SPD beendet Kanzlerstreit: Warum Scholz' Schwäche seine Stärke sein könnte

Bundeskanzler Olaf Scholz

Olaf Scholz wurde für seinen zurückhaltenden Kurs im Ukraine-Krieg politisch und medial scharf angegriffen. Foto: photocosmos1 / Shutterstock.com

SPD steht in Umfragen historisch schlecht da. Interner Streit um Kanzlerkandidatur scheint beendet. Doch ausgerechnet Scholz' zurückhaltender Kurs könnte ein Trumpf sein.

In der SPD soll der Streit um die Kanzlerkandidatur zu Ende gehen und der bisherige Kanzler Olaf Scholz geht als Gewinner aus dem Streit hervor. Das deutete sich den letzten Tagen an, als sich verstärkt diejenigen zu Wort, die an Olaf Scholz als Kandidat festhalten wollen.

Sie argumentierten fast immer damit, dass ein Wechsel zu einem anderen Kandidaten die bisherige Regierung und damit auch die SPD beschädigen würde. Denn damit würde ja deutlich, dass die sogar die SPD sicher ist, mit ihrem bisherigen Kanzler keine Wahlen mehr gewinnen zu können.

SPD nur noch bei 14 Prozent

Die bisherigen Umfragen waren für die SPD alarmierend. Nach einer Forsa-Umfrage vom 19. November liegt die SPD nur noch bei 15 Prozent und damit nicht nur weit hinter die Union, die auf 33 Prozent kommt, sondern auch noch hinter die AfD, die von Forsa bei 18 Prozent gelistet wird.

Die Grünen würden demnach auf elf Prozent kommen, während FDP, BSW und Die Linke mit jeweils vier Prozent nicht mehr im Bundestag wären. Es sei denn, sie erreichen drei Direktmandate, darauf bereitet sich Die Linke mit der "Mission Silberlocke", der Kandidatur der drei Parteiveteranen Dietmar Bartsch, Gregor Gysi und Bodo Ramelow schon intensiv vor.

Laut einer Umfrage von Infratest Dimap vom 21. November käme die SPD nur noch auf 14 Prozent und läge gleichauf mit den Grünen, die CDU auf 33 Prozent und die AfD auf 19 Prozent. Das BSW wäre nach dieser Umfrage mit sechs Prozent im Parlament vertreten.

Die schlechten Umfragewerte waren einerseits kein Rückenwind für Scholz, konnten ihm aber doch nützen. Die Scholz-Anhänger könnten die schlechten Werte als Aufforderung verstehen, den Streit über die Kanzlerkandidatur schnell zu beenden, weil der die Umfragewerte sicher nicht erhöht.

Kann Scholz als Friedenskanzler punkten?

Doch noch ein anderer Umstand spielte Scholz in die Karten. Er hat bei aller Beteuerung, die aktuelle Regierung in Kiew zu unterstützen, immer betont, dass er alles dafür tut, um Deutschland aus dem Krieg herauszuhalten. So begründet Scholz seine Weigerung, Taurus-Raketen an die Ukraine zu liefern.

Sein viel kritisiertes Telefonat mit dem russischen Staatschef Putin könnte letztendlich Scholz' Rolle als Kanzlerkandidat, der sich für Verhandlungen und Diplomatie einsetzt, untermauern.

Dafür wurde er von der Union, der FDP und den Grünen gescholten. Hinter dem Vorwurf, Scholz wolle im Wahlkampf den Friedenskanzler geben, steht die reale Sorge, dass er damit der SPD tatsächlich wieder Aufwind geben könnte. Damit könnte er auf vergangene SPD-Wahlkämpfe zurückgreifen. Für ihr Nein zum Irak-Krieg zumindest hatte die SPD viel Zuspruch erhalten.

Pistorius: Kandidat der Kriegstüchtigkeit

Auch in der SPD gibt es Scholz-Kritiker, die dem Kanzler vorwerfen, die Ukraine zu wenig mit Waffen zu unterstützen. Dazu gehört unter anderem der langjährige SPD-Außenpolitiker Michael Roth, der nicht mehr für den Bundestag kandidiert.

Ein Wechsel der SPD zu Pistorius hätte den Eindruck erweckt, als würden sie den Schwerpunkt statt auf "Kriegstüchtigkeit" statt auf Frieden und Diplomatie legen. "Kriegstüchtigkeit" ist schließlich eines der Stichworte, mit denen Pistorius am meisten von sich reden gemacht hat. Doch damit wäre die SPD außenpolitisch noch schwerer zu unterscheiden von Union, FDP und Grünen, die schließlich alle für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine trommeln.

Bei den Wählern dieser Parteien hat daher auch Pistorius große Beliebtheitswerte, gerade weil er in der Ukraine-Frage die Politik vertritt, die sie propagieren. Deshalb ist die höhere Beliebtheit für Pistorius in der Gesellschaft kein Argument für die Kanzlerkandidatur.

SPD kaum von anderen Parteien unterscheidbar

Schließlich dürfte den SPD-Strategen bekannt sein, dass die vorsichtige Haltung von Scholz in Bezug auf mehr Waffen an die Ukraine das einzige Pfund ist, das ihnen bei den Wahlen noch zur Verfügung steht. In fast allen anderen Fragen von der Flüchtlings- bis zur Sozialpolitik ist die SPD kaum noch zu unterscheiden von Union und Grünen.

Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass Scholz nach der Aufkündigung des Bündnisses mit der FDP plötzlich rhetorisch wieder soziale Themen wie die Renten entdeckt zu haben scheint. Doch der Niedergang der SPD hat historische Wurzeln und liegt im europäischen Trend.

Sozialdemokratische Parteien in fast allen europäischen Ländern mit wenigen Ausnahmen von Spanien oder Großbritannien, leiden darunter, dass es das sozialdemokratische Arbeitermilieu nicht mehr gibt, das für sie immer ein sicheres Wählerreservoir darstellte. In der westdeutschen SPD war es das Ruhrgebiet und einige Teile des Saarlandes.

Streit um die Perspektive der SPD

Seitdem es weggefallen ist, gibt es in der SPD wie in vielen anderen sozialdemokratischen Parteien den Streit um eine Perspektive. Einige vor allem jüngere SPD-Mitglieder wollen mit einer Minderheitenpolitik vor allem Wähler aus dem Milieu der Grünen zurückholen. Andere wollen sich stattdessen mehr auf sozialdemokratische Werte der Vergangenheit beziehen und vertreten in gesellschaftspolitischen Fragen oft konservative Positionen.

Zwischen diesen beiden Flügeln gab es Streit, der durch Formelkompromisse zeitweilig stillgelegt wurden. Wie schwer es ist, selbst vor Neuwahlen in wenigen Wochen diese innerparteiliche Beruhigung hinzukriegen, zeigt der heftige Streit um den Kanzlerkandidaten in den letzten Tagen. Dafür wurde auch zunehmend der Parteivorstand verantwortlich gemacht, der es versäumt habe, frühzeitig Scholz zum Kanzlerkandidaten zu ernennen, so die Kritiker.

Manche drängen schon darauf, dass nach den Neuwahlen die Zeit zur Aufarbeitung der Fehler kommen müsse. Doch meistens kommt es dazu nicht, weil dann schon wieder neue wichtige Aufgaben anstehen. Dazu könnte nach den Wahlen auch der Eintritt einer geschwächten SPD in eine Koalition mit der Union unter Friedrich Merz gehören. Die beiden Umfragen deuten ein solches Szenario zumindest an.