Rolf Mützenich auf den Spuren Willy Brandts

Rolf Mützenich vor SPD-Logo, auf dem eien Friedenstaube sitzt

Rolf Mützenich. Bild: Juergen Nowak / Shutterstock.com

SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Rolf Mützenich, hielt eine bemerkenswerte Rede zur Frage, wie sozialdemokratische Außenpolitik der Zukunft aussehen könnte.

Am 5.12.2024 fand ein aus meiner Sicht äußerst spannender Vortragsabend mit dem Fraktionsführer der SPD im Bundestag, Dr. Rolf Mützenich, statt. Die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung hatte Mützenich im Rahmen einer Vortragsreihe (Willy Brandt-Lecture) eingeladen. Der Vortrag zum Thema „Welt im Umbruch – wie kann eine sozialdemokratische Außenpolitik für das 21. Jahrhundert aussehen?“ sowie die Einleitung und das Abschlussgespräch sind auf YouTube frei einsehbar.

Der Vortragsabend wurde klug vom ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse eingeleitet (u. a. „Rolf Mützenich ist nicht bereit, sich mit den Realitäten dieser Welt (…) abzufinden.“).

Nach dem Hauptvortrag gab es ein ergänzendes und von Dr. Ronja Kempin reflektiert geleitetes Gespräch (u. a. zum Krieg in der Ukraine an Mützenich adressiert: „Sie haben gesagt, es gibt keinen Diktatfrieden oder es darf keinen Diktatfrieden geben, weder von Trump vorgeschlagen noch von Putin ausgehandelt. Wie sollte der Krieg enden?“).

Einige friedenspolitische Statements von Rolf Mützenich

Rolf Mützenich bekannte sich in seinem Vortrag deutlich zu den Leistungen der kritischen Friedensforschung. Hierbei nehme er für sich nicht in Anspruch, ein bereits „abgeschlossenes Gedankengebäude“ zu vertreten: „Ich bin für jede Anregung, auch aus der Sicherheits- und Friedensforschung dankbar“.

Hierzu muss man wissen, dass er beim international angesehenen Friedensforscher Prof. Dieter Senghaas zur Frage der Friedenssicherung über das Freihalten zumindest größerer Weltregionen von Massenvernichtungswaffen promovierte („Atomwaffenfreie Zonen und internationale Politik – Historische Erfahrungen, Rahmenbedingungen, Perspektiven“).

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Er fordert nun in seinem Vortrag, dass kritische Friedensforschung über die Analyse und Bewertung des Tagesgeschehens hinausgehen und sich mit den mittel- und langfristigen „strukturellen Bedingungen von Sicherheit und Frieden“ beschäftigen müsse. Hier könne es zu einem produktiven Austausch zwischen wissenschaftsorientierter Friedensforschung und Politik kommen.

Die Möglichkeit multilateraler Verständigung in der „einen Welt“ werde zunehmend schwieriger.

Gleichzeitig erleben wir überall, auch bei uns, die Rückkehr eines aggressiven Nationalismus und das Denken in Einflusssphären.

Rolf Mützenich

Anstelle von international abgestimmten Maßnahmen, diese Probleme zumindest dämpfen zu können, würden jedoch weitere Handelskriege und Rüstungswettläufe drohen.

Mützenich stellte klar, dass es keinerlei legitime Begründungen für den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine gäbe:

Der russische Überfall auf die Ukraine mit dem Ziel, den ukrainischen Staat zu zerstören und Land zu rauben, markiert einen tiefen Einschnitt in die europäische und internationale Ordnung. Seit über Tausend Tagen bombardiert und terrorisiert der russische Präsident die Ukraine und ihre Bevölkerung.

Auch wenn man sich selbstkritisch im Westen fragen müsse, welche Fehler man im Umgang mit Russland begangen habe, sei der „russische Überfall auf die Ukraine (…) durch nichts, nichts zu rechtfertigen und zu relativieren“. Er stehe daher zur Unterstützung der Selbstverteidigung der Ukraine gegenüber dem russischen Aggressor. Hier lässt er keine Zweifel aufkommen.

Dennoch fordert er die Priorität von Verhandlungen ein – selbst in Zeiten, in denen ein Verhandlungsergebnis eher unwahrscheinlich sei. So hätten Willy Brandt und Egon Bahr nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in die Tschechoslowakei (1968) ebenfalls nicht aufgegeben, ihre Vision friedlicher Koexistenz zwischen Ost und West zu verfolgen.

Er kritisiert des Weiteren die von Olaf Scholz am Rande der UN-Tagung in New York gegebene Einverständniserklärung zur für 2026 vorgesehenen Stationierung verschiedener US-Mittelstreckenraketensysteme in Deutschland. Es gehöre sich in einer parlamentarischen Demokratie, wichtige Fragen gesellschaftlicher Sicherheit öffentlich im Parlament zu diskutieren. Eine derart ernsthafte Entscheidung sei kein Verwaltungsakt.

Die Stationierung der US-Mittelstrecken-Raketen erhöht die Gefahr einer unbeabsichtigten Gefahr militärischer Eskalation (…), die das Primat der Politik aushebeln könnte.

