große Kapital Hitler als Rettung vor der Enteignung betrachtete und sich entschloss, ihn zu unterstützen.
Die Illusion der Demokratie
Der Faschismus – so überhaupt eine ehemals unter Sozialdemokraten verbreitete Überzeugung – war die Konsequenz einer gespaltenen und zutiefst verängstigten Gesellschaft. Die Demokratie sei erst endgültig gesichert, wenn die Macht der Konzerne und des großen Geldes gebrochen wird. Der Kapitalismus erzeuge den Rechtsradikalismus.4 Das kann gerade gegenwärtig als gesichert gelten.
Benachteiligte und prekarisierte Menschen erliegen – so etwa der Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer – der "autoritären Versuchung".5
SPD: Ein Chamäleon in der Politik
Von alledem ist heute nicht mehr die Rede. Im Gegenteil: Die SPD verfolgt politische Ziele, die früher von der gleichen Partei übereinstimmend heftig bekämpft worden wären. Die Geschichte der SPD nach 1945 kann als die Geschichte eines Chamäleons geschildert werden.
Verändert sich die Machtkonstellation der politisch dominanten Umgebung, verändern sich auch die politischen Vorstellungen dieser Partei. Stets geht es darum, an der Macht teilzunehmen und sei es unter Aufgabe der früher als unverzichtbar angesehenen Positionen.
Aus einem ursprünglich klassisch demokratischen oder radikaldemokratischen Ansatz wurde dadurch die Unterstützung der "Fassadendemokratie". Eine Bezeichnung, die vielen älteren Sozialdemokraten gewiss gefallen hätte. Damals sprach man von "formaler Demokratie". Rosa Luxemburg, die zunächst zum linken Flügel der SPD gehörte und sich dann von ihr trennte, sagte es 1918 so: Die formale Demokratie des Parlamentarismus ändere nichts an der Machtausübung des Kapitals. Sie spiegele die "süße Schale der Gleichheit und Freiheit" nur vor und führe die Menschen in die Irre.6
Der bedeutende österreichische Theoretiker der Sozialdemokratie, Max Adler, Professor für Soziologie an der Wiener Universität, bezeichnete das gleiche Phänomen 1922 als "politische Demokratie". Weil sie sich auf den Bereich des Politischen beschränke, sei sie eigentlich überhaupt keine Demokratie.7
Die heutige Anpassung an die übermächtigen Kapitalverhältnisse entspricht also – alt-sozialdemokratisch gesehen – der Preisgabe des wirtschaftlichen und vor allem auch des sozialen Aspekts der Demokratie. War ursprünglich der Name der SPD sehr treffend gewählt worden, so steht er nun für etwas, was man heute als "Fake" bezeichnet.
Es existiert nicht, wird auch nicht gewollt oder gefordert, dient aber immer noch einigermaßen für Zwecke des Marketings. Denn viele Menschen verbinden Demokratie – in Europa verbreiteter als etwa in den USA – mit dem Gedanken des sozialen Ausgleichs. Auch wenn die Zahl der Wähler, die dieses Demokratieverständnis irrigerweise bei der SPD sucht, erheblich abgenommen hat.
Godesberger Programm: Eine Wendepunkt
Der erste Schritt in der Richtung einer Entkernung der alten Auffassungen nach Gründung der Bundesrepublik wurde 1959 in Bad Godesberg getan. Das dort entstandene Godesberger Programm erkennt zum ersten Mal in der Parteigeschichte das Privateigentum an Produktionsmitteln an, und damit die Machtbasis des ganz großen Geldes.
Der zweite Schritt, der dann die absolute Kehrtwende brachte, die eigentlich einem Salto Mortale entspricht, wurde mit der Kanzlerschaft Gerhards Schröders in einer Koalition mit den Grünen vollzogen (1998 - 2005). Auch die Grünen entledigten sich damals wichtiger Programmpunkte ihrer Anfänge.
Und wieder warf man Grundsätze über Bord, weil man sich den faktischen Machtverhältnissen andiente. Vorbereitet durch CDU/CSU und die Liberalen wurde der unterdessen beachtliche Machtzuwachs des großen Geldes hingenommen und erheblich ausgebaut.
SPD und Marktradikalismus
Zwischenzeitlich hatte etwa in Großbritannien und den USA die neoliberale Wende stattgefunden. Dabei handelte es sich um ein Projekt, bei dem nicht die Demokratie im Mittelpunkt steht, sondern der Markt, weshalb diese Richtung auch Marktradikalismus genannt wird.
Nicht von den Wählern wird erwartet, dass sie entscheiden, in welche Richtung es gehen soll, sondern von Investitions- und Kaufpräferenzen. Die Akteure des Gemeinwesens sah man nicht in den Bürgerinnen und Bürgern, sondern im privaten Geldeinsatz. Auf diese Weise kann das Gewicht einer politischen Option oft das Vieltausendfache eines Durchschnittsbürgers betragen.
Die gefährliche Verbindung von Marktradikalismus und Diktatur
Etwa in Chile wurde schon seit den 1970-Jahren deutlich, dass der Marktradikalismus ohne Weiteres mit Diktatur, und zwar im faschistischen Sinne verbunden werden konnte. In den Folterkellern des Systems unter dem Machthaber Augusto Pinochet wurden Regimegegner malträtiert, während die "freie" Marktwirtschaft im Sinne der Bessergestellten Renditen abwarf und somit für die Wohlhabenden erfreuliche Vorteile brachte.
SPD und die Umverteilung von unten nach oben
In Deutschland wurde das größte Umverteilungsprogramm nach 1945 – und zwar eine Umverteilung von unten nach oben im Sinn des Marktradikalismus – ausgerechnet von einer SPD-Regierung forciert.
Die Begeisterung der Reichen und Superreichen war natürlich groß. Eine Internationale der neuen Bereicherung war entstanden und wurde vor allem durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) vertreten, der etwa die Länder des Globalen Südens in die Zange nahm.8
Zugrunde lag der fundamentale Irrtum, man könne eine gesellschaftliche Spaltung herbeiführen und auf Dauer stellen, ohne dabei den Kern der Demokratie zu zerstören. Ein für Sozialdemokraten freilich höchst befremdlicher Irrweg.
Die verlorene Seele der Sozialdemokratie
Gewiss sind die Gründe, von den wichtigsten alten Überzeugungen Abschied zu nehmen oder sie nur noch vorzuspiegeln, nicht in der besonderen Boshaftigkeit von Sozialdemokraten zu suchen.
Man hatte mitbekommen, dass der Neoliberalismus das Glück aller versprach, wenn nur sämtliche Hemmungen für die private Kapitalakkumulation beseitigt würden. Marktradikalismus war international eine gängige Mode geworden, die von Vertretern von Denkfabriken oder Universitätsprofessoren vorgetragen wurde.
Während sozialdemokratische Spitzenpolitiker gläubig die Augen verdrehten, stand ihre ursprüngliche Klientel der eher einfachen Leute schließlich ohne politische Vertretung da. Erst gegenwärtig besichtigt man scheu das Trümmerfeld, das diese Zivilreligion hinterlassen hat.
Doch für die SPD scheint es, schaut man auf aktuelle Wählerprognosen, fürs Erste zu spät zu sein.
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