Demos gegen Rechts: Für welche Demokratie stehen der Sozialdemokrat Olaf Scholz und seine SPD?

Sozialdemokraten gegen die AfD, also die Folgen der eigenen Politik. Bild: Lucas Werkmeister, CC BY 4.0

Ironie der SPD: Scholz feiert Demokratie, während seine Partei sie aushöhlt. Selbst wenn sie diesen Fehler einsieht, wird es wohl zu spät sein. Ein Zwischenruf.

Olaf Scholz lobt die Demonstrationen für Demokratie und gegen Rechts. Doch es wird lange dauern, bis Demokratie, aber auch der Gedanke der Menschenrechte wieder im Zusammenhang des Sozialen gedacht werden können.

Scholz und Demokratiebewegung: Ein langer Weg

Die Demonstrationen zurzeit zeigen, dass fast niemand mehr zu wissen scheint, wer eigentlich hauptverantwortlich für die sich immer weiter ausbreitende Sympathie für den Rechtspopulismus ist. In Deutschland ist es leider vor allem auch die Sozialdemokratie.

Blicken wir zurück: 1869 wurde die SPD gegründet. Seit 1890 nennt sie sich "Sozialdemokratische Partei Deutschlands". Sie ist damit die älteste der deutschen Parteien. Als sie damals antrat, berief sie sich auf eine gewissermaßen klassische Auffassung von Demokratie.

Demokratie: Mehr als nur Volksherrschaft

Der Begriff bezieht sich auf den "Demos", was altgriechisch einfach "Volk" oder "Staatsvolk" bedeutet. Demokratie war also Volksherrschaft. Im Deutschen Kaiserreich ein revolutionärer Gedanke. Und das übrigens heute noch.

Nun bitte keine rechtspopulistischen Missverständnisse! Man kann sich auf das "Volk" berufen, ganz ohne ein Demokrat zu sein. Gerne wird durch solchen Missbrauch der Rechtsstaat ausgehebelt. In Polen hat das die dortige PiS-Partei versucht, in Israel tut es Netanjahu.

Das "Volk" wird dabei gegen die Gerichte in Anschlag gebracht, vorwiegend die Verfassungsgerichte. Sind die auf Regierungskurs getrimmt, können die Populisten tun, was sie wollen. Sofern Trump überhaupt ein Konzept hat, wird er es ähnlich sehen.

Die SPD und der freie Volksstaat

Damit hatte die Demokratievorstellung der alten SPD nichts zu tun. Stattdessen war von dem "freien Volksstaat" die Rede. Freilich gab es gegenüber der heutigen SPD-Auffassung einen entscheidenden Unterschied: Demokratie und Freiheit konnte man sich nur jenseits des Kapitalismus vorstellen.

Frei würde der "Volksstaat" nur sein können, wenn in ihm nicht das große Geld, sondern die Bürgerinnen und Bürger das Sagen haben.

Hans-Peter Waldrich ist Politikwissenschaftler und Autor.

Nehmen wir als Beispiel für diesen Ansatz den Mitbegründer der SPD, Wilhelm Liebknecht. 1826 in Gießen geboren, war er über Jahrzehnte einer der aktivsten sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten und über lange Zeit hinweg Chefredakteur des "Vorwärts", dem Parteiorgan der SPD, das auch heute noch existiert.

Seine Beerdigung im Jahr 1900 wurde zur größten Massenversammlung seit dem Tod Kaiser Wilhelms I. zwölf Jahre zuvor. Die SPD war damals "die" Partei der Arbeiter und der kleinen Leute.

Die Vision von einer demokratischen Wirtschaft

Zentral nicht nur für Liebknechts Auffassungen von Demokratie, sondern überhaupt für die SPD war die Demokratisierung der Wirtschaft. Die Formel hieß: Sozialismus und Demokratie sind das Gleiche. "An die Stelle der Arbeitgeber" – so Wilhelm Liebknecht 1894 – "und ihrer demütig sich fügenden oder in Rebellion befindlichen Lohnsklaven: freie Genossen! ... Unser Ziel ist: der freie Volksstaat mit ökonomischer und politischer Gleichberechtigung; die freie Gesellschaft mit genossenschaftlicher Arbeit."1

Die gesamte Gesellschaft sollte also demokratisiert werden, nicht nur ihr politischer Teil. Später sprach man von Wirtschafts- oder sozialer Demokratie.2

Genossenschaftlich sollte die Wirtschaft auf der Selbstverwaltung durch die Arbeitenden beruhen. Das war nicht nur eine Forderung unter vielen, sondern der zentrale SPD-Programmpunkt überhaupt. Demokratie also ohne internationale Konzerne, Finanzwirtschaft und die Verfügungsmacht der Bosse. Vor allem aber: Demokratie ohne eine Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich.

SPD-Programme im Wandel der Zeit

Liest man heute die älteren Parteiprogramme der SPD, das richtungsweisende Erfurter Programm von 1891 oder das Heidelberger Programm von 1925, wundert man sich. Sind das tatsächlich Programme der gleichen Partei, die sich heute noch SPD nennt?

Andererseits kommt es, wie wir wissen, nicht so sehr auf Programme an als auf das, was Parteien tun, wenn sie Regierungsmacht haben, aber auch sonst. Viele erinnern sich an die mutige Heldentat des Reichstagsabgeordneten und SPD-Vorsitzenden Otto Wels. Am 23. März 1933 riskierte er sein Leben, als er im Deutschen Reichstag die Zustimmung der SPD zum sogenannten Ermächtigungsgesetz verweigerte.

Und das trotz der Anwesenheit von SA-Männern im Saal. "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht." Willy Brand berichtete später, Wels habe für alle Fälle eine Giftampulle dabeigehabt, um sich bei einer eventuellen Verhaftung das Leben zu nehmen.

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