Rolf Mützenich

Hierzu ist m. E. anzumerken, dass es strittig ist, ob eine Stationierung von auf Russland ausgerichteten Mittelstreckenraketen, z. T. auch mit Hyperschallqualität, nicht verfassungswidrig sein könnte. US-Hyperschallraketen, die unter dem Radar fliegen, lenkbar sind und in wenigen Minuten Moskau erreichen können, müssen als Angriffswaffen, z. B. für einen Enthauptungsschlag, angesehen werden.

Das Grundgesetz ermöglicht jedoch nur einen Waffeneinsatz von deutschem Boden ausgehend ausschließlich zur Selbstverteidigung der BRD.

Hier wird deutlich, wie wichtig Mützenichs Forderungen nach erneuten Abrüstungsverhandlungen sind – zumal ebenfalls die Russische Föderation, z. B. in Kaliningrad, Hyperschallraketensysteme besitzt und Hyperschallraketen auch bereits im Krieg in der Ukraine einsetzt.

Hierüber hinaus hat Russland erstmals mit einer konventionell bewaffneten Mittelstreckenrakete mit Hyperschallgeschwindigkeit (Oreschnik) angegriffen, die auch nuklear bestückbar wäre.

Mützenich betont, dass es bei der notwendigen Aufrüstung der Bundeswehr und der EU nur um Verteidigung und nicht um den Ausbau der offensiven Fähigkeiten gehen könne. Dies dürfte dann im Widerspruch zur Aussage von Boris Pistorius stehen, Deutschland müsse kriegsfähig werden. Der Begriff der Kriegsfähigkeit beschränkt den Waffeneinsatz nicht ausschließlich auf den Verteidigungsfall und widerspricht m. E. ebenfalls dem Grundgesetz.

Multilaterale Verständigung

In der zukünftigen multipolaren Welt würden Staaten wie China, Indien und Brasilien sowie insgesamt der gesellschaftliche Süden an Einfluss gewinnen. Der Westen müsse von seinem Dominanzanspruch zugunsten einer inklusiven Weltordnung zurücktreten. Hierbei betont er, dass dies Willy Brandt im Rahmen seiner Tätigkeit als Vorsitzender in der Nord-Süd-Kommission (Unabhängige Kommission für Internationale Entwicklungsfragen) sehr früh erkannt hatte.

In diesem Kontext hätte m. E. Mützenich im Kontext des Krieges in der Ukraine den chinesisch-brasilianischen Friedensplan erwähnen können, der eine Friedensinitiative gerade von den von ihm aufgewerteten Staaten beinhaltet und derzeit noch in den westlichen Medien weitgehend totgeschwiegen wird. Hierzu würden auch seine vorherigen im Bundestag vorgenommenen Äußerungen zum Einfrieren des Krieges in der Ukraine passen, um Zeit für Verhandlungen zu gewinnen.

Rolf Mützenich setzt weiterhin auf die multilaterale Verständigung im Rahmen der Vereinten Nationen. Hierbei fordert er die Stärkung und die Reform der UN, insbesondere die Reform des UN-Sicherheitsrats, auch wenn gegenwärtig eine entgegengesetzte Entwicklung zu beobachten sei.

Erneut nimmt er Bezug auf die kritischen Friedensforschung und macht deutlich, dass ein umfassender Frieden nur möglich sei, wenn Gewaltstrukturen in den Staaten abgebaut und freie, demokratische und gerechte Gesellschaften entstehen würden. In diesem Kontext müsse auch das Weltwirtschaftssystem umgebaut und vornehmlich Ländern des Globalen Südens mehr Einflussmöglichkeiten gewährt werden.

Rolf Mützenichs zukünftige Rolle

Sebastian Puschner schreibt in seinem Bericht in der Zeitschrift Der Freitag resümierend über den Vortrag von Rolf Mützenich mit dem Blick auf die nach der Februar-Wahl in Deutschland anstehenden Koalitionsverhandlungen:

Für einen Bundeskanzler Friedrich Merz wäre Rolf Mützenich, der bei der für den 23. Februar 2025 vorgesehenen Bundestagswahl wieder antritt, die unbequemere Besetzung im Auswärtigen Amt als etwa die Grüne Franziska Brantner. Wohl aber die nachhaltigere.

Wenn es um einen Vorrang der Diplomatie und der Verhandlungen gehen soll, wäre Rolf Mützenich sicherlich die bessere Wahl. Vorher dürfte er aber noch einige friedenspolitische Grundsätze und Handlungsperspektiven SPD-intern zu klären haben.

Nach einer Außenministerin, die sich m. E. während ihrer Amtsperiode eher die Rolle einer Kriegsministerin einnahm, wäre ein Außenminister, der sich als oberster Diplomat im Einsatz für Frieden versteht und sich in einer historischen Linie mit Willy Brandt sieht, eine deutliche und wichtige Verbesserung im Amt.

Klaus Moegling ist habilitierter Politikwissenschaftler, er lehrte zuletzt an der Universität Kassel als apl. Professor im Fb Gesellschaftswissenschaften, er ist u.a. Autor des Buches "Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich." Die 5. aktualisierte und erweiterte Auflage ist:: im open access lesbar. Er unterstützt u.a. den Appell auf Change.org gegen Hyperschallraketenstationierung und gegen die nukleare Aufrüstung.